Kampagne

Unikliniken sagen sexualisierter Belästigung den Kampf an

Übergriffigkeiten unter Kollegen sind im Gesundheitswesen offensichtlich an der Tagesordnung. Das wollen die Unikliniken im Südwesten nun nicht mehr hinnnehmen.

Von 
Bernhard Zinke
Lesedauer: 
Entsprechend gestaltete Schaufensterpuppen sind Teil der Kampagne „Klara Kante gegen sexualisierte Belästigung“. © Universitätsklinikum Ulm

Das Wichtigste in Kürze

* Die Unikliniken in Baden-Württemberg starten eine Kampagne gegen sexualisierte Belästigung. * Eine Umfrage zeigt, dass 71 Prozent der Beschäftigten Belästigungen erlebt haben. * Die Kliniken schaffen auch Anlaufstellen für Betroffene.

Heidelberg. Die vier Universitätsklinika in Baden-Württemberg haben ein geminsames Problem: Ganz offensichtlich ist in der Belegschaft sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz an der Tagesordnung. Das hat zumindest eine Befragung unter Beschäftigten ergeben. Etwa ein Fünftel aller Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter haben daran teilgenommen, genau 9905 Personen. Die Ergebnisse sind eindeutig – und höchst irritierend.

Demnach haben 71 Prozent schon einmal eine sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz erfahren, 37 Prozent innerhalb jüngster Zeit. Die Befragung fand bereits im Jahr 2022 statt. Jetzt reagieren die Einrichtungen darauf. Sie haben eine großangelegte Kampagne gestartet und zeigen „Klare Kante gegen sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz“. Das Thema werde nun durch Plakataktionen, Postkarten und Gespräche allgegenwärtig. Es soll weitere Aktionen während des ganzen Jahres geben, sagt Yvonne Dintelmann, Pflegedirektorin am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Klinik werde das Thema ständig auf der Tagesordnung haben.

Unerhörte Sätze im Klinikalltag

In der anonymen Befragung schrieben die Personen zum Teil Zitate auf, mit denen sie konfrontiert wurden: „Studentin! Nimm die Hände unter die Nippel“ lautet einer dieser Sätze. Auch Fragen wie „Trägst du Unterwäsche?“ haben Studentinnen schon gehört. Eine andere Betroffene notierte den Kurzdialog „Kann ich noch etwas tun? - Kannst mir einen runterholen“ als Zitat auf dem Fragebogen.

Es sei kaum zu glauben, dass solche Sätze an den Uniklinika im Südwesten gefallen seien, sagt Daniela Harsch, kaufmännische Direktorin des Klinikums in Tübingen. „Das darf nicht vorkommen!“, macht auch Yvonne Dintelmann in Heidelberg unmissverständlich klar. Solche Erlebnisse könnten weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen haben und sich letztlich auch auf das Arbeitsklima auswirken. Mit der nun startenden Kampagne wollen die Einrichtungen unmissverständlich klarmachen: Es gibt null Toleranz bei dem Thema.

Sexualisierte Belästigung



Als sexualisierte Belästigung gilt unerwünschtes Verhalten sexueller Natur, das für die betroffene Person anstößig ist und dazu führt, dass sie sich bedroht, gedemütigt oder beschämt fühlt.

Der Begriff sexualisierte statt sexueller Belästigung wird vermehrt genutzt, um zu verdeutlichen, dass es nicht um eine rein sexuelle Absicht geht, sondern auch um die Ausübung von Macht und Kontrolle.

Da strukturelle Abhängigkeiten eine bewusste Machtausübung mit sexuellen Mitteln begünstigen, kann diese auch gehäuft an Universitäten auftreten.

Sexualisierte Gewalt ist laut Paragraf 184 des Strafgesetzbuchs ein Straftatbestand und kann mit bis zu zwei Jahren Gefängnisstrafe geahndet werden. bjz

Da die Befragung anonym und an allen vier Universitätsklinika in Heidelberg, Freiburg, Tübingen und Ulm gestartet wurde, lassen sich die Zitate nicht zuordnen, wo sie gefallen sind. Da aber der Heidelberger Anteil mit 2830 Beschäftigen und 28 Prozent leicht überproportional vertreten ist, dürften diese oder ähnliche Sätze auch im Neuenheimer Feld zu hören gewesen sein.

Auch körperliche Formen der sexualisierten Belästigung

Auch die anderen Ergebnisse aus der Statistik vermitteln einen Eindruck davon, wie es im klinischen Alltag zuweilen zugeht. Über ein Drittel der Befragten berichtete demnach, dass sie auch eine körperliche Form der sexualisierten Belästigung erfahren haben. Ein Drittel derer fühlte sich sogar bedroht. Die Betroffenen verspüren Ekel und ärgern sich über sich selbst, dass sie die Belästigung nicht klarer abgewehrt haben. Sie berichteten von einem reduzierten Selbstwertgefühl und empfundener Erniedrigung. Das könne ihnen das Leben zur Hölle und die Arbeit unerträglich machen, sagt Daniela Harsch. „Das muss aufhören, wir dulden das nicht“, sagt sie in dem Video zur Kampagne und zerreißt die Zettel mit den üblen Zitaten.

Solche Aufkleber begleiten die Kampagne der Uniklinika im Südwesten. © Universitätsklinikum Heidelberg

Anlass für die Befragung waren Studien, die bundesweit in Kliniken sexualisierte Belästigung als Problem benennen. Für die Berliner Charité beispielsweise liegen entsprechende Erkenntnisse vor. Das größte deutsche Klinikum hatte schon 2015 eine wissenschaftliche Studie zu sexuell motivierten Grenzverletzungen aufgelegt. Die Erhebung „Watch – Protect -Prevent“ (Hinschauen – Schützen – Verhindern) erfährt jetzt eine Folgeuntersuchung.

21 Prozent sind eine Quote, mit der man etwas anfangen kann.
Yvonne Dintelmann Pflegedirektorin des Universitätsklinikums Heidelberg

Das Land wollte daraufhin herausfinden, wie es im Südwesten aussieht. Die Beteiligung war mit 21 Prozent so groß, dass sich klar abzeichnet: Sexualisierte Belästigung ist eindeutig auch hier ein Thema – mit entsprechend hoher Dunkelziffer. Immerhin haben sich knapp 80 Prozent nicht beteiligt. „Aber 21 Prozent sind eine Quote, mit der man etwas anfangen kann“, sagt Yvonne Dintelmann.

Warum finden aber ausgerechnet im Medizinsektor solche Grenzverletzungen statt? „Gerade in der Gesundheitsversorgung haben wir es häufig mit Emotionen zu tun“, versucht Yvonne Dintelmann zu erklären, da lägen schon mal die Nerven blank. Die Belästigungen gingen übrigens quer durch alle Berufsgruppen, sagt die Pflegedirektorin.

Es geht auch um Macht und Kontrolle

Ganz wichtig für die Klinika: Es geht um sexualisierte Belästigung, also nicht nur um sexuelle Absichten, sondern auch um die Ausübung von Macht und Kontrolle. Wer damit konfrontiert werde, reagiere mit Scham. Die Folge: die Belästigung werde tabuisiert. Deshalb wolle man vor allem sensibilisieren, hinschauen und ansprechen, was man sehe. Unbedachte Sprüche, Gesten, Berührungen, flapsige Kommentare sind nicht in Ordnung und werden nicht selten als übergriffig empfunden, erläutert die Pflegedirektorin. Deshalb gehe es darum, die Sinne zu schärfen, ein Bewusstsein im Alltag zu schaffen.

Es werden auch Anlaufstellen geschaffen für Opfer sexualisierter Belästigung. Neutrale Personen initiieren Gespräche und prüfen auch, ob übergriffiges Verhalten arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke