Heidelberg. So kennt man sie: Katharina Oguntoye als Kämpferin für Gerechtigkeit und Gleichstellung. Die 66-jährige Schriftstellerin, Historikerin und Aktivistin will beim Queer Festival Heidelberg unbedingt dabei sein, doch das ist am Sonntagabend leider nicht möglich. Oguntoye lässt es sich trotz einer Notoperation vor zwei Wochen nicht nehmen, den Austausch mit Menschen zu wagen. Vom Krankenhaus in Berlin wird die „Grande Dame“ der schwarzen und queeren Bewegung in Deutschland via Zoom zugeschaltet. Und fast ist es so, als ob sie im Saal des Karlstorkinos säße.
Die rund 60 Teilnehmenden des Abends bekommen dank des Veranstaltungstalents der Kooperationspartner Queer Festival, Karlstorbahnhof, Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg und Afro Meets, dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Heidelberg, gleich zwei Highlights geboten: den Dokumentarfilm „A Litany for Survival – the Life and Work of Audre Lorde“, Ikone der frühen amerikanischen LSBT-Kultur, und das improvisierte Publikumsgespräch mit Katharina Oguntoye.
Diskussionsveranstaltung auf dem Queer Festival Heidelberg: Interessant ist die Verknüpfung des Duos
Interessant ist die Verknüpfung des Duos. Die Dichterin und Aktivistin Audre Lorde (1934 – 1992) unterrichtete 1984 als Gastdozentin an der Freien Universität Berlin und Studentin Katharina Oguntoye besuchte deren außergewöhnliche Seminare und Workshops.
Sie erinnert sich an ihre Mentorin: „Sie war mir nur über ihre Texte bekannt. Bei ihrer ersten Lesung war das Audimax mit 600, 700 Menschen überfüllt. Audre präsentierte ihre Gedichte, es war mucksmäuschenstill im Saal. Es war bei ihren Worten so, als würde ein Lichtstrahl durch dich gehen. Sie hat uns von den Socken gehauen.“ Und über den Besuch eines Lorde-Workshops erzählt Oguntoye: „Audres Geschenk war es, dass sie immer zugehört hat. Sie war stets auf der Austauschebene. Von 200 Leuten hat jeder gedacht, sie spräche mit ihm.“
Für Katharina Oguntoye, die in der Heidelberger Weststadt (Hildastraße) aufwächst und 1982 nach West-Berlin umzieht, sind die unterschiedlichen Begegnungen mit Audre Lorde ein Erweckungserlebnis. Lordes Einfluss auf die schwarze Community, aber auch auf weiße Frauen und Männer, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Sie pusht maßgeblich die Genese der afrodeutschen Bewegung hierzulande, sie erreicht schwarze und lesbische Frauen (Oguntoye: „Wie eine magische Beziehung“), animiert weiße deutsche Frauen, sich dem Thema Rassismus zu stellen – und sie inspiriert Katharina Oguntoye, die Pädagogin May Ayim sowie die Verlegerin, Filmemacherin und Soziologin Dagmar Schultz ein Buch über und vor allem für Afrodeutsche zu publizieren.
Wir waren damals eine Lesbengruppe. ‚Farbe bekennen‘ hat uns den Impact gegeben, dass wir unbewusst rassistische Strukturen verinnerlicht haben.
Das Buch mit dem programmatischen Titel „Farbe bekennen“ (1986) gilt als Klassiker, beschreibt afrodeutsche Lebensrealitäten und reicht von der Weimarer Zeit, über den Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit bis ins aktuelle Deutschland. Die Puzzleteile von „Farbe bekennen“ aus Spurensuche und Aufklärung passen ineinander. Es sollte Pflichtlektüre an deutschen Schulen sein . . .
Queer Festival in Heidelberg: Schmerzhafte Erfahrungen in positive Energien umwandeln
Die Wirkungskraft wird 39 Jahre danach im Kinosaal der Südstadt deutlich. Generationenübergreifend. Eine ältere Besucherin spiegelt Oguntoye wider: „Wir waren damals eine Lesbengruppe. ‚Farbe bekennen‘ hat uns den Impact gegeben, dass wir unbewusst rassistische Strukturen verinnerlicht haben.“
Rückblende: Oguntoye berichtet gelöst von den Gründungen der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und der afrodeutschen Frauengruppe Adefra. Die anfängliche Pionier- und Herkulesarbeit wird angesichts des von Audre Lorde angeregten Diskurses über Rassismus, Sexismus und Homophobie deutlich.
Das Ringen um Begrifflichkeiten, die Suche nach passenden Wörtern für menschliche Identitäten, die Einordnung in gesellschaftspolitisch-historische Prozesse im Wandel – dies alles bedarf gründlicher Überlegungen. Die Aktivistinnen einigen sich auf den Terminus „Afrodeutsche“ in Anlehnung an Afroamerikaner sowie den politisch konnotierten Terminus „Black Germans“ in Anlehnung an die Bürgerrechtsbewegung. Oguntoye sagt mit einem Schuss Humor: „In der Frauenbewegung der 80er Jahre ging es um Sichtbarkeit. Wenn nur ein Mann auftauchte, waren wir Frauen verschwunden.“
Queer Festival
Lesenswertes Buch: May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz (Hgg.), „Farbe bekennen“, Orlando-Verlag, Berlin 1986
Filme: „A Litany for Survival – the Life and Work of Audre Lorde“, USA 1995. „Audre Lorde – die Berliner Jahre 1984 – 1992“, Deutschland 2012
Abschließende Veranstaltungen: Dienstag, 27. Mai, 19 Uhr, Karlstorkino: Queer Cinema: „Drama Queens – les Reines du Drame“, Belgien/Frankreich 2024 - Original mit deutschen Untertiteln. Mittwoch, 28. Mai, 22 Uhr, Karlstorbahnhof: Closing Party. jog
Wie dem auch sei: Ihr gelingt es selbst vom Krankenbett aus, schmerzhafte Erfahrungen in positive Energien umzuwandeln. Oguntoye appelliert: „Lasst euch nicht trennen, sondern das Miteinander verinnerlichen.“ Sie habe Heidelberg immer sehr geliebt, ein Teil ihrer Familie lebe immer noch hier, sei in der Altstadt ausgegangen. Sie erinnert an eine schwarze Disco und an den legendären Jazzclub Cave 54, in dem auch schwarze Künstlerrinnen und Künstler regelmäßig auftreten. Heidelberg ist ein Hotspot – pro Internationalität, Akzeptanz, Gerechtigkeit, Gleichstellung und Vielfalt, contra Diskriminierungen.
Der Dokumentarstreifen über Audre Lorde und ihren nimmermüden Kampf – die Regisseurin Ada Gay Griffin hatte die krebskranke Schriftstellerin die letzten acht Jahre ihres Lebens begleitet – geht am fünften Todestag des Mordes am Afroamerikaner George Floyd allen Cineasten unter die Haut, ob queer oder nicht. Stille herrscht beim Abspann. So ähnlich muss es bei Audre Lordes Lesung 1984 im Berliner Audimax gewesen sein – mucksmäuschenstill!
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