Supreme Court-Urteil

Warum Dax-Konzerne aus der Region die Reisekosten für eine Abtreibung in den USA übernehmen

Ein Schwangerschaftsabbruch nach der sechsten Woche ist künftig in vielen US-Bundesstaaten verboten - wie und welche deutsche Arbeitgeber betroffene Frauen unterstützen.

Von 
Bettina Eschbacher
Lesedauer: 
Befürworter eines liberalen Abtreibungsrechts demonstrieren in Washington. © dpa

 Unterstützung von US-Firmen - Angst vor digitalen Spuren

Eine Reihe US-Unternehmen hat bereits konkrete Unterstützung für betroffene Mitarbeiterinnen verkündet, die für einen Schwangerschaftsabbruch in einen anderen US-Staat reisen.

So will Amazon die Reisekosten erstatten, wenn eine Abtreibung im Umkreis von 100 Meilen um den Wohnort nicht möglich ist. Das könnte vor allem im Süden der USA der Fall sein, wo sich mehrere Staaten mit Abtreibungsverbot aneinanderreihen. Medienberichten zufolge wollen unter anderem Starbucks, Disney, Ikea US, Master Card, Tesla, CNN, New York Times und der Facebook-Konzern Meta die Reisekosten zahlen.

Der Outdoor-Spezialist Patagonia versprach laut Bloomberg sogar, die Kautionskosten für Mitarbeitende zu tragen, die bei Protesten gegen Abtreibung festgenommen wurden. Der Fahrdienst Uber hatte bereits im Frühjahr angekündigt, alle juristischen Kosten für Fahrer zu übernehmen, die zum Beispiel schwangere Frauen in eine Abtreibungsklinik bringen.

Gleichzeitig wächst gerade bei Bürgerrechtlern in den USA die Sorge, dass digitale Spuren für Frauen zu Gefahr werden könnten. Sei es die Textnachricht an eine Freundin, die Google-Suche nach einer Abtreibungsklinik, Ortungsdienste für die Fahrt dahin oder Apps, mit denen Frauen ihren Menstruationszyklus verwalten - Ermittler könnten die Daten von Tech-Konzernen nutzen, um einer Frau eine Abtreibung nachzuweisen.

Ob es dazu kommt und in welchem Umfang das juristisch möglich wäre, ist noch unklar. Aber App-Anbieter arbeiten zum Beispiel schon an der Anonymisierung sensibler Daten, um dem späteren Auslesen und der Zuordnung zu einer bestimmten Person schon vorab vorzubeugen. be/dpa

Es ist eine besondere Form der Unterstützung für Mitarbeiterinnen in den USA und ein äußerst sensibles Thema für Arbeitgeber. So sensibel, dass Unternehmen wie SAP ihre Unterstützung erst einmal verklausuliert ausdrücken. Auf Internet-Plattformen wie LinkedIn fallen Stichworte wie Supreme Court, (Oberster Gerichtshof), „health“ (Gesundheit), „safe (sicher) und „benefits“ (Leistungen). Auch Cawa Younosi, SAP-Personalchef für Deutschland, hat einen solchen englischsprachigen Post abgeschickt.

In der Verbindung der Stichworte ist die Botschaft klar: Es geht um die Unterstützung von weiblichen Beschäftigten, die in einen anderen US-Bundesstaat reisen müssen, um einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen - weil dieser in ihrem Heimatstaat verboten ist. Auf Nachfrage dieser Redaktion teilte neben SAP auch BASF mit ihrer US-Gesellschaft BASF Corporation mit, dass man in diesen Fällen die Reisekosten übernehme.

Merck prüft noch Folgen

Die Unternehmen haben zwar ihren Sitz in Deutschland, aber auch große Gesellschaften in den USA. „Die gesundheitlichen Belange aller unserer Mitarbeitenden haben für uns höchste Priorität“, erklärt eine SAP-Sprecherin. Weitere Dax-Konzerne in der Region, HeidelbergCement und Daimler Truck, äußern sich weniger konkret. Merck in Darmstadt prüft noch die Folgen des Urteils.

Die finanzielle Unterstützung von SAP und BASF bekommt besonderes Gewicht durch das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA vom 24. Juni, das ein landesweites Grundrecht auf Abtreibung gekippt hat. Daher haben jetzt die einzelnen Bundesstaaten hier die Gesetzeshoheit. In Folge haben inzwischen nach Zählung der „Washington Post“ fast 20 dieser Staaten Gesetze, die ein Totalverbot ab der sechsten Woche für einen Schwangerschaftsabbruch bedeuten und die schon in Kraft getreten sind oder dies in den nächsten Wochen tun. Allesamt werden von Vertretern der republikanischen Partei regiert.

Das Verbot gilt etwa in Texas, Arizona, South Carolina oder Ohio. Weitere Staaten bereiten ähnliche Regeln vor. Es wird erwartet, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach der sechsten Woche künftig in 26 der 50 US-Staaten verboten ist. Frauen in diesen Bundesstaaten müssen für eine Abtreibung in andere Regionen reisen, wo ein Abbruch weiterhin legal ist - etwa in Kalifornien, den Neuengland-Staaten, Oregon oder Maryland.

Für Aufsehen sorgte gerade ein Fall aus dem Bundesstaat Ohio. Ein zehn Jahre altes Mädchen, geschwängert durch eine Vergewaltigung, musste in den Nachbarbundesstaat Indiana reisen, um ärztliche Hilfe zu bekommen.

Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs werde „die BASF Corporation in den USA weiterhin Zugang zu medizinischer Versorgung für berechtigte Mitarbeitende und gegebenenfalls deren berechtigte Angehörige anbieten“, heißt es bei der Ludwigshafener BASF. Darüber hinaus, so eine Sprecherin, übernehme die BASF Corporation weiterhin die reisebezogenen Kosten für diese Leistungen einschließlich der Reisekosten für eine Begleitperson.

Das Gesundheitswesen in den Vereinigten Staaten funktioniert anders als in Deutschland. Vielfach übernehmen die Arbeitgeber Teile der Krankenversicherung von Beschäftigten und deren Familienmitgliedern mit sogenannten „health plans“ und bestimmten „benefits“, also Leistungen. Und zu diesen Leistungen kann auch die Übernahme von Reisekosten bei Abtreibung gehören.

„Die BASF Corporation steht zu ihrer Verpflichtung, Leistungen und Unterstützung anzubieten, die den Mitarbeitenden helfen können, ihre persönlichen Entscheidungen zu treffen und den Zugang zu professioneller Gesundheitsversorgung zu erhalten, unabhängig davon, in welchem US-Bundesstaat sie leben“, betont die BASF-Sprecherin.

Ähnlich klingt die Aussage von Daimler Truck: „Daimler Truck North America möchte jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter den gleichberechtigten Zugang zu den Zusatzleistungen des Unternehmens ermöglichen, unabhängig davon in welchem Bundesstaat sie sich aufhalten.“ Allerdings vermeidet eine Sprecherin des Lkw-Herstellers selbst auf Nachfrage, zu konkretisieren, ob es bei den Zusatzleistungen auch um Unterstützung bei Schwangerschaftsabbrüchen geht.

Der Baustoffhersteller HeidelbergCement gibt keine direkt Antwort auf die Anfrage dieser Redaktion, ein Sprecher erklärt dazu: „Unsere Priorität als Arbeitgeber ist es, unsere Mitarbeitenden bei ihren Gesundheitsentscheidungen im Rahmen der jeweiligen Bundes- und Landesgesetze und unserer bestehenden medizinischen Leistungsprogramme zu unterstützen.“ Ein Schwangerschaftsabbruch sei eine sehr persönliche Angelegenheit.

Dagegen betont die SAP-Sprecherin, dass der Walldorfer Software-Konzern seine Unterstützung für betroffene Frauen auch als öffentliches Signal sieht: „Wichtig ist uns ein klares Zeichen der Solidarität, jenseits der praktischen Unterstützung.“ SAP erfahre sehr viel Zustimmung für das Angebot, gerade von US-Kolleginnen. Wer eine Übernahme der Reisekosten in Anspruch nehme wolle, bekomme volle Vertraulichkeit und unbürokratische Hilfe zugesichert.

Unklare rechtliche Lage

Laut einer Merck-Sprecherin analysiert der Darmstädter Pharmakonzern aktuell, wie sich das Urteil des Obersten US-Gerichtshofs „auf unsere Mitarbeitenden und ihre Familien auswirken wird.“ Dazu gehöre auch die Frage, welche US-Bundesstaaten Einschränkungen oder Verbote in Bezug auf Abtreibungen haben oder einführen werden. Die Sprecherin betonte: „Unser Leistungsangebot wird sicherstellen, dass alle Mitarbeitende unabhängig von ihrem Wohnort Zugang zu unseren Leistungen haben, soweit dies nach geltendem Recht zulässig ist.“

Die rechtliche Lage ist unübersichtlich. In einigen Bundesstaaten laufen aktuell Klagen, die Schwangerschaftsabbrüche weiterhin durchsetzen wollen, oder es gibt sich widersprechende Gesetze. In Ohio und anderen konservativ regierten Bundesstaaten wollen die Republikaner wiederum „Abtreibungstourismus“ gesetzlich verbieten.

Damit würden Frauen nach ihrer Rückkehr von einer Abtreibung in einem anderen US-Bundesstaat kriminalisiert - und womöglich auch die, die sie unterstützt haben. In dem aufgeheizten politischen Klima des Landes sind auch Repressalien gegen Unternehmen nicht ausgeschlossen. So hatten republikanische Politiker gefordert, öffentliche Verträge mit der Citygroup auszusetzen, weil diese die Reisekosten-Übernahme unter ihren Gesundheitsleistungen führt.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen