Mozarts allererste Töne für die Gattung sind natürlich kostbar. Und das junge Chaos String Quartet nimmt sie entsprechend wichtig, jeder einzelne findet seinen präzisen Platz im musikalischen Zusammenhang. Die Instrumentalistinnen und Instrumentalisten machen ihrem Namen, der die kreative Unordnung zum Ziel erklärt, also im Grunde keine große Ehre: Chaos gibt es keines. Mozart aber wird Gerechtigkeit zuteil. Er war erst 14, als er dieses „Lodi-Streichquartett“ geschrieben hat, in einem Wirtshaus auf der Reise durch Italien. Doch er hat sich dieses Stück auch später wieder vorgenommen und die komplettierte Fassung mehrfach als Talentprobe bei potenziellen Gönnern vorgelegt. Während die Nachwelt oft eine Zäsur zwischen den Früh- und Meisterwerken unter seinen Gattungsbeiträgen gesehen hat.
Ob das historisch sinnvoll ist, gehört zu jenen Fragen, die man sich beim aktuellen Streichquartettfest stellen kann - vom Heidelberger Frühling wie in jedem Jahr im tiefsten Winter ausgerichtet. Am Eröffnungsabend werden sechs Quartette aus dem Frühwerk aufgeführt, und alle sechs zu diesem viertägigen Festival geladenen Ensembles treten auf. Das unterstreicht die Stilvielfalt der kurz nach 1770 komponierten Stücke und belegt, dass Mozart seinen Interpreten eine ganze Menge Raum lässt.
Unterschiedliche Akzente
Jedes Kollektiv hebt etwas anderes heraus: Das Leonkoro String Quartet beweist die Leuchtkraft dunkler Farben. Das Consone String Quartet, auf alten Instrumenten spielend, unterstreicht, dass auch ein Mozart in historischen Zusammenhängen steht. Das Marmen String Quartet betont die Individualität der Stimmen. Das Armida Streichquartett macht seinen Primgeiger zur eleganten Primadonna. Und das Quatuor Voce öffnet mit dem Einsatz eines Dämpfers eine Tür in die Vergangenheit: Sein Ton wird mürbe, scheint mit feiner Patina bedeckt zu sein.
Doch alle diese Interpretinnen und Interpreten treffen den berühmten Mozart-Sound. Obwohl er in den frühen Werken ja noch gar nicht vollständig erkennbar ist. Was macht ihn aus? Was ist es, das aus Mozart Mozart macht? Oliver Wille, seit 2013 Workshop-Chef beim Streichquartettfest, sucht nach Antworten. Er findet sie im letzten Satz des ersten der berühmten „Haydn-Streichquartette“: Was „so einfach - und so großartig“ beginne, werde immer raffinierter. Komplizierter. Bach’sche Fugenkonstruktionen tauchten auf, die Mozart aber bald wieder verlasse, denn es werde ihm schnell langweilig. Er zünde sogar Mannheimer Raketen. Mozart sei „wie Ikarus“, aber im Gegensatz zu diesem neige er niemals zu Abstürzen. Obwohl er einen permanenten Überschuss und Überfluss erzeuge. Und auch immer wieder musikalische Naturgesetze breche.
Seinen Zeitgenossen waren diese Klänge oft „zu stark gewürzt“. Uns Heutigen erscheinen sie in klassisch idealer Weise abgeschmeckt. Wie im Andante aus dem letzten der sechs „Haydn-Streichquartette“, Wille spricht von einer Arie in der pastoralen Tonart F-Dur, die von einer schönen Dame vorgetragen werde. Aber ob sie wirklich glücklich sei? In solchen Sprachbildern, doch musikalisch stets fundiert, weist Wille auf die kleinen Katastrophen hin, die Mozart selbst in scheinbaren Idyllen zu verstecken wisse. Dafür feiert ihn das Publikum im vollen Saal der Alten PH. In Heidelberg gibt es eben noch Restbestände dessen, was man einst als „Bildungsbürgertum“ bezeichnen konnte.
Um die 4000 Karten verkauft
Überhaupt, der Zuspruch ist beim Streichquartettfest (dem inzwischen 19.) wieder enorm. Die Auslastung bewegt sich auf Rekordniveau, so gut wie alle Eintrittskarten wurden abgesetzt: um die 4000. Eine Attraktion für sich möchte die „Nachtmusik“ am Samstagabend sein, man sitzt bei Wein und Häppchen, und am Nebentisch kann dann schon mal der große Geiger Gidon Kremer Platz nehmen. Mozart wird an dem Abend freilich kaum gespielt - neue und neueste Musik haben die sechs Quartette mitgebracht. Sie führen selbst durch das Programm und zeigen, dass sie nicht bloß ein Talent fürs Musizieren, sondern auch fürs Moderieren haben. Heutzutage ist das unerlässlich.
Auch ein Komponist spricht zu den Hörern. Es ist der Franzose Yves Balmer, ein neues Werk von ihm erlebt hier seine deutsche Erstaufführung. In einem charmanten Akt des „öffentlichen Deutschlernens“ erklärt er seine Intentionen. Was uns Debussy heute noch sagen könne, fragt er sich. Also der Komponist, der einst gemeint hatte, wir sollten lieber auf den Wind als auf die Menschen hören. Dieser Fährte folgt Balmer. Aber die Spuren sind, vielleicht vom Schnee, schon leicht verwischt.
Mit kräftigeren Klangaromen komponiert der Serbe Marko Nikodijevic, der auch Physik studiert hat. Durch den Futurismus seines zweiten Streichquartetts bricht immer wieder die Folklore, dazu kommen Tango-Nuevo-Anverwandlungen in ziemlich hoher Dosis. Stark gewürzt, das Ganze. Doch das kennen wir ja schon von Mozart. Das Armida Streichquartett gibt beiden Komponisten Pfeffer.
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