Verkehr

Neue Tempo-30-Zonen polarisieren in Heidelberg

In Heidelberg wird eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf wichtigen Straßen eingeführt, um den Verkehrslärm zu senken und Anwohner zu schützen.

Von 
Joachim Klaehn
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Auf der Mittermaierstraße gilt das Tempolimit schon. Jetzt soll es nahezu flächendeckend in Heidelberg eingeführt werden. © Jegliche Verwendung ist honorarpflichtig und nur zu journalistischen/publizistischen Zwecken gestattet.

Heidelberg. Die Verkehrswende soll kommen. Doch die Kernfrage ist in der Stadt Heidelberg wie überall: Durch welche Maßnahmen lassen sich Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessern und der Verkehrskollaps verhindern? Wie sehr das Aufreger-Thema Verkehr auch die Interessensvertretung der Bürgerinnen und Bürger polarisiert, wurde in der jüngsten Gemeinderatssitzung deutlich. Ein fortgeschriebener „Lärmaktionsplan“, der maßgeblich auf einer Initiative der Grünen-Fraktion beruhte, wurde mit einer hauchdünnen Mehrheit von 23 Ja- zu 22-Nein-Stimmen sowie drei Enthaltungen vom Gremium angenommen. Knapper geht’s nicht.

In der Universitätsstadt wird künftig weitgehend Tempo 30 umgesetzt. Der genaue Zeitpunkt der Einführung ist noch offen. Dem Gemeinderatsbeschluss gingen monatelange Debatten voraus. Selbst im Mobilitätsausschuss herrschte keine Einigkeit. Nun ist klar: Auf 22 weiteren Straßen, darunter Hauptachsen wie etwa der Berliner Straße, Bergheimer Straße, Kurfürsten-Anlage oder Römerstraße wird eine ganztägige Geschwindigkeitsbegrenzung gelten. Ein Kompromissvorschlag der SPD-Fraktion für Tempo 40 auf den Hauptverkehrsachsen, um den Verkehrslärm wirkungsvoll zu reduzieren, wurde hingegen abgeschmettert.

Rund 116.500 Berufspendler rund um Heidelberg

Was bedeuten Tempo-30-Zonen für verschiedene Zielgruppen? Rund 116.500 Berufspendler bewegen sich täglich rund um Heidelberg. Dabei wird zwischen Ein-, Aus-, Binnen-, Nah- und Fernpendlern unterschieden. Wohn- und Arbeitsort sind meist nicht identisch. Pendlerwege bilden sowohl mit dem motorisierten Individualverkehr als auch dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) einen Verknüpfungspunkt.

Wohnen am Arbeitsort liegt wieder zunehmend im Trend. Lukrative Städte wie Heidelberg bevorzugen Konzepte der Reurbanisierung, was sich insbesondere an der Bahnstadt und den Konversionsflächen in der Südstadt festmachen lässt.

Kritiker der Ausweitung von Tempo 30 warnen vor Konsequenzen, von denen gerade Pendler betroffen sind. Stadträtin Marlies Heldner (Die Heidelberger) mahnt: „Die Römerstraße ist die einzige Verbindung in Nord-Süd-Richtung, in der 50 gefahren werden kann. Wir legen den Verkehr früher oder später lahm.“ Die Verwaltung will ihrerseits nur nachts in den erwähnten Straßen auf Tempo 30 drosseln und verweist auf den „Klimamobilitätsplan 2035“, der derzeit ausgearbeitet wird und eine Verkehrsbündelung auf den Hauptachsen impliziert. Heldners Fraktionskollege Jochen Ricker weist auf Folgen des Grünen-Antrags hin: „Das wird auf Kosten der Pendler ausgetragen.“ Es komme zu zusätzlichen Kosten für RNV und Stadt und zu längeren Fahrtzeiten der Betroffenen. Und: Es bedürfe mehr Bahnen innerhalb des ÖPNV.

Mehr Sicherheit, mehr Klimaschutz, mehr Gesundheit

Im Gegensatz zu den Skeptikern eines kollabierenden Verkehrs denken die Befürworter von Tempo 30 anders. Die Pro-Argumente sind: mehr Sicherheit, mehr Klimaschutz, mehr Gesundheit für alle Anwohner und Verkehrslärmreduktion. „Ab dem Lärmpegel von 60 Dezibel ist keine Abwägung mehr möglich – Tempo 30 ist alternativlos“, sagt Christoph Rothfuß von den Grünen. Nach einer von der Stadt beauftragten Verkehrslärm-Kartierung werde in allen untersuchten Straßen der Wert von 60 Dezibel, bei Lärmwerten von über 70 Dezibel sogar die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung überschritten. Für die Unterstützer von Tempo 30 ist das verkehrstechnische Paket zumutbar, letztlich sei der Schutz von 500 bis 1.000 Anwohnern wichtiger als verlängerte Fahrtzeiten im motorisiert geprägten Verkehr.

Das Fahrradparkhaus unter dem Europaplatz ist das größte in ganz Baden-Württemberg. © Jegliche Verwendung ist honorarpflichtig und nur zu journalistischen/publizistischen Zwecken gestattet.

„Vorfahrt“ für Anwohner – der ehemalige Verkehrspolizist Michael Pfeiffer (GAL) gehört seit 2014 dem Gemeinderat an, sitzt in den Ausschüssen Umwelt und Mobilität, Sport, Jugendhilfe sowie Klimaschutz und sagt: „Eine Senkung der Geschwindigkeit von 50 auf 30 bedeutet eine extreme Verbesserung der Gesundheit für Anwohner.“ Süffisant merkt er an, dass jedwede Änderung im städtischen Verkehr stets Schreckensszenarien mit sich bringe. „Wir sollten den Ball flach halten“, so Pfeiffers Ratschlag, „es ist respektlos gegenüber den Menschen, die an betroffenen Straßen wohnen und sich dringend nach weniger Lärm sehnen.“ Pfeiffer gilt als Verfechter eines Fußgänger- und Radfahrer-freundlicheren Stadtgebietes und plädiert für einen wesentlich attraktiveren ÖPNV.

Größtes Fahrradparkhaus des Landes eröffnet

Im öffentlichen Nahverkehr sind keine weiteren Kürzungen vorgesehen. Die Stadt investiert vielmehr in die Infrastruktur, zum Beispiel im neuralgischen Bereich des Neuenheimer Feldes sowie für barrierefreie Bushaltestellen. Ab 23. Juni wird es indes erste Umstellungen im Fahrplan der Straßenbahnen und Buslinien geben. Lediglich die Linie 29 soll ab April 2026 einen schlankeren Linienweg fahren. Interessant für Berufspendler wie Tagestouristen: Unter dem Europaplatz wurde gerade erst ein Fahrradparkhaus mit 1.600 Stellplätzen eröffnet – das größte dieser Art in Baden-Württemberg. In den ersten 24 Stunden ist das Abstellen von Rädern kostenlos, ab dem zweiten Tag wird eine Gebühr – ein Euro pro Tag – erhoben, Jahrestickets kosten maximal 100 Euro.

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