Ilvesheim schläft, niemand ist um 4 Uhr nachts auf den Straßen unterwegs. Nur eine Katze überquert mit gemächlichen Schritten die Schlossstraße. In der Stille fällt die Autotür wie ein Donnerschlag ins Schloss, dann herrscht wieder Ruhe. Doch dann, vor der Hofeinfahrt der Alten Schulstraße 11, erste Anzeichen von Leben: eine Lüftung brummt, Licht brennt, ein Radio murmelt. Mit jedem Schritt hinein in den Hof werden der Geruch nach frischgebackenem Brot stärker und die Geräuschkulisse deutlicher. Xavier Naidoo singt "Dieser Weg wird kein leichter sein" und dann tritt man mitten in die Betriebsamkeit der Backstube von Norbert Magin.
Der Mann mit dem runden Gesicht und den kleinen Augen, aus denen der Schalk blitzt, ist bereits seit über zweieinhalb Stunden auf den Beinen. Wenn um 1.30 Uhr wohl die letzten Ilvesheimer in den Schlaf sinken, erwacht seine Bäckerei zum Leben. Alltag - oder Allnacht - für Magin. Und das bereits seit 51 Jahren. "Das Los des Bäckers", nennt er es. "Ich habe mit 14 Jahren meine Lehre angefangen, mit 20 war ich bereits Meister. Für mich gab es nie etwas anderes." Verpasst habe er dadurch nichts, sagt er. "Als ich jung war, bin ich eben direkt nach dem Feiern in die Backstube". Er grinst. In der dritten Generation führt Magin die Bäckerei nun, der Verkauf ist bereits in den 70er-Jahren in die Schloss-, später in die Weinheimer Straße umgezogen - damit er zentraler liegt. In die Räume in der Alten Schulstraße zog ein Friseur.
Nasse T-Shirts
Es ist heiß in der Backstube. Jetzt im Sommer, erzählt Magin, steige die Temperatur auch mitten in der Nacht auf bis zu 40 Grad. Jedes Mal wenn Geselle Murat Shivan einen Blechwagen mit fertig gebackenen Brötchen aus dem Ofen holt, schlägt eine weitere Hitzewelle in den Raum. Die T-Shirts von Geselle und Meister sind nass vor Schweiß. Das Wasser, mit dem die Bäcker arbeiten, wird regelmäßig ausgewechselt, damit es nicht zu warm wird. "Bei der Hitze fängt die Hefe schnell an zu arbeiten - da kommt man oft gar nicht hinterher", erklärt Magin.
Im ersten Raum der Backstube reihen sich auf Rollwagen Bleche mit fertig gebackenen Brötchen, Croissants und Laugenstangen übereinander. Mit Schwung schüttet Magin sie in Kisten. Auf die Frage, ob der Beruf körperlich sehr anstrengend ist, grinst Magin nur, zieht die Ärmel seines T-Shirts hoch und zeigt seinen gut trainierten Bizeps. Hozan Disai, der derzeit ein Praktikum in der Bäckerei macht, übernimmt die Bleche und schrubbt sie sauber. Zwischendurch schaut immer wieder Fahrer Markus herein, schnappt sich ein paar Kisten und fährt vom Hof. Er liefert die Backwaren in die Weinheimer Straße, aber auch zu Kiosken und anderen Betrieben.
Murat Shivan steht im hinteren Teil der Backstube und rollt mit beiden Händen parallel Teig in Brötchenform. Wenn das Blech voll ist, schiebt der 21-Jährige es in den Gärunterbrecher. Null Grad zeigt dieser momentan an, abends um 18 Uhr taut er auf, um 22 Uhr setzt die Gärphase ein und ab 1.30 Uhr sind die Brötchen dann bereit, um in den Ofen zu wandern. Ein steter Kreislauf - aus dem sich der 65-jährige Magin Schritt für Schritt zurückzieht. Vieles übernimmt Shivan bereits, nun will der gebürtige Iraker seinen Meister machen, um dann, eines Tages, den Betrieb eventuell komplett zu übernehmen.
Kreativ und nicht monoton
Magin ist froh über diese Möglichkeit. Er weiß, dass das mittlerweile keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Der Berufsstand kämpft um Nachwuchs - und gegen die Konkurrenz der Supermärkte und Discountbäcker. Sieben Filialen besaß Magin einmal. "Ich hab rechtzeitig die Reißleine gezogen und bin geschrumpft", sagt er. Dafür beliefert er heute etwa Metzgereien mit Party-service. Einen anderen Beruf konnte sich Magin nie vorstellen, er liebt sein Handwerk. "Es ist kreativ, nicht monoton, und ich arbeite mit einem lebendigen Produkt."
Gegen 8 Uhr, wenn Geselle und Praktikant Feierabend - beziehungsweise Feiermorgen - haben und Magin allein in der Backstube ist, widmet er sich den Kuchen und Torten. Er zeigt seinem Praktikanten schon mal, wie man Zwetschgen entsteint - "für de Quetschekuche". Draußen weicht das Schwarz am Himmel einem leuchtenden Blau. Wenn die Sonne den Tag vollständig erobert hat, wird sich Magin schlafen legen.
Bäckermeister Norbert Magin
- Norbert Magin wurde am 31. Januar 1948 geboren und lebte sein Leben lang in Ilvesheim. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
- In seiner Freizeit fährt er auf seinem Roller durch die Gegend - und sitzt im Sommer gerne in dem großen Planschbecken im Hof.
- Er war 20 Jahre im Ilvesheimer Gemeinderat
und ist seit zwölf Jahren Obermeister in der Bäckerinnung - Tätigkeiten, denen er zwischen seinen beiden Schlafphasen nachgeht.
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