Ladenburg. Inna Blahonravina ist Schwimmerin. Das hält sie über Wasser – auch im mentalen Sinne. Denn die 1978 geborene Ukrainerin ist mit „zwei Töchtern, zwei Katzen und zwei Reisetaschen“, wie sie es auf Englisch ausdrückt, vor dem Krieg in ihrer Heimatstadt Kiew geflüchtet. Inzwischen weiß Ehemann Maksym seine Frau mit den Mädchen Sasha (8) und Oliviia (5) sicher in Ladenburg. Er ist IT-Experte, überwacht Computerprogramme der Regierung und ist daher nicht zum Krieg einberufen worden. Oder noch nicht?
Diese bange Frage belastet Inna. Außerdem weiß die auch international erfolgreiche fünftbeste Freischwimmerin der Ukraine in der Masters-Klasse nicht, was werden soll. Da wirkt das Schwimmen wie ein Druckventil: Im Wasser fallen die Sorgen von ihr ab. Deshalb bedeutet es Inna viel, als sie Dieter Holch von der DLRG-Ortsgruppe trifft. Er bringt sie und ihre ältere Tochter Sasha zum Schwimmtraining des SV Mannheim in Seckenheim.
Rein weibliches Team
Ebenso viel bedeutet es Inna, dass sie am Samstag, 23. Juli, am Staffelwettbewerb des Ladenburger Triathlon-Festivals RömerMan teilnimmt. Das ermöglicht ihr Karin Brecht-Tillinger. Die Ladenburgerin hatte zuvor von einer Freundin aus dem Helferkreis des Triathlons gehört, dass die Veranstalter von Holch gebeten worden seien, für Inna ein Staffelteam zu suchen. Die RömerMan-Stadtmeisterin von 2012 und 2014 zögert nicht lange und stellt sich als Radfahrerin zur Verfügung.
RömerMan 2022
- Nach pandemiebedingter Pause startet der RömerMan am Samstag, 23. Juli, wieder.
- Ein neues Team um Fabian Körner, Gesamtleiter der LSV-Sparte Leichtathletik/Triathlon, und Alex Rittlinger, Abteilungsleiter Triathlon, organisiert den Wettbewerb corona-konform.
- Die in Ladenburg wohnende ukrainische Freiwasserschwimmerin Inna Blahonravina (SV Mannheim) startet als Gast der LSV mit Karin Brecht-Tillinger (Rad) und Lucy Czech (Lauf) im Staffelwettbewerb.
- Bis Freitag, 22. Juli, sind Einzel-Startplätze bei RömerMan und Fitness-Triathlon buchbar (www.roemerman.de).
„Ich stehe momentan zwar nicht im Training und obendrein vor einer Reise nach Frankreich, aber das ist es mir wert“, sagt Brecht-Tillinger. Ihre Idee: Ein rein weibliches Team setzt ein Zeichen für die starken ukrainischen Frauen, für Frieden und „gegen toxische Männlichkeit“. Als Läuferin holt sie die Ladenburgerin Lucy Czech (22) in die Staffel. Weil sich diese noch in München aufhält, treffen sich zunächst nur Schwimmerin und Radfahrerin. Die „Chemie“ zwischen ihnen scheint zu stimmen. Erfreut nimmt Inna die Gratis-Berechtigung der gastgebenden LSV für einen der letzten verfügbaren Staffel-Startplätze entgegen. Brecht-Tillinger gibt wertvolle Tipps fürs 1,8-Kilometer-Schwimmen im Neckar. Die weitaus längere Distanzen gewohnte Inna weiß: „Es ist schwieriger, kurze Strecken zu schwimmen, weil du schneller ins Rennen finden musst.“
Von Brecht-Tillinger, die sie nach dem Schwimmen ablöst und nach der steilen 41-Kilometer-Strecke durch den Odenwald an Langläuferin Czech übergibt, bekommt Inna den Neoprenanzug geliehen. Inna stahlt: „Ich bin Mutter, Ehefrau, Bürgerin und arbeite beruflich mit Wertpapieren, aber vor allem muss ich schwimmen.“ Beim Oceanman in Odessa/Ukraine belegt sie auf der Langdistanz den dritten Platz in ihrer Altersklasse. Diesen August nimmt sie an den Europameisterschaften der Masters in Rom teil. Um in Form zu bleiben, startet Inna am Wochenende bei Meisterschaften im Freiwasserschwimmen in Heddesheim. Sie kennt Deutschland, vor 25 Jahren hatte sie Wirtschaft in Kiew und per Begabtenstipendium auch in Magdeburg studiert.
„Glücksticket“ nach Ladenburg
Wie sie nach Ladenburg gekommen war, ist dem US-Magazin „New Yorker“ im Juni einen Beitrag von Autor Ed Caesar wert. Uns sagt sie: „Ich bin eine gewöhnliche ukrainische Frau: Ich hatte einen Job, ein Haus und eine Familie, aber eines Tages gab es ganz in der Nähe eine Explosion, und der Krieg war da.“ Auf der Flucht in einem überfüllten Zug müssen die Drei neun Stunden lang stehen, weil kein Sitzplatz frei ist. Sie landen in München-Olching, wo ihnen bislang unbekannte Verwandte von Innas Mann wohnen. Um dem dunklen, kalten Kellerraum zu entkommen, folgt Inna der dringenden Aufforderung ihrer ukrainischen Freundin Tania, die abends am Telefon sagt: „Komm’ nach Ladenburg, hier kümmert man sich um Euch!“
Am nächsten Tag nehmen sie den Zug. „Nach Nirgendwo“, sagt Inna, denn für sie ist es da ja noch eine Fahrt ins Ungewisse. Bei ihrer Ankunft regnet es in Strömen. Inna fragt sich durchnässt zum Rathaus durch. „Irgendjemand sagte irgendwo Bescheid, und eine Stunde später waren wir gerettet.“ Bis ihre Bleibe in der Breslauer Straße gefunden ist, kommen sie in einem Altenheim unter. „Ein alter Mann gab den Kindern Brezeln und Tee“, erinnert sich Inna. „Heute würde ich sagen: Es war mein Glücksticket nach Ladenburg, und mir kommen immer Tränen der Rührung, wenn ich erzähle, wie nett die Leute hier sind und wie sie uns helfen – es ist einfach toll.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ladenburg_artikel,-ladenburg-ukrainerin-inna-ich-muss-schwimmen-_arid,1971307.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ladenburg.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/seckenheim.html