Hirschberg/Rhein-Neckar. Carolin Keller aus dem Odenwald ist Pädagogin, Kinder- und Jugendtherapeutin, Tänzerin, Choreografin, Circleway-Kreisleiterin, Kräuterhexe und in diesem Jahr Leiterin der Hirschberger Zirkusfreizeit. Sie ist aber auch Reisende, Mutter und seit Kurzem Autorin. Vier Jahre lang war Carolin Keller mit ihrem Sohn Elijan in einem ausgebauten Campingbus unterwegs. Jetzt hat sie ein Buch über diese Zeit veröffentlicht: „Die Welt ist mein Wohnzimmer.“ Wir haben die Autorin zum Gespräch getroffen.
Die Verbindung zum geliebten Odenwald hat sie nie verloren
Aufgewachsen ist Keller in Schaafheim, in der Nähe von Groß-Umstadt. Als junge Frau besucht sie in Michelstadt ein Jahr die Holzbildhauerschule. Eigentlich wollte sie schon immer Tänzerin werden und erfüllt sich diesen Traum mit einer Tanzausbildung in München. Da ist sie gerade Anfang 20. Bis zum Beginn ihrer Reise lebt und arbeitet Carolin Keller in München, verfolgt dort eigene Tanzprojekte, gibt Kurse und Workshops und bekommt schließlich 2009 Sohn Elijan. Die Verbindung zur Heimat und „ihrem geliebten Odenwald“ hat sie während dieser Zeit aber nie verloren.
Freilernen und Unschooling
- Das Konzept des Freilernens - auch als Unschooling bekannt - beschreibt eine alternative Form der Bildung, bei der Kinder und Jugendliche ohne den Besuch einer traditionellen Schule lernen.
- Statt einem festgelegten Lehrplan und starren Strukturen folgen Freilerner ihrem natürlichen Wissensdrang, indem sie Themen und Aktivitäten nach ihren eigenen Interessen und in ihrem eigenen Tempo erkunden.
- Freilernen setzt auf selbstgesteuertes Lernen und eine enge Begleitung durch Eltern oder andere Mentoren, die als Unterstützer und Wegbegleiter dienen, ohne den Lernprozess strikt zu lenken.
- Auch Elijan konnte auf der Reise mit seiner Mutter seine Interessen voll ausleben. Als er Italienisch lernen wollte, ist die Familie nach Italien gefahren. Inzwischen spricht Elijan fast fließend Italienisch.
- Die Schulpflicht in Deutschland hat historische Wurzeln, die bis ins 16. und 17. Jahrhundert zurückreichen, als die ersten Ansätze von verpflichtender Bildung im Zuge der Reformation entstanden.
- Ziel war es zunächst, allen den Zugang zur Bibel zu ermöglichen. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde die Schulpflicht flächendeckend eingeführt, um eine gebildete und für den Arbeitsmarkt qualifizierte Bevölkerung heranzuziehen.
- In einigen Ländern wie den USA oder Großbritannien ist das Freilernen unter bestimmten Auflagen erlaubt und weiter verbreitet. Dort gibt es größere Netzwerke und Unterstützungssysteme für Freilerner-Familien, wie Online-Ressourcen, Lerngruppen und staatlich anerkannte Prüfungen.
Woher kommt der Entschluss, die eigene Wohnung aufzugeben und mit einem Campingbus auf Reisen zu gehen? Einen einzelnen Grund kann Carolin Keller dafür nicht benennen. Schlussendlich war es wohl eine Kombination vieler Faktoren, die dafür gesorgt haben, dass Mutter und Sohn 2015 ihre Zelte in München abbrechen. „Elijan war immer ein sehr selbstbestimmtes Kind und ich wollte ihm die Möglichkeit geben, seine eigenen Fähigkeiten und Talente ganz frei zu entwickeln. Dass ich selbst keine guten Erfahrungen im deutschen Schulsystem gemacht habe, hat die ganze Sache wohl nur noch mehr unterstützt.“ Auch die Tatsache, dass es Carolin Keller in München schon länger nicht mehr wirklich gut geht, spielt hier eine Rolle.
Alle Habseligkeiten wanderten in einen Lagercontainer
Eigentlich wollten Mutter und Sohn erst einmal nur raus aus der Stadt und der ständigen Reizüberflutung entfliehen. Aus dem Wunsch des Landlebens wurde ein fahrendes Zuhause und ein angemieteter Lagercontainer, in den alle Habseligkeiten kommen, die nicht mit auf Reisen können.
Aus den Monaten wurden Jahre. Während dieser Zeit war Elijan ein paar Mal Gast in einer Schule. „Er hat die Schule hier und dort gerne für eine kürzere Zeit besucht und konnte viele spannende Impulse mitnehmen. Gleichzeitig hat er sehr bewusst kritisiert, was ihn dort am Lernen hindert und warum er lieber selbstbestimmt lernt.“
Städtische Museen und Bibliotheken wurden die Bildungseinrichtung der kleinen Familie. Der Unterricht für Elijan war, genau wie die Reise selbst, ganz flexibel. Mutter und Sohn besuchten die unterschiedlichsten Länder in Europa und blieben dort, wo es ihnen besonders gut gefiel. Finanziert hat sich die kleine Familie durch Arbeiten auf Bauernhöfen. „Wir haben Tiere gehütet und auf Häuser aufgepasst und einfach mitgeholfen. Im Gegenzug konnten wir fast überall umsonst wohnen.“ Auch eigene berufliche Projekte verfolgte Carolin Keller während dieser Zeit. „Es ist erstaunlich, zu was sich der Mensch entwickeln kann, wenn er sich frei entfalten darf.“
Faszniert von der freien Entfaltung der Kinder
Keller ist überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, Elijan nicht zur Schule zu schicken, sondern auf diese besondere Reise zu gehen. Die Mutter ist fasziniert davon, welche Fähigkeiten und Talente Kinder entwickeln, wenn sie sich frei entfalten dürfen, und würde diese Reise immer wieder beginnen. Aus ihrem Buch hat sie am Sonntag in der ehemaligen Synagoge in Leutershausen vorgelesen. Es ist sowohl als Hardcover und Taschenbuch erhältlich. Ein E-Book ist gerade in Arbeit.
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