Interview

Heidelberger Uni-Rektorin Frauke Melchior: „Wollen, dass die Wissenschaft in den USA überlebt“

Die Rektorin der Universität Heidelberg über die Zusammenarbeit mit Harvard, die Situation den USA und die Freiheit der Wissenschaft.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Die Heidelberger Universität – hier das Hörsaalgebäude am Uniplatz – vertieft die Kooperation mit Harvard. © Philipp Rothe

Heidelberg. Die Universität Heidelberg und die Harvard University wollen ihre Zusammenarbeit vertiefen und haben dazu eine Vereinbarung getroffen. Das Land unterstützt das institutionelle Projekt mit zehn Millionen Euro. Die Heidelberger Uni-Rektorin Frauke Melchior erhofft sich auch eine Verbesserung der transatlantischen Beziehungen.

Frau Melchior, steht die Vertiefung der Kooperation mit der Universität Harvard im Zusammenhang mit den sich verschlechternden Forschungsbedingungen in den USA?

Frauke Melchior: Nicht unbedingt. Heidelberg blickt bereits auf mehrere Jahrhunderte der Zusammenarbeit mit Harvard zurück. Beide Universitäten haben sich gegenseitig immer wieder akademisch befruchtet. Die Zahl der gemeinsamen wissenschaftlichen Publikationen ist mit Harvard, verglichen mit anderen internationalen Kooperationen, am höchsten. Wir haben den Wunsch nach einer engeren institutionellen Zusammenarbeit geäußert, bevor US-Präsident Donald Trump massive Attacken auf Harvard unternommen hat. Diese haben den Prozess allerdings beschleunigt, unter anderem durch die gestiegene Bereitschaft Harvards, sich stärker mit anderen Universitäten zu vernetzen.

Ist diese Situation nicht auch eine gute Gelegenheit, um die besten Wissenschaftler Amerikas nach Heidelberg zu holen?

Melchior: Wir schreiben unsere Leitungspositionen schon immer international aus. Dass nun die Anzahl an Bewerbungen aus aller Welt steigt, freut uns sehr. Wir suchen dabei natürlich nach den Besten, die wir bekommen können – ob sie aus Asien, Europa oder Amerika kommen.

Frauke Melchior ist seit 2023 Rektorin der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. © Jegliche Verwendung ist honorarpflichtig und nur zu journalistischen/publizistischen Zwecken gestattet.

Das Land Baden-Württemberg fördert die Kooperationsbeziehungen mit Harvard mit einer Summe von zehn Millionen Euro. Wie ist dieser Betrag einzuschätzen?

Melchior: Diese Mittel, für die wir dem Land dankbar sind, benutzen wir als Katalysator, um mehrere Dinge anzuschieben. So wollen wir wissenschaftliche Projekte identifizieren und auf den Weg bringen zu Themen, in denen wir im Zusammenspiel mit Harvard wissenschaftliche Synergien schaffen können. In diesem Zusammenhang können wir bis zu 50 Forschende für eine Zeit von drei Monaten bis zu einem Jahr nach Heidelberg einladen. Diese werden anschließend entweder wieder zurückgehen oder gemeinsam an Projekten weiterarbeiten und Drittmittel aus deutschen, europäischen oder amerikanischen Fördertöpfen einwerben. Davon versprechen wir uns auch eine Stärkung der Forschungssituation an der Uni Heidelberg.

Welche Rolle spielt Harvard im Gesamtnetz der internationalen Beziehungen?

Melchior: Wir unterhalten Kooperationen auf gesamtuniversitärer Ebene mit etwa 30 Universitäten in aller Welt. Darunter ist Harvard eine der zwei, drei Top-Universitäten. Je besser die Kooperationspartner, umso aussichtsreicher der Erkenntnisgewinn, was gemeinsame Forschungsprojekte betrifft. Daneben unterhalten wir mit der 4EU+ Allianz ein starkes europäisches Netzwerk, in dem wir gute Ergebnisse in Lehre und Forschung erzielen sowie rund 180 Austauschprogramme mit Partnern auf der ganzen Welt.

Wir wollen, dass die Wissenschaft in den USA überlebt, und zwar auf gleichbleibend hohem Niveau.

Sie haben die Hoffnung geäußert, die Kooperation mit Harvard könne als Modell für die transatlantischen Beziehungen stehen. Wie kann das funktionieren, wenn die Wissenschaft in Amerika immer mehr an Ansehen verliert?

Melchior: Die forschungsstarken Universitäten in Deutschland haben miteinander beraten, was sie gemeinsam tun können, um die Wissenschaft in Amerika zu unterstützen. Wir wollen, dass die Wissenschaft in den USA überlebt, und zwar auf gleichbleibend hohem Niveau. Wir sind, trotz der gegenwärtig schwierigen politischen Lage, sehr optimistisch. Starke Kooperationen sind aus Sicht aller Beteiligten der bestmögliche Weg, um die Wissenschaftsfreiheit in den Vereinigten Staaten zu stärken. Die Politik in den USA wird sich irgendwann wieder ändern, und auch Donald Trump wird erkennen, dass er die Mittel wieder hochfahren muss, wenn er die Forschung nicht komplett zerstören will. Denn von Forschung und Innovation hängt schließlich auch ein großer Teil des Wohlstands dieses Landes ab.

Uni-Rektorin Frauke Melchior

Die Molekularbiologin ist seit 2023 Rektorin der Universität Heidelberg und damit verantwortlich für die strategische Entwicklungsplanung von Forschung und Lehre.

Frauke Melchior wurde 1962 in Heidelberg geboren , studierte und promovierte in Marburg in Chemie.

Seit 2008 ist sie Professorin für molekulare Biologie in Heidelberg.

Von 2016 bis 2018 war sie Dekanin der Fakultät für Biowissenschaften . bjz

Werden auch Forschende aus Heidelberg verstärkt nach Harvard gehen?

Melchior: Davon gehen wir aus, aber auch jetzt schon haben wir einen regen Austausch unserer Wissenschaftler. Bisher gibt es bei der Einreise keine uns bekannten Probleme für deutsche Staatsbürger. Für unsere internationalen Studierenden und Wissenschaftler könnte das Erhalten eines Visums ein Problem darstellen. Und kürzlich hat das Auswärtige Amt einen Hinweis veröffentlicht, dass Menschen, die sich der LGBTQ-Bewegung zugehörig fühlen und sich keinem binären Geschlecht zuordnen, Probleme bei der Einreise nach Amerika bekommen könnten. Es gibt auch viele junge Studierende, die Angst haben, aus Amerika auszureisen, weil sie befürchten, eventuell nicht wieder zurückkehren zu dürfen. Das betrachten wir mit großer Sorge. Aber Harvard hat fast vier Jahrhunderte überlebt, diese Universität wird auch einen Donald Trump überleben.

Umfasst das Kooperationsabkommen auch eine Intensivierung des Studentenaustauschs?

Melchior: Ja. Wir planen unter anderem gemeinsame digitale Lehrkonzepte und Summerschools. Einen Run auf unsere Universität durch amerikanische Studierende nehmen wir allerdings nicht wahr. Stattdessen sind die Universitäten im angelsächsischen Raum sowie in Kanada und Australien die ersten Adressen für viele Studierende aus den USA, weil dort die Sprachbarriere wegfällt. Wir haben bereits ein großes Angebot an internationalen und englischsprachigen Studierendengängen. Aber unsere Aufnahmekapazitäten sind eng begrenzt; ohne deutlichen Aufwuchs an Mitteln haben wir nicht den Handlungsspielraum, um mehr Studierende aufzunehmen.

Was hat Heidelberg für Harvard schwerpunktmäßig zu bieten – und umgekehrt?

Melchior: Unsere Schwerpunkte ergänzen sich sehr gut mit denen von Harvard. Das macht diesen Austausch ja so attraktiv. Auf beiden Seiten ist die Forschung besonders stark in den Bereichen Life Science und Medizin, Physik, darunter Umwelt- und Astrophysik, aber auch in den Asienwissenschaften und der Theologie.

Warum gerade Theologie?

Melchior: Die theologische Wissenschaft ist in interkultureller und interreligiöser Hinsicht sowie im Hinblick auf ethische Fragestellungen extrem interessant. Zudem wächst das Christentum weltweit, außer in Europa. Und in Amerika spielt der Evangelikalismus eine hohe gesellschaftliche Rolle.

Sind Sie als Uni-Rektorin und Wissenschaftlerin mit Blick auf Amerika eigentlich dauerbesorgt?

Melchior: Ich bin tatsächlich sehr besorgt, weil wir in Amerika eklatante Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit beobachten. Wer anfängt, Forschung danach zu bewerten, ob sie politisch opportun ist oder nicht, schafft katastrophale Verhältnisse und begibt sich auf den Weg in eine Diktatur. Die Universitäten in Amerika werden inzwischen instrumentalisiert, um eine vermeintlich intellektuelle, linke oder woke Bewegung zu bekämpfen. Dabei werden ganze Forschungsgebiete ruiniert. Das betrifft ganz konkret die Infektionskrankheiten, die weltweit auf dem Vormarsch sind. Und wenn man, wie der US-Präsident, in der Öffentlichkeit Zweifel streut am Nutzen von Impfungen, ist es kein Wunder, wenn Erkrankungen wie Masern wieder zunehmen. Wer die HIV-Behandlungen in der Dritten Welt sabotiert, indem er Fördermittel streicht, riskiert katastrophale Folgen für Menschen, die auf Medikamente angewiesen sind, damit die Krankheit nicht wieder ausbricht.

Und wie ist die Situation hierzulande?

Melchior: Die aktuellen politischen Signale lassen nicht befürchten, dass die grundgesetzlich verankerte Wissenschaftsfreiheit bedroht sein könnte, im Gegenteil – zumindest solange sich die politischen Mehrheitsverhältnisse nicht gravierend ändern. Das Erstarken gewisser Parteien macht mir hingegen durchaus Sorge, weil im rechtsextremen Spektrum beispielsweise Vorwürfe laut werden, die Universitäten würden Antisemitismus dulden. Das ist der Versuch, auch hierzulande die Universitäten politisch zu instrumentalisieren und zu diskreditieren und dem müssen wir entschieden entgegentreten.

Sind die Universitäten bereits Teil eines Kulturkampfes?

Melchior: So weit würde ich nicht gehen. Nach wie vor genießen die Universitäten ein hohes Maß an wissenschaftlicher Freiheit und politischer wie gesellschaftlicher Unterstützung. Gemeinsam mit anderen Universitäten in der Welt werden wir daran arbeiten, dass das auch so bleibt.

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