Wissenschaft - Ausstellung über das Schicksal jüdischer Mathematiker ist nach New York und Sydney jetzt in Heidelberg zu sehen

"Schmerzhafte Erinnerung"

Von 
Birgit Schillinger
Lesedauer: 

Im Mathematikon ist derzeit eine Ausstellung über jüdische Wissenschaftler zu sehen.

© Rothe

Man stelle sich vor, ein Drittel des akademischen Personals einer Fachrichtung wird entlassen. In jeder deutschen Universität verschwinden zahlreich Professoren, Assistenten und Doktoranden. Die Forschung und Lehre kommt zum Erliegen. Genau dies geschah, als die Nationalsozialisten jüdische Wissenschaftler der mathematischen Fakultäten "eliminierten". In diesem Fach war der Anteil der Juden besonders hoch. Denn jüdische Gelehrte pflegten schon immer die Mathematik, beispielsweise um im Mittelalter Kalendertage auszurechnen. Zum Vergleich: 1933 waren nur 0,8 Prozent der gesamten Bevölkerung jüdisch.

Preisgekrönte Schau

Die Ausstellung "Transcending Tradition" hat sich das Leben jüdischer Mathematiker im deutschsprachigen Raum zum Thema gesetzt. Die "Heidelberger Laureate Forum Foundation" hat die preisgekrönte Ausstellung nun an das Mathematikon geholt, nachdem sie bereits weltweit in mehreren Städten, wie beispielsweise Jerusalem, New York und Sydney, gezeigt wurde. Bei der Eröffnung sprach der Leiter des Projekts, Moritz Epple, über das Konzept. Die Ausstellung erinnert an die Blütezeit vor 1933. Damals waren Berlin und Göttingen weltberühmte Zentren der Mathematik. "Diese Erinnerung ist schmerzhaft und lässt uns nicht ohne Zorn zurück."

Briefe und Dokumente veranschaulichen die Demütigungen und Gefahren, die das Leben der jüdischen Wissenschaftler begleiteten. An Beispielen wird das Ausmaß deutlich. In Heidelberg wurden die jüdischen Mathematikprofessoren Arthur Rosenthal und Heinrich Liebmann von dem nationalsozialistischen Studentenbund schikaniert und boykottiert. Epple las den bewegenden Brief Rosenthals vor, in dem er dem gesellschaftlichen Druck nachgibt und gezwungenermaßen um seine Versetzung in den Ruhestand bittet. Einigen gelang die Flucht. Emmy Noether, die herausragende Mathematikerin aus Göttingen, hatte als Frau und Jüdin große Schwierigkeiten, ihre Habilitation zu erhalten, bekam dann keine Stelle und emigrierte in die USA. Dort unterrichtete sie bis zu ihrem frühen Tod mit 53 Jahren an einem Frauencollege. Andere konnten nicht fliehen: Der Mathematiker Felix Hausdorff hatte bereits 1901 offenen Antisemitismus erfahren, als es bei seiner Berufung Gegenstimmen gab. Die späteren Versuche, eine Anstellung in den USA zu bekommen und zu emigrieren, scheiterten an seinem Alter: Er war 74 Jahre alt. So begingen Felix Hausdorff, seine Frau und seine Schwägerin gemeinsam Selbstmord, um der Deportation zu entgehen.

Detailreiche Darstellung

Die englischsprachige Ausstellung im Foyer des Mathematikons zeigt an warmtönigen, detailreich gestalteten Holzwänden die vielen Aspekte des Themas: die wissenschaftliche Leistung der Juden am Beispiel ausgestellter Buch-"Klassiker", die kulturellen Beiträge, die sich auch in den Bereichen Didaktik, Philosophie und Literatur offenbaren, und die Lebensumstände. An den Wänden kann der Besucher etwas aufklappen, umdrehen, herausziehen oder sogar beschriften.

Der Standort im gerade vor wenigen Wochen fertiggestellten Mathematikon ist ideal: Die Studenten bleiben stehen, schauen hier und da genauer hin und stellen fest: "Ich kenne zwar die Namen der meisten Mathematiker, aber von ihrem Schicksal habe ich nichts gewusst."

Ausstellung "Transcending Tradition"

  • Noch bis zum 12. Juni zeigt die Stiftung Heidelberg Laureate Forum Foundation im Mathematikon (Im Neuenheimer Feld 205) die preisgekrönte Ausstellung "Transcending Tradition".
  • Sie beleuchtet die Tätigkeit jüdischer Mathematiker im 19. Jahrhundert bis zur Verfolgung und Vertreibung im nationalsozialistischen Deutschland. Sie war bereits in Jerusalem, New York und Sydney zu sehen.
  • Geöffnet ist die Ausstellung Montag bis Freitag, 8 bis 20 Uhr, Samstag, 9 bis 16 Uhr, sowie Sonn- und Feiertag von 13 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Freie Autorin Lehrerin für Deutsch und Mathematik am Schwetzinger Hebel-Gymnasium. Spezialgebiete:Schulthemen, Mathematik, Leichtathletik, Triathlon

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen