Heidelberg. Heidelberg. Musiker, die andere Menschen mit ihrer Kunst berühren, entdecken ihre Liebe zu einem bestimmten Instrument meist sehr früh. Sie nehmen Unterricht, üben, viele Jahre. Einige entscheiden sich für ein Musikstudium. Um virtuos über die Tasten zu fliegen oder sich in ihrem Saitenspiel zu verlieren. Nur wenige wissen, dass es noch einen anderen Faktor gibt, der darüber bestimmt, wie gut sie und ihr Instrument harmonieren: unser Gehirn oder vielmehr, die Strukturen in unserem Gehirn, die Klänge wahrnehmen. Der Heidelberger Wissenschaftler Peter Schneider untersucht seit 25 Jahren, wie wir Klänge erkennen und im Gehirn verarbeiten. Dazu hat er einen Test entwickelt, der dabei helfen soll, das passende Instrument zu finden.
16 goldene Hohlkugeln in verschiedenen Größen stehen in einem Raum der Hörakademie in Neuenheim. Einige haben eine weite Öffnung, andere einen kurzen Hals, der spitz zuläuft. Hermann von Helmholtz, Namensgeber der bekannten Forschungsgemeinschaft, hat mit diesen Instrumenten Ende des 19. Jahrhunderts das Hören untersucht - und die akustische Forschung revolutioniert. Der Heidelberger Physiker Schneider hält den Klangkörper an sein Ohr, fängt an zu sprechen, nimmt wahr, wie das Gefäß den Schall seiner Stimme verstärkt. Und schon ist Peter Schneider mittendrin, in seinem Lebensthema: der Klangwahrnehmung. Der Frage danach, wie Menschen Klänge hören.
Schwingende Töne
„Ich habe im Zuge meiner Diplomarbeit herausgefunden, dass verschiedene Menschen verschiedene Klänge ganz unterschiedlich wahrnehmen“, sagt der 56-Jährige, der Physik und Kirchenmusik studiert hat. Dies habe ihn überrascht, weil er fest davon überzeugt war, dass es dabei keine Unterschiede gibt. Doch die gab es, und sie waren beträchtlich.
Schneider wollte mehr darüber herausfinden und machte sich dabei sein Fachwissen aus der Musik und der Physik zunutze. Wann immer wir einen kurzen Ton hören, einen Klavierton zum Beispiel, dann besteht dieser aus vielen Einzeltönen, die gleichzeitig schwingen. Den untersten Teilton dieser Reihe bezeichnen Wissenschaftler als Grundton. Alle weiteren, die darüber schwingen, sind die sogenannten Obertöne. Dieser Aufbau lässt sich für Musik beschreiben, aber auch für alle anderen akustischen Ereignisse um uns herum.
„Es gibt Menschen, die können Grundtöne besser hören, andere eher Obertöne“, sagt Schneider. Nach seiner Diplomarbeit arbeitete er 23 Jahre lang an der Kopfklinik, überprüfte seine Beobachtungen in der neurowissenschaftlichen Klinik etwa anhand von Gehirnstrommessungen. Dabei fand er heraus, dass bei den Grundtonhörern die linke Gehirnhälfte stärker aktiviert wurde, bei den Obertonhörern hingegen der Hörkortex auf der rechten Seite. Und dass der Hörtyp das gesamte Klang- und Rhythmusempfinden beeinflusst.
Wer Grundtöne besser hört, tut sich leichter mit Instrumenten, die kurze oder impulsive Töne produzieren. Dazu gehören zum Beispiel die Gitarre, das Klavier oder das Schlagzeug. Obertonhörer kommen dagegen besser mit Instrumenten zurecht, die über lang gehaltene Töne funktionieren: die Orgel und Streichinstrumente. Oder sie entscheiden sich gleich für den Gesang, weil sie für Klangfarben der Stimme ganz besonders empfänglich sind.
Sechsteiliger Test
Auf einem Bildschirm im Raum mit den Helmholtz-Hohlkörpern ploppt Schneiders „KLAWA-Test“ auf. Dieser umfasst sechs Kategorien: Lautstärke, Tonhöhe, Tonbeginn, Tonlänge, Obertöne und Rhythmus. Rund 40 Minuten dauert der Test, der samt Auswertung und Instrumentenvorschlägen 80 Euro kostet.
Wenn es um die Tonhöhe geht, hört die Testperson zwei Klänge und markiert mit einem Klick, welcher höher klingt. Wieder und wieder. Je öfter die Person den tatsächlichen Ton trifft, umso schwieriger wird es. Anders bei den Obertönen, bei denen es kein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt. Es geht nur um das individuelle Hören, das Schneider einen ersten Eindruck verschafft, mit welcher Art von Hörern er es tun hat.
Wer in die Hörakademie von Peter Schneider und seiner Frau Renate - ebenfalls Kirchenmusikerin und Musikpädagogin - kommt, ist oft nicht nur auf der Suche nach dem passenden Instrument. „Uns steuern auch professionelle Musiker an, die mehr über ihre Klangwahrnehmung erfahren und sie durch gezieltes Hörtraining verbessern möchten“, so der 56-Jährige. Und: Menschen, die Hilfe benötigen. Etwa, weil sie immer schlechter hören und diese Fähigkeit trainieren wollen. Oder Eltern mit ihren Kindern. Denn in manchen Fällen lässt sich über das Training der Klangwahrnehmung auch eine Lese- und Rechtschreibschwäche verbessern, sagt Schneider, der inzwischen auch eine Gastprofessur in Riga innehat und mit seiner Arbeitsgruppe an der Universität in Graz forscht. Um noch tiefer in die Welt der Klänge einzutauchen, die uns alle ganz unterschiedlich berühren.
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