Heidelberg. Rainer Brüderle sieht man nicht alle Tage auf einer Bühne. Doch am Dienstag griff der Ex-Wirtschaftsminister zum Mikro - zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin. Die wirtschaftlichen und ethischen Fragen, die mit dem KI-Einsatz im Gesundheitswesen verbunden sind, waren Thema einer Diskussionsrunde im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
Einsatz von KI in der Krebsforschung: Projekt am DKFZ vorgestellt
Anlass dafür war die Vorstellung der Ergebnisse des Forschungsprojekts „Clinic 5.1“ zum KI-Einsatz in der Krebsversorgung. Am Thema KI in der Medizin gefalle ihm, dass es neben besserer medizinischer Versorgung auch „wirtschaftliche Impulse“ verspreche, sagte Brüderle, der aktuell unter anderem als Präsident eines Arbeitgeberverbands in der Pflegebranche fungiert.
Angenommen, eine KI schlägt einem Arzt eine Diagnose und eine Therapie für einen Patienten vor. Der Arzt folgt den Ergebnissen der KI - die aber falsch sind. Wer trägt dann die Verantwortung? Moderator Paul Kirchhof, früher Richter am Bundesverfassungsgericht, stellte die Frage in den Raum, ob mit dem Einsatz von KI unklar werde, wer für medizinische Entscheidungen einsteht. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), des höchsten Selbstverwaltungsgremiums im Gesundheitswesen, erwartete in dieser Hinsicht aber keine grundlegende Veränderung. Schon heute verteile sich die rechtliche Verantwortung beim Einsatz von technischen Hilfsmitteln, etwa einer künstlichen Herzklappe oder eines OP-Roboters, auf mehrere Schultern: Für Fehler des Produkts haften die Hersteller, für Fehler bei deren Anwendung haftet der Arzt.
Ärzte diskutieren Anwendung von KI: Wer ist verantwortlich?
Um Entscheidungen auf der Grundlage von KI zu verantworten, müssten Mediziner deren Funktionsweise verstehen, forderte Stefan Duensing, Sektionsleiter Molekulare Uroonkologie am Uniklinikum Heidelberg. „Ich darf mich nicht auf eine Blackbox verlassen“, sagte Duensing. Das „Blackbox“-Problem sah auch Hecken, der sich als GBA-Vorsitzender auch damit befasst, für welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die Gesetzliche Krankenversicherung aufkommt.
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Die Entscheidung über den Nutzen von KI-basierten Anwendungen sei schwierig, weil deren Hersteller nicht gezwungen werden könnten, ihre Algorithmen offen zu legen. So aber könne er „keine Entscheidung über den Sinn oder Unsinn“ solcher Anwendungen treffen, sagte Hecken.
Dauerbrenner Datenschutz: Noch wenige Patienten stellen Daten zur Verfügung
Auch der Dauerbrenner Datenschutz kam zur Sprache - ein Thema, bei dem sich Hecken aus eigener Erfahrung als „traumatisiert“ bezeichnete. Um gute KI-Anwendungen zu entwickeln, müssen möglichst viele Patienten ihre Daten bereitstellen. Doch das tun noch zu wenige - laut Hecken ein unsolidarisches Verhalten: Wer seine Daten nicht der Forschung zur Verfügung stelle, profitiere zwar vom medizischen Fortschritt, der mithilfe der Daten anderer erzielt wurde, trage aber selbst nicht dazu bei.
Projekt „Clinic 5.1“
- Am Beispiel urologischer Tumorerkrankungen wurde im Projekt „Clinic 5.1“ untersucht, wie KI Ärzte bei Entscheidungen unterstützen kann, bei der Diagnose und Therapie.
- Entwickelt wurde etwa eine Anwendung, bei der eine KI lernt, Tumorgewebe von normalem Gewebe zu unterscheiden und so bei der Diagnose von Prostatakrebs unterstützt.
- Beteiligt waren die Unikliniken Heidelberg und Mannheim, die Uni Heidelberg, das Deutsche Krebsforschungszentrum und Industriepartner.
- Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat das Projekt mit rund 25 Millionen Euro gefördert.
Laut Katrin Erk, Kaufmännischer Direktorin des Uniklinikums Heidelberg, haben nicht unbedingt Gesunde, aber zumindest Patienten „eine große Bereitschaft ihre Daten zur Verfügung zu stellen für Forschungsprojekte“. Erk äußerte die Hoffnung, dass Patienten verstärkt einen „Broad Consent“ erteilen - eine „breite Einwilligung“ in die Nutzung ihrer Daten auch ohne konkrete Zweckbestimmung.
Erfolgreiche KI-Anwendungen in der Medizin versprechen hohe Gewinne - was die Frage aufwirft, wie sehr Daten und Anwendungen allgemein geteilt oder in privater Hand bleiben sollen. Matthias Weidemüller vom Physikalischen Institut der Uni Heidelberg plädierte für einen „gesunden Pragmatismus“, man solle von Fall zu Fall entscheiden.
Einsatz von KI in der Medizin: Erst einmal investieren
Doch zunächst muss ohnehin erst investiert werden. Heike Bauer, Leiterin der Dietmar Hopp Stiftung, bemängelte zu geringe Investitionen in die IT im Gesundheitswesen. In den USA seien diese wesentlich höher als in Deutschland. Wo das nötige Geld herkommen solle, fragte Moderator Kirchhof, „wenn man nicht in die Staatsverschuldung ausweichen will - was unanständig ist“.
Rainer Brüderle verwies auf die Chancen privaten Engagements: In Heilbronn etwa finanziere die Stiftung von Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz große Investitionen in die KI-Forschung, also letztlich durch den „Verkauf von Salatköpfen und Joghurt“. Überhaupt, so Brüderle, führe der ständige Ruf nach einer stärkeren Rolle des Staates in die Irre - „Geld verlangen tun alle“.
Eine Frage zumindest bedurfte keiner Diskussion: Ob KI in der Medizin überhaupt eingesetzt werden soll. Schon wegen des wachsenden Fachkräftemangels führe daran kein Weg vorbei, sagte Erk. „Wir werden diese Algorithmen brauchen, um zukünftig auf hohem Niveau Patientenversorgung anbieten zu können.“
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