Seit Oktober 2021 kocht das Thema sowohl in Heidelberg als auch in Stuttgart auf heißer Flamme. Es wird wohl auch im kommenden Jahr nicht vom Herd genommen werden: Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) wird vermutlich weitere Anläufe unternehmen, um Heidelberg irgendwie für seine Pläne rund um das alte Gefängnis am Rande der Altstadt zu gewinnen. Denn das Land ist in großer Not.
Baden-Württemberg hat im abgelaufenen Jahr nach Angaben des Justizministeriums 33 verurteilte Straftäter auf freien Fuß setzen müssen. Diese sollten eigentlich ihre Strafe im sogenannten Maßregelvollzug antreten. Da es jedoch nicht genügend Plätze dafür gibt und eine sogenannte Organisationshaft zu lange dauerte, hat das Ministerium für die 33 Kriminellen die Freilassung angeordnet. Im vorangegangenen Jahr hatte das Land 35 Straftätern nicht rechtzeitig einen Platz in einer Therapieeinrichtung zuweisen können und ebenfalls freigelassen.
Erbitterter Widerstand
In dem aktuellen politischen Streit über diesen Umstand spielt Heidelberg die zentrale Rolle. Bekanntlich möchte das Land das frühere Gefängnis „Fauler Pelz“ befristet für den Maßregelvollzug nutzen. Dagegen kämpft die Stadt mit erbittertem Widerstand und allen verfügbaren rechtlichen Mitteln. Sie hält nicht nur Gebäude und Lage des „Faulen Pelz“ für vollkommen ungeeignet. Sie will zudem das historische Gemäuer für eine Nutzung durch die Universität sichern.
Aktuell laufen gleich mehrere Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe. Damit will die Stadt Heidelberg vor allem ihre eigenen Rechte wahren und den einstimmigen Beschluss des Gemeinderats vom 2. Juni umzusetzen. Dieser hatte einstimmig entschieden, den Bauantrag des Landes um ein Jahr zurückzustellen und zunächst ein bereits begonnenes Bebauungsplanverfahren für eine universitäre Nutzung abzuschließen. Dagegen wehrt sich wiederum das Land. Denn ein Aufschub um ein Jahr bringt der Regierung nichts auf der händeringenden Suche nach kurzfristig verfügbaren Therapieplätzen. Die Zeit spielt eindeutig für Heidelberg.
Unter Druck steht in der politischen Debatte vor allem Sozialminister Manfred Lucha. Der Politiker hat es weder mit Charme-Offensive noch mit Schmeicheleien, Versprechungen oder juristischem Druck geschafft, die Stadt Heidelberg auf seine Seite zu ziehen.
„Die Hütte brennt“, sagte der Vizechef der FDP im Landtag, Jochen Haußmann, der Deutschen Presse-Agentur angesichts der alarmierenden Zahl der Freilassungen. Unter den Entlassenen seien auch Männer, die wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden seien. Laut Sozialministerium kommen Täter mit erheblichen Gewaltdelikten allerdings nicht vorzeitig frei. „Die Entwicklung steigert das Sicherheitsgefühl der Menschen nicht gerade“, sagte Haußmann.
Nach Ansicht des FDP-Politikers hat allein Lucha die Schuld an der Misere. „Er hat versäumt, die Stadt einzubeziehen und einen Kompromiss zu finden.“ Eigentlich hätte der Minister schon früher auf die Entwicklung reagieren müssen. Den Vorschlag der FDP, eine Aufnahme in anderen Bundesländern ohne Platzprobleme zu arrangieren, habe er in den Wind geschlagen. Auch die SPD-Landtagsfraktion geht mit Lucha hart ins Gericht: „Wenn Verurteilte einfach davon spazieren, weil es in Baden-Württemberg an den entsprechenden Plätzen fehlt, ist das ein Nackenschlag für den Rechtsstaat, dem der Sozialminister tatenlos zusieht“, sagte der Strafvollzugsexperte der SPD, Jonas Weber. Das Ministerium habe jahrelang vor diesem Problem die Augen verschlossen.
Das Ressort von Sozialminister Lucha setzt nach eigenen Angaben alles daran, die Kapazitäten zu erhöhen. „Die laufenden Planungen haben selbstverständlich das Ziel, die aktuellen Engpässe zu beheben“, sagte ein Sprecher des Ministers.
Zur Überfüllung der Einrichtungen haben vor allem die vagen gesetzlichen Anforderungen des Paragrafen 64 im Strafgesetzbuch für die Unterbringung im Maßregelvollzug und deren großzügige Auslegung durch die Gerichte geführt. In einem vom Sozialministerium und der Opposition begrüßten Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums sollen die Regeln enger gefasst werden.
Keine Alternative zu Heidelberg
Die Oppositionspolitiker Haußmann und Weber sehen trotz der verfahrenen Lage keinen anderen Weg für Lucha, als nochmals auf die Stadt Heidelberg zuzugehen, denn es gebe keine Alternative zum „Faulen Pelz“ in Heidelberg.
Doch stehen die Chancen denkbar schlecht, dass der Sozialminister auf irgendeine Weise die Stadt zum Einlenken bringen könnte. Die Front in Heidelberg gegen den Maßregelvollzug im Faulen Pelz steht. Eine Aufweichung ist auch im kommenden Jahr nicht zu erwarten.
Der Maßregelvollzug – Zahlen, Daten, Fakten
- Im Unterschied zum Strafvollzug kümmert sich der Maßregelvollzug um Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer Intelligenzminderung oder einer Suchterkrankung eine Straftat begangen haben. Sie werden von einem Gericht in einer forensisch-psychiatrischen Klinik untergebracht.
- Der Maßregelvollzug hat die Aufgabe, die Gesellschaft vor weiteren Straftaten zu schützen – einerseits durch eine gesicherte Unterbringung, anderseits mit Hilfe verschiedener Therapien.
- Im Heidelberger Faulen Pelz will das Land bis zu 75 suchtkranke Straftäter unterbringen. Hier soll die Therapie starten, bevor die Straftäter auf andere Einrichtungen des Landes verteilt werden.
- Laut Sozialministerium waren im September etwa 1400 Menschen in den sieben Therapiezentren des Landes im Maßregelvollzug – ein Drittel mehr als 2017.
- Durch Neubauten an den Standorten Calw und Wiesloch werden erst Ende 2023 oder Anfang 2024 rund 100 neue Therapieplätze geschaffen. In Schwäbisch Hall sollen 100 Plätze entstehen. Damit seien dann die Lücken geschlossen, heißt es aus dem Ministerium. Heidelberg soll diese Lücken schließen.
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