Heidelberg. Bernhard Schlink ist mit dem Bestseller „Der Vorleser“ international berühmt geworden. Jetzt hat der in Berlin und New York lebende Jurist sein erstes Theaterstück geschrieben: „Der 20. Juli. Ein Zeitstück“. Die Uraufführung fand im Karlstorbahnhof in Heidelberg statt, mit Darstellern der Theatergruppe am Seminar für Ausbildung und Fortbildung, einem Ensemble aus jungen Lehrerinnen und Lehrern.
Schlinks Wunsch: erstes Theaterstück soll in Heidelberger Karlstorbahnhof aufgeführt werden
Schon in Bernhard Schlinks Selb-Romanen um einen Mannheimer Privatdetektiv, der in die jüngste Nazi-Vergangenheit verstrickt ist, klingt das Hauptthema des gelernten Juristen an, aber auch sein Bezug zur Kurpfalz. „Der Vorleser“ spielt in Heidelberg, wo Schlink aufwuchs und das Gymnasium besuchte. Daher sein Wunsch, dass „Der 20. Juli“ in Heidelberg uraufgeführt wird. Weil die professionellen Theater wenig Interesse bekundeten, nahmen sich die jungen Lehrerinnen und Lehrer dem Stück an.
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Esther, Fabi, Maria, Niklas und Paul haben das Abi in der Tasche. Ihr letzter Schultag ist der 20. Juli, der Tag, an dem das Stauffenberg-Attentat auf Adolf Hitler fehlschlug. Mit ihrem Geschichtslehrer Ulrich Gertz lassen sie noch einmal den Stoff des letzten Jahres Revue passieren und verhaken sich gleich in der Frage, ob ein präventiver Tyrannenmord legitim ist. Im spartanischen Klassenzimmer kocht die Diskussion hoch, denn bei den letzten Wahlen hat die „Deutsche Aktion“, deren Vorsitzende Peters sich als charismatische Populistin entpuppt, 37 Prozent bekommen.
Auf der Abifeier wenden sich die fünf dann dem Bier und praktischen Fragen zu: Wie könnte man „die Peters“ ausschalten? Ein Jagdgewehr mit Zielfernrohr und eine Pistole sind leicht zu besorgen. Wären da nicht die moralischen Bedenken. Lehrer Gertz, der sein Engagement in einer Bugwelle aus Worthülsen vor sich herschiebt, hat wenig zu bieten. Aber was ist schon von einem Mann zu erwarten, der es nicht einmal schafft, sein Verhältnis zur „Einser-Schülerin“ Esther in Ordnung zu bringen?
Figuren in Schlinks "Der 20. Juli" geraten in einen Strudel aus Fragen
Niklas, Paul und Maria geraten in einen Strudel aus Fragen: Welche Ängste hindern sie? Was ist Mut? Und was nutzt so ein Mord, wenn man dadurch vielleicht zum Helden wird, aber selbst auf der Strecke bleibt. Vielleicht sollten sie erst mal in den Urlaub fahren, das Studium aufnehmen und dann mit etwas Abstand aktiv werden.
Bernhard Schlink geht es nicht nur um die Legitimität von Gewalt in einer historischen Situation, in der autoritäre und rechtsextreme Strömungen auf dem Vormarsch sind. Er leuchtet mit seinem Stück auch die persönlichen Motive seiner Figuren aus. Paul, der Klassenproll, glaubt, dass ihm die Rolle des Attentäters entspricht, der Idealist Niklas beugt sich dem Gruppendruck, die liebe Marie will nicht mehr nett sein und Fabi sieht das ganze als Spiel, das sie nach Belieben anheizen und abkühlen kann.
Das junge Ensemble unter der Regie von Eveline Hauß und Pia Keßler bringt dieses textlich nicht ganz einfache Gedankenexperiment mit einfachen Mitteln und großem Engagement auf die Bühne. Das Publikum und der anwesende Autor waren sichtlich zufrieden.
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