Prozess - Handel mit Marihuana und Kokain flog über geheime Chats auf / Verteidiger widerspricht Auswertung dieser Daten

Kiloweise Drogen verkauft? 25-Jähriger steht vor Mannheimer Landgericht

Von 
Angela Boll
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Am Mannheimer Landgericht geht es um Drogenhandel: Knapp 1000 Kilo Marihuana und 42 Kilo Kokain sollen verkauft worden sein. © Ruffler

Mannheim/Heidelberg. Es geht um Drogen in großen Mengen und um sehr viel Geld. Insgesamt knapp 1000 Kilogramm Marihuana und mehr als 40 Kilogramm Kokain soll ein 25-Jähriger im Zeitraum von nur wenigen Monaten verkauft haben. Mehr als sechs Millionen Euro habe ihm das Geschäft eingebracht, so steht es in der Anklage. Vor Gericht muss sich auch der Kumpel des 25-Jährigen verantworten, er soll am Weiterverkauf beteiligt gewesen sein und damit immerhin knapp eineinhalb Millionen Euro eingenommen haben. Unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handel mit Betäubungsmitteln, so lauten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft.

Bunkerwohnungen in der Region

Das Drogengeschäft lief, so beschreibt es Staatsanwalt David Yang in der Anklage, wie am Schnürchen. Kiloweise habe Paul J. den Stoff seinen Kunden angeboten. Mal 40 Kilo, mal ein Kilo, je nach Bedarf. Bekommen habe er die Ware aus den Niederlanden, aus Spanien und aus Deutschland, dann soll er sie in Wohnungen in Mannheim und Heidelberg gebunkert haben, um sie gewinnbringend an Abnehmer in der Region zu verkaufen.

Paul J., so ist sich Yang sicher, erhoffte sich dadurch eine „fortlaufende Einnahmequelle“, die allerdings versiegte, als die beiden Männer am 26. Mai 2021 festgenommen wurden. Aufgeflogen waren sie, weil die Ermittler auf geheime Chats zugreifen, die Kommunikation zwischen Verkäufer und Abnehmer direkt verfolgen und zuordnen konnten. Die Nachrichten verschickten sie auf Krypto-Telefonen, die eigentlich als abhörsicher galten. Encrochat heißt der Anbieter, der allerdings im Jahr 2020 doch gehackt wurde und so zunächst den französischen Behörden den Blick auf kriminelle Machenschaften in den geheimen Chats freilegte.

Mehr als 20 Millionen Chatnachrichten konnten sie abschöpften und entschlüsseln. Darunter ließ sich auch Chatverkehr verfolgen, der von Deutschland aus geführt wurde. Diese Informationen gaben die französischen Ermittler wiederum an ihre deutschen Kollegen weiter. Auch sie entdeckten spannende Passagen, insbesondere Nachrichtenverkehr, der Hinweise zu Drogengeschäften offenbarte. Und genau deshalb werden aktuell deutschlandweit viele Drogenverfahren geführt, die fast ausschließlich auf Erkenntnissen dieser Encrochat-Auswertungen beruhen.

Encrochat-Verfahren

  • Zurzeit werden deutschlandweit Drogenprozesse verhandelt, die allein oder überwiegend auf der Auswertung sogenannter Encrochat-Dateien beruhen. Sie galten als abhörsicher, Chatverläufe konnten in Sekundenschnelle unwiderruflich gelöscht werden – bis das System gehackt wurde.
  • Bisher gingen die deutschen Gerichte davon aus, dass die Encrochat-Dateien verwertbar sind.
  • Verteidiger Stefan Allgeier brachte nun Entscheidungen schwedischer Gerichte ein, die Unzuverlässigkeiten beim Datentransfer anerkannten. Weil die Art und Weise der Beweiserlangung unklar sei, wurde ihnen kein ausreichender Wert zuerkannt. Die Angeklagten wurden freigesprochen.

Auch in diesem Verfahren ist das so. Wäre der Anbieter nicht gehackt worden, wäre die Einnahmequelle von Paul J. vermutlich nicht ganz so schnell trockengelegt worden. Und – das wird später noch eine große Rolle spielen – für die Ermittler nicht in dem Ausmaß nachzuvollziehen gewesen. Nun sitzen die beiden jungen Männer im Gerichtssaal und wissen, dass jeder Chat, jedes Verkaufsangebot, das über die „geheimen Kanäle“ rausging, und sogar die Mengenangaben detailliert nachvollzogen werden können. Der Untergang für die beiden Angeklagten. Zu den Vorwürfen schweigen sie. 25 und 26 Jahre sind sie alt, wirken eher schüchtern und zurückhaltend. Beide standen kurz vor der Hochzeit, als sie verhaftet wurden. Paul J. hat eine kleine Tochter. Die Männer kommen aus einfachen Verhältnissen. Die Familie des 25-Jährigen kommt aus Tunesien. Die Eltern des 26-Jährigen stammen aus Marokko, „es war nie viel Geld da“, so beschreibt er dem Richter seine Kindheit. Der Familienverbund sei ihm wichtig, der gute Draht zur Schwester, die Verlobte, mit der er seine Zukunft verbringen will. Schwer nachzuvollziehen, dass die beiden dermaßen zielorientiert Drogen an den Mann brachten und Millionen scheffelten. Doch zu Reichtum hatten sie es ohnehin nicht gebracht. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte den geleasten Audi A 8 von Paul J., sonst keine nennenswerten Wertgegenstände. Die Millionen wurden, so glauben die Ermittler, reinvestiert. Mit einem Wellness-Tempel, den sie an Privatleute oder Firmen vermieteten, hatte sich das Duo gerade ein weiteres Standbein aufgebaut. Eine Einnahmequelle mit viel Luft nach oben. Beide haben Schulden, Paul J. im sechsstelligen Bereich. Und nun steht eine jahrelange Haftstrafe im Raum. Die Beweislast, die Auswertungen der Chats, ist erdrückend. Doch, das glaubt zumindest Verteidiger Stefan Allgeier, nicht zulässig.

Datenerhebung rechtswidrig?

Bereits kurz nach Eröffnung der Beweisaufnahme packt er einen 35-seitigen Antrag aus, der es in sich hat. Darin widerspricht er der Beweiserhebung und der Auswertung sämtlicher Encrochat-Dateien. Bis heute wisse man nicht, wie die französischen Ermittler an die Daten gekommen seien, alle ursprünglichen Aufzeichnungen würden geheim gehalten. In den bisherigen Encrochat-Verfahren waren die Gerichte immer von einer Verwertbarkeit der Daten ausgegangen. Allgeier wirft in seinem Antrag nun die Möglichkeit auf, dass die deutschen Behörden rechtswidrig an die Daten kamen und die Verwendung dadurch nicht zulässig sei. Und dann? Würde das Gericht diesem Antrag stattgeben, könnte den Angeklagten nichts mehr nachgewiesen werden.

Redaktion Lokalredakteurin, Gerichtsreporterin, Crime-Podcast "Verbrechen im Quadrat"

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