Heidelberg. Mittwoch in den Pfingstferien. Ein regnerischer Abend. Kaum jemand unterwegs. Nur ein nickend herüberschauender Hundebesitzer. Er führt seinen weiß-schwarzen Vierbeiner Gassi und trifft bald auf einen weiteren Tierbesitzer. Die Menschen begrüßen sich freundlich, der beige Langhaar-Strubbel kläfft seinen Artgenossen an. Erste Bewohner im neuen Viertel. Die Männer lachen sich verlegen zu und ziehen weiter. Aufkeimende Vertrautheit, wo früher Militärgeschichte geschrieben wurde.
Lange war der Bereich zwischen Römer- und Sickingenstraße sowie Im Bosseldorn eine echte „No-Go-Area“ für Normalbürger: Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center konnte man aus dem Rest der Stadtteile Rohrbach und Südstadt aus noch nicht einmal erahnen, was sich hinter den Mehrfachzäunen, Wachposten und Sichtschutzflächen verbarg.
Von 1945 bis 2013 wurde etwa ein Drittel der Südstadt – 43,4 Hektar – von der US Army und der NATO genutzt. Im Headquarter und in abhörsicheren Gebäuden wurden Truppen in ganz Europa befehligt. Hoch dekorierte Generäle luden nach dem Krieg honorige Bürger zum Truthahnessen an Thanksgiving. Tee und Törtchen gab’s im Garten, unter alten Eichen, die zu Zeiten der „Großdeutschen Kaserne“ gesetzt worden sein mögen.
Donnerstagmittag. Dunkelgrüne Tische und Metallsessel, die aussehen wie jene im Jardin du Luxembourg in Paris, stehen hinter der alten Generalsvilla. Die alten Bäume haben die Zeitenwende überstanden und spenden Schatten. Vier Frauen sitzen hier und genießen ihr Mittagessen aus zusammengefalteten Pappschachteln. Auch das erste Gastronomieangebot im neuen Viertel, in dem insgesamt gerade 1200 Wohneinheiten entstehen, hat geöffnet: Ein Imbisswagen im Stil eines amerikanischen Schulbusses. Auf der Speisekarte stehen auch Burger. Wer sie oder eine Bratwurst bestellt, bekommt das Essen frisch gegrillt: Auf Vorrat zu produzieren, macht noch keinen Sinn.
Mark Twain (1835 – 1910), der US-amerikanischer Erzähler und bis heute vermutlich millionenfach zitierte Satiriker, verbrachte von Mai bis Juli 1878 einige Wochen in Heidelberg. In der Heidelberger Südstadt, wo nun das Zentrum für transatlantische Beziehungen unter seinem Namen öffnete, ist er höchstens über Felder herumgebummelt – die Stadt endete damals etwa an der heutigen Bahnhofstraße und wuchs erst langsam darüber hinaus Richtung Süden. Der Bahnhof lag noch im Zentrum, die Weststadt war das Neubaugebiet und hatte noch nicht diesen Namen. Twain und sein Gefolge spazierten durch die Altstadt, auf dem freien Neckarufer und genossen im alten Berggasthof auf dem Königstuhl Kost und Logis.
„Andere Park (Common Ground)" in der Heidelberger Südstadt
- Der „Andere Park (Common Ground)“ ist ein rund sechs Hektar großer Grün- und Begegnungsraum auf beiden Seiten der Römerstraße in der Heidelberger Südstadt.
- Baubeginn war im Mai 2020.
- Er entstand auf einer Konversionsfläche (ehemals Mark-Twain-Village/Campbell-Barracks).
- Im November 2016 wurden 5,9 Millionen Euro Bundesmittel aus dem Topf „Nationale Projekte des Städtebaus“ zugesichert.
- Das Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) wurde am 14. Mai, dem bundesweiten „Tag der Städtebauförderung“, freigegeben.
- Im Januar 2018 entschied sich die Jury des Architekturwettbewerbs für den Entwurf von Robin Winogond und das Züricher Büro Studio Vulkan.
Rot wie ein Tennisplatz
Die Grünflächen entwickeln sich noch. Ein kniehoher, roter Plastikzaun umrandet auf beiden Seiten die schmalen neuen Wege. Die breiteren und geraden Strecken, die die Versorgung des weitgehend autofreien Quartiers ermöglichen, sind in der Farbe eines Tennisplatzes gehalten: Ascherot. Ursprünglich sollten sie grün getönt sein. Das „Grüne Band des Wissens“ lautete der Arbeitstitel. Doch ein grünes Band als Markenzeichen erschien einem Bankinstitut gar nicht sympathisch. Ein Farbwechsel wurde nötig. Der nicht allzu harte Bodenbelag erscheint perfekt für viele Zwecke: Joggen, Radeln, Skaten, Laufenlernen. Doch im Moment bleibt die Strecke weitgehend leer. Ein junges Paar schlendert vorbei. Die Augen scannen die Rohbauten ab. Vielleicht Wohnungsinteressenten? Die meisten Wohnungen sind bereits verkauft, die Vermietung geht an den zweiten Abschnitt.
An den alten Baumbestand des früheren Kommandantengartens schließt sich zwischen historischen Gebäuderiegeln, die neue Leben erhalten, ein Platz, ideal zum Picknicken, an. Die in Kreisen geformten Betonsitze und Tische sind aus dem Bestand der Campbell Barracks zusammengetragen.
Daneben das wegen seiner Grundrissform „H“-Gebäude genannte Haus. Es hatte jahrzehntelang zugemauerte Fenster und einen abhörsicheren „War Room“ mit Tresortüren als Zugängen. Investor Hans-Jörg Kraus durfte ein gläsernes Staffelgeschoss auf den Mittelteil des Denkmalschutzobjekts setzen und in die Obergeschosse ein paar Fenster einziehen. Die alten, zugemauerten sind bewusst farblich erkennbar geblieben. Ein Inkassounternehmen bereitet seinen Einzug vor. Das Firmenschild ist schon stolz vor den Bauzaun platziert. Aus einem Teil des Erdgeschosses klingt Kinderlachen in den mit bunten Spielgeräten bestückten Kita-Garten. Die Überführung von Alt in Neu, von militärisch zu zivil: Hier bleibt sie besonders nachvollziehbar.
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