Stadtführungen - Geführte Rundgänge starten wieder / Anschauliche Kostüm-Tour durch die Altstadt mit einer „Henkerstochter“

Mit einer „Henkerstochter“ durch die Heidelberger Altstadt

Von 
Christoph Rehm
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Die Stadtführungen haben wieder begonnen: Eine „Henkerstochter“ berichtet dieser Besuchsgruppe aus dem Mittelalter. © Philipp Rothe

Heidelberg. Zu Beginn der Führung gibt die Henkerstochter einen Einblick in ihr Sozialleben: Eigentlich, so die junge Dame mit Kopftuch und mittelalterlichem Gewand, sei sie es nicht gewohnt, vor so vielen Menschen zu sprechen. Dank des Berufs ihres Vaters werde sie gesellschaftlich weitestgehend geächtet, ernte sogar beim Kirchenbesuch bestenfalls ein paar herablassende Blicke. Etwas aufgeregt sei sie daher angesichts des bevorstehenden Stadtrundgangs.

Die Teilnehmerzahl der ersten Nachtwächterführung nach dem Lockdown am Donnerstagabend ist überschaubar geblieben: Knapp ein Dutzend Interessierte hat sich am Heidelberger Kornmarkt eingefunden. Eine Kleinfamilie, zwei Seniorenpaare und einige, die das noch werden wollen: Im Schatten der Schlossruine folgen sie der stilecht verkleideten Fremdenführerin und ihren Ausführungen über die bewegte Geschichte des Heidelberger Wahrzeichens. Über die Um- und Anbauten, die Zerstörung durch die Truppen Ludwigs XIV. oder über das Feuer 1764, das dem angestrebten Wiederaufbau ein jähes Ende bereitete. Dann geht es ein paar Meter weiter zu den Umrissen der alten Kapelle des mittelalterlichen Heilig-Geist-Spitals.

Stadtführung mit Hygienekonzept

  • Nachtwächter- und Erlebnisführungen sind seit 1. Juni wieder möglich. Eine Übersicht gibt es unter www.heidelberg-stadtfuehrungen.de. Nachfragen per Mail an info@hb-tour-conception.de .
  • Abstandsregeln: Während der Führung gelten 1,5 Meter Abstand und Maskenpflicht. Kontaktnachverfolgung erfolgt mit der Luca-App oder mit Kontaktformularen. Teilnehmer müssen vollständig geimpft, genesen oder negativ getestet sein. Ein Nachweis (beziehungsweiser tagesaktuelles Testergebnis) ist mitzubringen.
  • Der Tourguide trägt beim Gehen eine Maske, beim Reden sind fünf Meter Abstand zu den Gästen einzuhalten, die Maske darf hierbei vom Guide abgenommen werden (außer in der Maskenzone der Altstadt).
  • Es sind maximal 19 Personen plus Guide zugelassen.
  • Auch die Stadttouren mit den Heidelberger Gästeführerinnen und Gästeführern haben begonnen.
  • Der Altstadtrundgang, die beliebteste Tour durch Heidelberg, begleitet zu vielen Sehenswürdigkeiten wie Heiliggeistkirche, Jesuitenviertel, Deutschlands ältester Universität oder der Alten Brücke. Der tägliche Rundgang beginnt um 10.30 Uhr auf Deutsch, zusätzlich freitags um 18 Uhr und samstags um 14.30 Uhr. Donnerstags bis samstags wird die Führung um 10.30 Uhr auch auf Englisch angeboten.
  • Treffpunkt für die Teilnehmer ist jeweils vor dem Eingang zur Tourist Information am Neckarmünzplatz. Dauer: 1,5 Stunden, Preis: neun Euro, ermäßigt sieben Euro.
  • Tickets für die öffentlichen Führungen sind ausschließlich in den Tourist Informationen (Hauptbahnhof, Rathaus, Neckarmünzplatz) erhältlich, Tickets für den Cabriobus auch direkt beim Fahrer. Grundsätzlich wird eine Reservierung empfohlen.
  • Im Cabriobus lässt sich die Stadt noch bequemer erkunden. Die Rundfahrt startet täglich zwischen 10 und 17 Uhr jeweils zur halben und vollen Stunde an der Info-Tafel am Karlsplatz und dauert etwa 40 Minuten (zwölf Euro, ermäßigt sieben Euro).
  • Öffnungszeiten der Tourist Information am Hauptbahnhof: Montag bis Samstag: 10 bis 15 Uhr. Die Tourist Information am Neckarmünzplatz ist Montag bis Donnerstag und Samstag von 9.30 bis 15 Uhr, Freitag von 9.30 bis 18 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 9.30 bis 12 Uhr geöffnet.

„Als Henkersfamilie halten wir uns von Medizinern und Ärzten eigentlich fern“, gibt die Tochter des Scharfrichters zu verstehen. Zu theoretisch sei deren Ausbildung, zu abgeschottet der akademische Elfenbeinturm. Für die vielfältige Arbeit ihres Vaters brauche es praktische Erfahrungswerte statt Bücherwissen. Wer es wirklich ernst meine mit dem Erfoltern von Geständnissen, der müsse schon die Unannehmlichkeit einer „dualen Ausbildung“ in Kauf nehmen. Und wer sich darüber hinaus noch hin und wieder ein schickes Körperteil als Talisman sichern möchte, der benötige erst recht die jahrelange Erfahrung mit diversen Stichwaffen - „um den Delinquenten nicht versehentlich in die ewigen Diebesgründe zu schicken“.

Hinrichtung von „Hölzerlips“

Schaurige Details wusste die Henkerstochter einige zu berichten. Gelegenheit für die ein oder andere Übungsstund habe sich der Henkerszunft lange Zeit geboten auf dem Heidelberger Markplatz, dem Ort der letzten Schauhinrichtung in der Universitätsstadt. Im Juli des Jahres 1812 wurde dem Langfinger Georg Philipp Lang - besser bekannt als „Hölzerlips“ - der Kopf abgetrennt. Verschiedene Diebstahlsdelikte waren dem Anführer einer Räuberbande vorgeworfen worden, darunter Straßen- und Kirchenraub. Bis auf den Überfall auf eine Postkutsche war das jedoch allesamt eher ein Fall für die „SoKo Kleinkriminalität“. Seine Hinrichtung entwickelte sich dennoch zum Volksfest mit mehreren zehntausend Schaulustigen. Dem Henker brachte das Spektakel einen durchaus nennenswerten Verdienst ein. Knapp sieben Gulden waren für eine Hinrichtung mit dem Schwert vorgesehen. Deutlich mehr als das, was der Scharfrichter durch das Verbrennen von Hexen nach Hause gebracht habe.

Vom Marktplatz zieht die Besuchergruppe weiter Richtung Neckar. Vorbei an der geschichtsträchtigen Heiliggeistkirche bis zur Alten Brücke, wo der Brückenaffe auch heute noch verlässlich sein nacktes Hinterteil in Richtung des Erzbischofs von Mainz zeigt.

Hochwassermarke bestaunt

Für hochgezogene Augenbrauen sorgt die Markierung des Jahrtausendhochwassers in der Pfaffengasse: Die Nachwirkungen eines Vulkanausbruchs in Island hatten 1783 erst für einen kalten Sommer und einen noch kälteren Winter in Europa gesorgt. Die Kennzeichnung in mehreren Metern Höhe lässt heute ehrfürchtig erahnen, welche Naturgewalt das anschließende Tauwetter über die Heidelberger Altstadt gebracht haben muss. Am Alten Synagogenplatz angekommen, wird sichtbar, wo die Raserei der Novemberpogrome 1938 das Ende für das jüdische Gotteshaus bedeutete. Wie vielerorts konnte zu jener Zeit der Antisemitismus auch in Heidelberg auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits 1349 fielen in der Neckarstadt unzählige Juden den Pestpogromen zum Opfer, später wurde die Judengasse in die heutige Dreikönigsgasse umbenannt - weil deren Bewohner es unzumutbar fanden, mit jüdischen Familien in Verbindung gebracht zu werden.

Gegen Ende des Rundgangs folgt ein Abstecher zum „Hexenturm“.Er wurde lange nach der Hexenverfolgung errichtet und hat auch sonst recht wenig mit Hexen zu tun. Wie kamen Frauen im Mittelalter in den Ruf, eine Hexe zu sein? Rote Haare und rudimentäre Kenntnisse der Heilkräuterkunde waren verdächtig. Wer dann noch überdurchschnittlich attraktiv aussah und zu selten oder zu häufig in die Kirche ging, musste damit rechnen, auf den Scheiterhaufen gebracht zu enden.

Ob es in Heidelberg tatsächlich zu Hexenverbrennungen gekommen ist, ist nicht belegt. Dokumente und Aufzeichnungen sind dem großen Stadtbrand 1693 zum Opfer gefallen. So umgibt das Thema bis heute ein Hauch Mystik - und bietet den Besuchern der Stadtführung noch reichlich Platz für Spekulationen.

Freier Autor Politikwissenschaftler und Historiker, M.A.

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