Sexualisierte Gewalt

Pfadfinderbund Nordbaden: Kritische Aufarbeitung von Missbrauchsfällen

Der Pfadfinderbund Nordbaden etabliert ein Präventionskonzept und sucht in Sachen Vergangenheitsbewältigung den Schulterschluss mit anderen Jugendbünden

Von 
Stefanie Ball
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Das Foto zeigt ein zerrissenes Kinderbild – Betroffene von sexuellem Missbrauch leiden häufig ihr Leben lang unter den Taten. © Julia Steinbrecht/KNA

Heidelberg. Führende Mitglieder des Pfadfinderbundes Nordbaden (PbN) werden des sexuellen Missbrauchs an Jugendlichen innerhalb oder außerhalb des PbN beschuldigt – mit dieser Nachricht ist der Bund in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gegangen (wir berichteten). Das Ganze kam durch Zufall ans Licht, und nach mehrjährigen Recherchen, die ehemalige und aktive Pfadfinderinnen und Pfadfinder vorangetrieben haben, wurden Täter ausfindig gemacht, darunter Wolfgang Held, der bereits im Skandal um das ehemalige Eliteinternat Odenwaldschule im hessischen Heppenheim Haupttäter war, ein Heidelberger Unternehmer namens Dieter S. sowie ein wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilter ehemaliger Leiter eines Mannheimer Kinderheims, Dieter F..

Der Großteil dieser Fälle liegt Jahrzehnte zurück, so dass die meisten Täter inzwischen verstorben sind. Eine beschuldigte Person lebt allerdings noch und wurde nach Aussage des PbN bereits aus dem Bund ausgeschlossen. Andere Jugend-Organisationen, in denen die Person ebenfalls aktiv war, wurden zudem über den Ausschluss informiert.

Um Fälle von sexualisierter Gewalt in Zukunft möglichst zu verhindern, hat der Pfadfinderbund überdies ein Präventionskonzept entwickelt und beschlossen. Das beinhaltet neue Strukturen, um auf Verdachtsmomente frühzeitig reagieren zu können. Zentral ist, dass durch Aufklärung und Schulungen eine Kultur des Hinsehens etabliert werden soll. In der Gruppenleiterausbildung beispielsweise soll das Thema Präventionsarbeit und Sexualpädagogik einen größeren Raum einnehmen und ist verpflichtende Voraussetzung, um eine Gruppe zu leiten. Daneben wird eine Vertrauensperson als Ansprechpartner etabliert. „Besonders wichtig ist aber, dass sich jedes Mitglied des Bundes verpflichtet, wachsam im Alltagsleben, auf Fahrten oder Lagern zu sein. Es sollen klare Verhaltensregeln bei Spielen oder Ähnlichem vereinbart werden, um Übergriffe in jedweder Form im Ansatz zu vermeiden. Im Bund soll offen und für alle sichtbar mit dem Thema umgegangen werden, um mögliche Gefahrensituationen zu minimieren“, betont der PbN.

Der Heidelberger Bund ist nicht der erste Jugendbund, der sich mit einer Vergangenheit konfrontiert sieht, in der die enge emotionale Bindung der Kinder und Jugendlichen zu ihren Leitern sowie das gemeinsame Leben insbesondere älteren Tätern mit pädophilen Neigungen Raum und die Möglichkeit zu sexualisierter Gewalt und sexuellem Missbrauch gegeben hat.

Am Wochenende werden der Mannheimer Ulrich Riehm, der selbst Mitglied beim Pfadfinderbund war und zusammen mit seinem Bruder die Recherchen um die Missbrauchsfälle angestoßen hat, sowie aktive Mitglieder des PbN an einer Nestbeschmutzerkonferenz auf der hessischen Burg Ludwigstein teilnehmen. Die Burg wurde 1920 von Jugendgruppen erworben und ist heute in Form einer Stiftung eine offene Begegnungsstätte; dort befindet sich auch das Archiv der deutschen Jugendbewegung. Die Konferenz richtet sich an Personen, die sich wie der PbN auf den Weg der Aufklärung und Aufarbeitung gemacht haben und dabei Widerstand, etwa von Altmitgliedern, erfahren. So ist es auch Ulrich Riehm ergangen: „Über die Ergebnisse unserer Recherchen waren nicht alle glücklich, manche haben argumentiert ,Lasst doch die alten Sachen ruhen, das schadet nur dem Bund, wenn solche Dinge öffentlich werden’.“

Freie Autorin

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