Das Interview - Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann blickt mit Sorge auf gesellschaftliche Entwicklungen

Jan Assmann: „Ohne Vertrauen funktionieren Gesellschaft und Politik nicht“

Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann blickt mit Sorge auf gesellschaftliche Entwicklungen. Am Samstag, 7. Juli, feiert der Ägyptologe, der bis 2003 in Heidelberg lehrte, seinen 80. Geburtstag auf Rügen. Im Oktober wird ihm der Friedenspreis des deutschen Buchhandels überreicht.

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Lisa Gabauer
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Blickt bereits auf mehr als fünf Jahrzehnte Forschungsarbeit zurück: der Heidelberger Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann. © dpa

Herr Assmann, zusammen mit Ihrer Frau erhalten Sie im Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Nach mehr als fünf Jahrzehnten in der Wissenschaft und etlichen Preisen: Freut man sich noch über eine solche Auszeichnung?

Jan Assmann: Ja, natürlich. Wir waren total überrascht und haben mit diesem Preis nie gerechnet. Wir freuen uns sehr, sind aber auch ein bisschen eingeschüchtert, denn so ein Preis ist ja mit sehr viel Öffentlichkeitsarbeit verbunden. Und die Verleihungszeremonie ist ausgesprochen feierlich - das alles sind wir überhaupt nicht gewöhnt. Aber es ist eine unglaubliche Anerkennung.

Sie forschen viel zum Zusammenhang zwischen Monotheismus und Gewalt, der sich durch den Glauben an den einen wahren Gott ergibt. Heute finden wir diesen absoluten Wahrheitsanspruch nicht nur in Form von Terrorismus, sondern auch im Auftreten einiger Politiker - man denke an den US-Präsidenten Donald Trump - die gerne alternative Fakten aufstellen. Für Sie besorgniserregend?

Assmann: Ja, denn wenn in der Politik das Prinzip Wahrheit, oder sagen wir mal Aufrichtigkeit, nicht mehr gilt, dann ist das eine ganz schwere Krise und Katastrophe. Ohne Vertrauen funktioniert Gesellschaft, funktioniert Politik nicht. Und wenn dieses Vertrauen zerstört wird, dann ist das ein ganz, ganz großes Problem. Das hat schon mit dem Brexit angefangen und zeigt sich in der Konjunktur des Populismus: Argumente zählen nicht mehr, Politik wird mit Demagogie und Glauben gemacht statt mit Argumenten und Wahrheit. Das ist eine schlimme Entwicklung.

Was lässt sich dagegen unternehmen?

Assmann: Man kann nur betonen, wie wichtig Vertrauen ist, für alles gesellschaftliche Leben - und da gehört die Politik ja dazu. Man kann also nur vor solchen Entwicklungen warnen.

Sie sind eigentlich Ägyptologe, haben sich aber nie in eine Schublade stecken lassen, haben zum Alten Ägypten, zur Entstehung des Monotheismus, aber auch zu Mozarts „Zauberflöte“ und Thomas Mann geforscht. Was treibt Sie als Wissenschaftler an?

Assmann: Also ich bin mit Haut und Haaren Ägyptologe, beziehungsweise mit Kopf und Herz. Ich frage mich bei allem immer: Was bedeutet uns Ägypten? Und das bringt mich dazu, mich mit Themen auseinanderzusetzen, bei denen Ägypten eine Rolle spielt, wie zum Beispiel auch bei der „Zauberflöte“. Diese Oper transportiert ja sehr viele Ägypten-Fantasien. Also der Ausgangspunkt war immer die Ägyptologie.

Ihre Biografie liest sich wie die einer wissenschaftlichen Bilderbuchkarriere. Im Rückblick: Gab es auch Momente des Zweifels?

Assmann: Ich habe wenige der üblichen Leiden des Wissenschaftlers erlebt: erstmal keine Stelle finden oder dann als Privatdozent furchtbar kurz gehalten werden und so weiter. Mir ist schon sehr früh der Lehrstuhl in Heidelberg zugefallen. Und dann bin ich auch immer in Heidelberg geblieben und habe also nicht die Leiden mitmachen müssen, die mit ständigen Umzügen verbunden sind. Aber natürlich hat mich schon ab und zu beschäftigt, ob die Ägyptologie das richtige Fach für mich ist oder ob die ständige Beschäftigung mit der Antike so sinnvoll ist. (lacht)

Und wie sind Sie damit umgegangen?

Assmann: Diese Zweifel sind durch meine Ehe mit Aleida abgefedert worden, denn dadurch war ich auch immer in Kontakt mit sogenannten relevanten Themen: der Literaturwissenschaft, der modernen Theorie. Also ich bin nicht im Elfenbeinturm versunken. Interdisziplinäres Arbeiten begann bei uns schon am Frühstückstisch …

Sie sind Jahrgang 1938. In vielen Interviews haben Sie immer wieder erwähnt, wie einprägend, fast schon traumatisierend, Ihre frühen Kindheitsjahre in Lübeck waren, insbesondere die Nachkriegszeit. Wie oft denken Sie noch heute an diese „Periode der Anarchie“, wie Sie es einmal bezeichnet haben, zurück?

Assmann: Diese Zeit steckt mir irgendwie in den Knochen. Ich versuche immer wieder, mich an Einzelheiten zu erinnern, schaffe das aber nicht recht. Da habe ich offenbar sehr viel verdrängt. Aber davon abgesehen, war es auch eine wunderbare Zeit, die ich so nicht mehr erlebt habe.

Inwiefern?

Assmann: Da war ein großer Hunger nach geistiger Nahrung. Meine Mutter, eine große Nazi-Hasserin, hatte die ganze Zeit in großer Angst gelebt, und dieses Ausatmen dann, als alles vorüber war, das war eine Mischung aus Schrecken und Euphorie. Und all das habe ich als fünf- bis zehnjähriges Kind miterlebt.

Würden Sie sagen, es waren diese Kriegsjahre, die Sie für das Thema Erinnerungskultur besonders sensibilisiert haben?

Assmann: Ja, das glaube ich schon. Dieses Aufwachsen im zerstörten Lübeck - und Lübeck ist einfach eine atemberaubend schöne Stadt - das hat mich sehr geprägt. Also das Bild einer zerstörten Vergangenheit und der Wunsch, das irgendwie wieder gutzumachen.

In ihrem Buch „Das kulturelle Gedächtnis“ von 1992 schreiben Sie: „Bei der Erinnerungskultur handelt es sich um die Einhaltung einer sozialen Verpflichtung. Hier geht es um die Frage: ,Was dürfen wir nicht vergessen?'.“ Sehen Sie eine solche Erinnerungskultur durch die AfD gefährdet?

Assmann: Ja, vollkommen klar. Die AfD und all die anderen populistischen Parteien, die es so gibt - die FPÖ, der Front National - sind das Gegenteil einer Erinnerungskultur. Erinnerung bedeutet auch immer das Einbeziehen des Anderen, wie Jürgen Habermas das nennt. Wenn man nur egoistisch, nur an den eigenen Vorteil, denkt, braucht man kein Gedächtnis.

Noch einmal ein paar Jahrzehnte zurück, ins Jahr 1968. Das war ein Schlüsseljahr für Europa, aber auch für Sie persönlich, denn in dem Jahr haben Sie Ihre Frau geheiratet; also in revolutionären Zeiten den Schritt ins bürgerliche Leben gewagt. Fühlen Sie sich den alten „68ern“ dennoch verbunden?

Assmann: Wir waren natürlich empört, als Benno Ohnesorg erschossen wurde und standen völlig auf der Seite derer, die damals auf die Straße gingen und protestierten, gegen den Vietnam-Krieg und so weiter. . .

Sind Sie auch auf die Straße gegangen?

Assmann: Nein, zu dieser Zeit nicht mehr. Ich bin früher, 1958, gegen den Atomkrieg und gegen die Bewaffnung der Bundesrepublik auf die Straßen gegangen. Da hatte ich gerade Abitur gemacht. Das war meine politische Phase. Ich habe dann aber mit Erstaunen feststellen müssen, wie unpolitisch und konservativ diese 1950er-Jahre waren. Und habe das Aufkommen politischen Denkens in den 60er-Jahren dann sehr begrüßt.

Aber Sie waren kein Teil der „68er“-Bewegung?

Assmann: Irgendwann kippte das Ganze ins Ideologische um, wurde verbohrt, und da war für mich völlig klar: Mit denen kann man nicht gemeinsame Sache machen. Und außerdem stammen sowohl meine Frau Aleida als auch ich aus dem Bildungsbürgertum, was ja das Feindbild der „68er“ war .

Sie haben also mit der Bewegung sympathisiert, wollten sich aber nicht vereinnahmen lassen?

Assmann: Ja. Und 1967 haben wir uns dann auch in aller Form verlobt und ein Jahr später dann den Weg ins völlig bürgerliche Leben beschritten - und haben fünf Kinder bekommen. Wir halten also nach wie vor die Fahne des Bürgertums hoch. (lacht)

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?

Assmann: Das neue Projekt habe ich vor einer Woche abgeschlossen, das Manuskript habe ich schon an den Verlag geschickt. . . Das Buch soll pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheinen.

Um welches Thema geht es?

Assmann: Den Begriff der sogenannten „Achsenzeit“ von Karl Jaspers. Dabei geht es darum, dass unter anderem in China, Indien, Persien, Israel und Griechenland im sechsten Jahrhundert vor Christus geistige Durchbrüche stattgefunden haben, die uns heute noch prägen: das ist zum Beispiel der Monotheismus, die Metaphysik, die Philosophie. . . Jaspers hat darüber ein Buch geschrieben und ich widme mich der Debatte, die sich um den Begriff „Achsenzeit“ entwickelt hat.

Aber zum Geburtstag gönnen Sie sich eine Pause?

Assmann: Ja, natürlich. Jetzt mache ich erstmal eine Pause.

Jan und Aleida Assmann



  • Der Ägyptologe Jan Assmann wird am 7. Juli 1938 in Langelsheim (Harz) geboren. Er studiert in Heidelberg zuerst Klassische Archäologie und Gräzistik, bevor er sich der Ägyptologie zuwendet. Nach der Habilitation 1971 übernimmt er bis zu seiner Emeritierung 2003 den Heidelberger Lehrstuhl für Ägyptologie.
  • Seit 1968 ist er mit der Konstanzer Anglistin Aleida Assmann verheiratet, mit der er fünf Kinder hat.
  • Am Sonntag, 14. Oktober 2018, bekommt das Ehepaar den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche überreicht, für ein „zweistimmiges Werk, das für die zeitgenössischen Debatten und für ein friedliches Zusammenleben auf der Welt von großer Bedeutung ist.“ Die Veranstaltung wird live im Fernsehen übertragen

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