Soziales

Warum der Heidelberger „CityCult“ schließen muss

Der Kinder- und Jugendtreff in der Heidelberger Altstadt schließt nach 23 Jahren endgültig seine Türen.

Von 
Joachim Klaehn
Lesedauer: 
Der Altstadt-Jugendtreff CityCult ist seit einigen Jahren in der Villa Klingenteich untergebracht. © Jegliche Verwendung ist honorarpflichtig und nur zu journalistischen/publizistischen Zwecken gestattet.

Heidelberg. Spurensuche lohnt sich immer. Vor allem dann, wenn es darum geht, die Geschichte der 23-jährigen, wechselvollen Historie einer Jugendeinrichtung zu umreißen. Der Kinder- und Jugendtreff „CityCult“ ist lange ein Refugium mit einigen Alleinstellungsmerkmalen gewesen. Nun muss der altstädtische Anlaufpunkt für Generationen von Heranwachsenden offiziell und endgültig am 31. Mai geschlossen werden. Bereits seit dem vergangenen Oktober gab es keinen Tagesbetrieb mehr.

Pfarrer Gunnar Garleff verteidigt das „Aus“ von CityCult. © Jegliche Verwendung ist honorarpflichtig und nur zu journalistischen/publizistischen Zwecken gestattet.

Die Gründe für das Aus der jugendlichen Kultstätte „Villa Klingenteich“, ehemalige Gaststätte der altehrwürdigen, 1896 erbauten Klingenteichhalle, basieren auf einer komplexen Gemengelage, die gesellschaftliche, strukturelle, schulische, soziale und finanzielle Aspekte einschließt. „Wir haben eine Veränderung bei den Bedürfnissen und im Freizeitverhalten der Jugendlichen festgestellt“, sagt Pfarrer Gunnar Garleff im Gespräch mit dieser Redaktion, „es gab zu wenig Nachfrage für offene Angebote. Dies ging einher mit einer veränderten Bevölkerungsstruktur in der Altstadt.“ Garleff führt seit 2020 das Geschäft der Jugendarbeit in der evangelischen Kirche, die stadtteilübergreifend für die Treffs „Holzwurm“ (Boxberg), „ZYUZ“ (Ziegelhausen), „Kinderklub“ (Kirchheim), „Waldtreff“ (Handschuhsheim) und eben „CityCult“ (Altstadt) als deren Träger zuständig ist.

Zahlreiche Gespräche zwischen Kirche und Stadt

Immer wieder wurden Kooperationsgespräche zwischen der evangelischen Kirche und der Stadt Heidelberg geführt. Beide Institutionen widersprechen dem Inhalt eines Medienartikels, wonach die Schließung von „CityCult“ mit der defizitären Haushaltslage der Kommune zusammenhinge. „Es gab unzählige Gespräche zwischen Kirche und Stadt, welche Maßnahmen wir beim City-Cult ergreifen müssen“, berichtet Katja Weiß, Abteilungsleiterin beim Amt für Kinder-, Jugend- und Familienförderung, „wir haben beispielsweise eine Umfrage an die Altstadt-Haushalte gemacht, Ideen wie Familien-Samstage umgesetzt, die Schließtage verändert oder versucht, die Jugendlichen mit Angeboten wie Basketball und Rapmusik anzulocken.“

Jugendtreff City-Kult

Gegründet: Sommer 2001; damalige Träger: Evangelische und katholische Kirche

Kooperationen: Hölderlin-Gymnasium, Theodor-Heuss-Realschule, Friedrich-Ebert-Grundschule

Leitung: Sozialpädagoge Markus Tiemeyer

Offizielles Ende: 31. Mai 2025, Schließung seit Oktober 2024

Träger: Evangelische Kirche; Geschäftsführende Jugendarbeit: Pfarrer Dr. Gunnar Garleff

Auftraggeber und Förderer: Amt für Kinder-, Jugend- und Familienförderung der Stadt Heidelberg

Jugendtreffs der evangelischen Kirche in Heidelberg: „Holzwurm“, „ZYUZ“, „Kinderklub“ und „Waldtreff“ jog

Kein noch so originelles, innovatives Konzept habe dauerhaft Wirkung gezeigt. Eine traurige Erkenntnis. Die Besucherzahlen fielen durchschnittlich vom zwei- in den einstelligen Bereich. „Die Altstadt ist ein grundsätzliches Thema“, so Katja Weiß einordnend, „der Standort in der Klingenteichstraße liegt ungünstig und ist auch deshalb im offenen Treff nicht wirklich attraktiv.“ Außerdem, ergänzt Gunnar Garleff, habe man gelernt, dass „der Berg anders funktioniert als die Flächen in der Stadt“. Eine Anspielung auf den Status quo beim „Holzwurm“. Mit 50, 60 Jugendlichen am Tag platzt die an die Boxberger Waldparkschule angegliederte Einrichtung aus allen Nähten. Hier soll alsbald eine neue Stelle im Team um Ingo Smolka, Leiter des Jugendzentrums, geschaffen werden.

Die City Cult-Schließung berührt auch emotional

Apropos Personalien: Erschwerend kam für den „CityCult“ hinzu, dass Leiter, Sozialpädagoge und „Spiritus rector“ Markus Tiemeyer (52) länger ausfiel und seine Kollegin Melanie „Melle“ Munz, eine studierte Modedesignerin, zum Oktober 2024 kündigte. Neben allen rationalen Argumenten, die den Abschluss begründeten, darf die emotionale Seite nicht außer Acht gelassen werden. „Der ,CityCult‘ war sein Ein und Alles, sein Baby und Lebenswerk“, sagt der ehemalige Dreikäsehoch, Jugendliche und spätere FSJ‘ler Julian Kübel in der „Villa Klingenteich“, „Markus hat die ganze Jugend von anderen und auch mir begleitet. Das war für uns alle enorm hilfreich. Gerade die Verbindung zwischen Jugendtreff und HTV-Basketball hat in beide Richtungen prima funktioniert.“ Ein schöneres Lob gibt es kaum. Julian Kübel ist inzwischen 33, Konditormeister, Juniorchef des „Café Schafheutle“ und vierfacher Familienvater. Viele der ehemaligen „CityCult’ler“ sind Pädagogen oder Ärzte geworden. Julians Bruder Florian (31) letzteres.

Die „Küche der Nationen“ war traditionell ein Höhepunkt der Aktionen von CityCult. © Jegliche Verwendung ist honorarpflichtig und nur zu journalistischen/publizistischen Zwecken gestattet.

Im Laufe von über zwei Jahrzehnten Jugendtreff sammeln sich Episoden und Anekdoten an. Gemeinsame Erlebnisse, prägende Begegnungen und Erfahrungen am Limit gehören beim Erwerb von Team- und Sozialkompetenz dazu. Unvergesslich sind und bleiben Ferienprogramme, außergewöhnliche Formate und Aktionen – belegt an einigen ausgewählten Beispielen. Zwischen 2008 und 2019 hatte „CityCult“ insgesamt zwölf „Actionfreizeiten“ im Selbstversorgerhaus „Campotel“ in Saint-Bauzille-de-Putois in den südfranzösischen Cevennen angeboten. Jeweils 17 Tage lang genossen insgesamt knapp 400 Jugendliche und eine Crew aus Leitung, Teamern und ehrenamtlichen Betreuern jene Mixtur aus Camp-Leben, Landes- und Gesellschaftskunde, Bildung und Lagerfeuer-Romantik. Darüber hinaus gilt es die Sozialprojekte „Junge Alte“ im Wilhelm-Frommel-Haus, „Bedürftigenfrühstück“, Waldfreizeiten, Rap-Workshops, Detektivspiele „007 City Bond ermittelt“, Kleidertauschparties, das Multi-Kultprojekt „Küche der Nationen“ sowie die Gespräche mit dem Holocaust-Überlebenden Hans Flor (2023 im Alter von 96 Jahren verstorben) unbedingt zu erwähnen.

CityCult in Heidelberg: „Dieser Jugendtreff hat Spuren hinterlassen“

„Ich hatte den schönsten Job der Welt“, blickt Markus Tiemeyer auf die bewegende „CityCult“-Ära zurück. Enge Kooperationen mit den drei Altstadtschulen Hölderlin-Gymnasium, Theodor-Heuss-Realschule und Friedrich-Ebert-Grundschule, aber auch die großzügige Unterstützung von vielen Vereinen, Institutionen, Geschäften und Unternehmen aus der Altstadt machten diesen offenen Treff für Kinder und Jugendliche aus. „Dieser Jugendtreff hat in der Altstadt und bei vielen Jugendlichen Spuren hinterlassen“, sagt Pfarrer Garleff, „Markus und viele Betreuer haben lange den Nerv der Zeit getroffen. Wir stehen als Kirche wie Stadt gemeinsam vor der Herausforderung, wie wir jenseits der digitalen Welt Zugänge zu Kindern und Jugendlichen bekommen.“

Als Trägergemeinde wolle man generell Menschen zusammenbringen. „Mister CityCult“ Tiemeyer bleibt der evangelischen Kirche als Sozialpädagoge erhalten. Wetten, dass Markus Tiemeyer Ende Mai die Türen der „Villa Klingenteich“ selbst abschließen wird …

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke