Während die Plakate an den Litfaßsäulen der Stadt nach und nach das Geheimnis lüften, was „feeLit“ bedeutet, haben die Organisatoren um Jagoda Marinic und Georg Bachmann sowie Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson jetzt das Programm des neuen „Internationalen Literaturfestivals Heidelberg“ vorgestellt: Mehr als 30 Veranstaltungen stehen vom 28. Juni bis 2. Juli im Spiegelzelt auf dem Uniplatz sowie in der Alten und Neuen Aula der Universität auf dem Programm.
Gleich vier Ingeborg-Bachmann-Preisträgerinnen, eine „Booker Prize“-Gewinnerin sowie die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Jahr haben zugesagt: Die Liste der Autorinnen und Autoren, die an den fünf Tagen im stimmungsvollen Spiegelzelt erwartet werden, verspricht ein hochkarätiges Programm.
30 Veranstaltungen
Eine, die sich schon sehr auf ihren Auftritt freut, ist Ece Temelkuran. Die türkische Exiljournalistin verlor ihren Job, weil ihre regierungskritische Kolumne nicht jedem gefiel. 2017 gewann sie den Preis des internationalen Literaturfestivals in Edinburgh. „Wille und Würde. Zehn Wege in eine bessere Gegenwart“ heißt ihr Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Solidarität, das im vergangenen Jahr bei Hoffmann & Campe erschienen ist.
„Emotionalität und Populismus“, sagt Temelkuran, die per Videokonferenztechnik zum Pressegespräch im „Europäischen Hof“ zugeschaltet ist, treten immer dann in den Vordergrund, wenn rationale Möglichkeiten „scheinbar verloren sind“. Es müsse aber auch andere Wege geben – jenseits der derzeit so dominierenden Angstrhetorik – „in die Köpfe und Herzen der Menschen zu gelangen und ihnen zu sagen, dass wir so nicht weitermachen können“, findet die Autorin. Auch wenn es gerade schwer sei, als Exilautorin nicht politisch zu sein, soll bei ihrer Lesung die Literatur im Vordergrund stehen. Denn: „Wann immer mein Land es mir erlaubt, schaffe ich etwas Schönes.“
Literaturherbst der Verlierer?
- Im November hatten sie das Arbeitspapier „Mehr Literatur wagen“ im Ausschuss für Kultur und Bildung vorgestellt – mit positivem Echo, so der Eindruck der Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung Literaturstadt Heidelberg“. Doch im neuen Doppelhaushalt soll kein Geld mehr vorgesehen sein für ihre Ideen.
- Jetzt fühlt sich die Gruppe im Schatten des neuen Leuchtturms „Internationales Literaturfestival Heidelberg“ stiefmütterlich behandelt: Es drohten sich „alle Befürchtungen, die in unserer Kritik vom Oktober über die zukünftige Literaturförderung geäußert wurden, zu bewahrheiten“: „Das ist der beste Weg, Bürger, die sich für Literatur einsetzen, zu entmutigen, nicht die Literaturszene der Stadt zu fördern“, heißt es in einer von vier Sprechern unterzeichneten Stellungnahme. „Die aktuelle Beschlusslage tut so, als könne man aus der Bürgerschaft an die Stadt herangetragene Ideen einfach ignorieren. Und sie tut so, als reiche es aus, den Titel einer Literaturstadt an fünf Tagen eines jährlich stattfindenden Festivals zu rechtfertigen. Das kann nicht gelingen“, heißt es weiter.
- Veronika Haas, Organisatorin des Heidelberger Literaturherbstes, hat eine Online-Petition „Retten Sie das Literaturherbst-Festival“ ins Leben gerufen (openpetition.de), die bis Donnerstag 366 Unterstützer gesammelt hat. Bislang hatte die Stadt diese Reihe mit 10 000 Euro Sachkosten unterstützt. Haas, der mitverantwortliche Verleger Lothar Seidler und die Autorenschaft hatten auf eine Institutionalisierung und dauerhafte Förderung gehofft und sehen die Zukunft des Literaturherbstes infrage gestellt. Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson erklärte auf Anfrage, dass dafür und für die Realisierung der Literaturförderprojekte im Haushalt von ihm gut 75 000 Euro vorgesehen gewesen wären, die aber gestrichen werden sollen – falls die Fraktionen das nicht stoppen. Der Haushalt soll am 20. Juli verabschiedet werden.
- Für das Literaturfestival, das seit Januar neu von der Autorin Jagoda Marinic kuratiert wird, sind 313 000 Euro plus interne Verrechnungen vorgesehen, bestätigten Erichson und Marinic. Das entspreche dem Etat der Vorjahre, als das Kulturamt das Festival ausrichtete. Marinic spricht sich für Vielfalt der Angebote aus – und sieht keinen Bezug der Finanzierung des Literaturherbstes zum Neuanfang ihres Festivals.
Das ist auch Jagoda Marinic, seit Januar künstlerische Leiterin der seit 30 Jahren bestehenden Veranstaltungsreihe, die bisher „Heidelberger Literaturtage“ hieß, sehr wichtig: Natürlich bringen die Autorinnen und Autoren die Themen ihrer Heimatländer mit ins Spiegelzelt. Vor allem aber sollen die Stoffe und Figuren ihren Zauber auf dem Festival verbreiten, hofft sie. „Sehr bewusst“ habe sie deshalb bei der Auswahl der Gäste auf Auszeichnungen geachtet: „Wo sind die Autoren, die in den vergangenen beiden Jahren erfolgreich waren, wer hat sich Aufmerksamkeit verdient?“, nennt Marinic Leitfragen. Die Eröffnungslesung am 28. Juni um 20 Uhr hält die Bachmann-Preisträgerin von 2020, Helga Schubert. Nach der Beziehung zu ihrer Mutter beschreibt die in der DDR aufgewachsene Schriftstellerin in „Der heutige Tag – ein Stundenbuch der Liebe“ nun das sich verändernde Leben mit ihrem an Demenz erkrankten Mann. Ana Marwan („Verpuppt“) liebt das Spiel mit Identitäten und erfundenen Persönlichkeiten, beschreibt Marinic die Arbeit der in Wien lebenden und in Ljubljana aufgewachsenen Autorin, die wie Sinthujan Varatharajah, der im Anschluss liest (28. Juni, 21.15 Uhr), eher eine Provokateurin sei. Neben den spannenden Begegnungen mit den Autoren unterschiedlichen Geschlechts biete das Festival die Möglichkeit, mit Verlagsvertretern und Lektoren ins Gespräch zu kommen. Am liebsten, sagt Marinic schmunzelnd, wären ihr Besucher, die „alle fünf Tage in das Festival eintauchen“ und mit den Akteuren und Organisatoren diskutieren und nachwirken lassen. Neue Ticketformen wie ein Paket für drei oder fünf frei wählbare Veranstaltungen sollen auch Wohngemeinschaften ermutigen, das Programm gemeinsam zu genießen. Marinic erinnert sich selbst noch gut daran, wie sie als Studentin die Gelegenheit genoss, hier herausragende Literaturschaffende zu erleben.
Hochkarätig, so verspricht sie, seien auch die Moderationen. So habe Michel Friedman zugesagt, am Sonntag, 2. Juli, mit Dirk Oschmann („Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“) auf dem Podium zu sitzen. Auch der Gründer der Literaturtage, der Heidelberger Verleger Manfred Metzner, lässt sich acht Jahre nach seinem Rückzug aus der Verantwortung wieder in die Pflicht nehmen und präsentiert am 29. Juni um 18.15 Uhr Aya Cissoko, Ex-Box-Weltmeisterin, Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin.
Von der Neben- auf die Hauptbühne: Die „Lange Nacht“ gilt am 30. Juli ab 21.30 Uhr den lokalen Autorinnen und Autoren sowie der Shortlist ihres Autorinnen- und Autorenpreises.
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