Heidelberger Stückemarkt - Sechs Theatertexte junger Autorinnen und Autoren konkurrieren um mit 10 000 Euro dotierten Festival-Preis

Werther trifft auf Reichsbürger

Von 
Leon Igel
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Lesung mit verteilten Rollen (v.l.): die Schauspieler Nadja Rui, Marco Sykora und Lisa Förster tragen vor. © Sebastian Bühler

Heidelberg. Der Preis für Autorinnen und Autoren ist seit der ersten Ausgabe des Stückemarkts der Kern des Theaterfestivals. Aus den 96 Einsendungen noch nicht uraufgeführter Stücke hat die fünfköpfige Jury dieses Jahr sechs Texte ausgewählt, die jetzt in Lesungen durch das Ensemble des Theater und Orchester Heidelberg vorgestellt wurden.

So gering die Vorgaben an die Texte sind, so ausschnitthaft spiegeln die sechs ausgewählten Autoren die gegenwärtige deutsche Dramatik wider. Trends werden in den Texten aufgegriffen und verarbeitet, ohne sich in Plattitüden aus den Schreibstuben zu ergehen. Insofern kann die Auswahl der sechs Stücke als gelungen gelten. Mit viel Gespür verarbeiten sie Aspekte, die die Menschen umtreibt. Dabei setzen die Texte unterschiedliche Akzente.

Das Theater reflektiert sich gerne. In Zeiten von Fakten-Skeptizismus und einer Welt, die sich immer weniger Illusionen hingibt, versucht sich die Dramatik so, ihrer Stärke bewusst zu werden: das Theater als Ort der Illusion. „Lange gab es keine Karten, sondern nur Erzählungen“ sagt da etwa der Protagonist in Magdalena Schrefels „Ein Berg, viele“. Doch nicht nur auf der Handlungsebene reflektieren sich Schrefels Figuren, sondern auch das Stück selbst tut es, wenn es sich als Kostümfilm beschreibt und damit Gattungen überschreitet.

Goethe lässt grüßen

Daniel Ratthei hat sein Jugendstück „Werther in Love“ genannt. Der Titel verrät es, Goethe lässt grüßen. Die Bearbeitung von epischen Stoffen für das Theater bleibt auf den deutschen Bühnen also weiterhin beliebt. Bemerkenswert, wenn auch einen Bruch der Sehgewohnheiten auslösend, ist in diesem Kontext Caren Jeß’ „Bookpink“, das diesen Trend zur Gattungsüberschreitung weiterdenkt. Nicht der für das Drama kennzeichnende Dialog zwischen Menschen steht mehr bei ihr im Vordergrund, sondern im Stil eines bunten Erzählbandes erkundet die Dramatikerin mit sieben Dramoletten über Vögel die Grenzen des Gewohnten.

Selbstverständlich hat das Theater nicht nur sich im Blick. Alle Stücke – selbst wenn es um Vögel geht –betrachten den Menschen von heute. In klassischer Form macht das Teresa Dopler in ihrem Zwei-Personen-Stück „Das weiße Dorf“, das die Sehnsucht des Menschen als sinnstiftende Kraft erkundet. Zwei Liebende treffen auf einem Kreuzfahrtschiff aufeinander und reden an der Reling. Ein Handlungsort, alles geschieht in wenigen Stunden – die europäische Regelpoetik vergangener Tage wäre so eingehalten.

Auch der Heidelberger Dramatiker Björn SC Deigner arbeitet in seiner tragikomischen Milieustudie über Reichsbürger „Der Reichskanzler von Atlantis“ mit einer engen Form. Die ganze Welt des Kanzlers findet im heimischen Wohnzimmer statt – deutscher Apfelkuchen inklusive. Ebenso macht das Nadja Wieser in ihrem Kinderstück „Honig“ , das von Kindern in Krisengebieten handelt. Auch nutzt sie fleißig die moderne Wiederentdeckung des antiken Chors, um die starken Wirkungen von Erkenntnissen, die das Theater bietet, zu verdeutlichen.

Zwischen Strenge, Erweiterung und mehr oder minder starker Reflexivität bewegen sich diese sechs Texte der Autoren. Damit machen sie vor allem eines deutlich, und das ist altbekannt: Der Komplexität der Gegenwart kann man sich nur schwer nähern. So unverständlich die ist, so vielfältig müssen die Versuche sein, sie zu erklären. Inhaltlich ähneln sich die Texte also kaum, es wäre ja ein schlechtes Zeichen. Eins eint sie jedoch: Der Komplexität setzen die Autoren die Reduktion entgegen. Etwa, indem die Texte wenig Schauplatzwechsel oder wenige Schauspieler fordern. Das Große im Kleinen sehen, das bewährt sich immer mehr. Der mit 10 000 Euro dotierte Autorenpreis wird neben weiteren Auszeichnungen am Sonntag, 5. Mai, im Alten Saal des Heidelberger Theaters zum 36. Mal verliehen.

Der zentrale Wettbewerb des Festivals

  • Der „Autor*innenpreis des Heidel-berger Stückemarkts“ ist der Kern des Festivals. 78 Texte wurden durch Verlage eingereicht, 18 von Autoren selbst.
  • Die nominierten Stücke sind „Ein Berg, viele“ von Magdalena Schrefel, „Werther in Love“ von Daniel Ratthei, „Bookpink“ von Caren Jeß, „Das weiße Dorf“ von Teresa Dopler, „Honig“ von Nadja Wieser und „Der Reichskanzler von Atlantis“ von Blörn SC Deigner.
  • In der Stückemarkt-Jury sitzen die Regisseurin Brit Bartkowiak, der Schauspieler und Autor Stefan Hornbach, der Journalist Andreas Jüttner, der Heidelberger Dramaturg und Autor Jürgen Popig und die Lektorin und Dramaturgin Maja Zade.

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