Heidelberg. Unter dem Motto „Mensch und Forschung“ steht die Jahrestagung der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie, Querschnittslähmung, in Heidelberg. Norbert Weidner ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Paraplegiologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Er fordert mehr Geld für Forschung auf einem Gebiet, das nur wenige Menschen betrifft, aber schwere Schicksale mit sich bringt.
Herr Professor Weidner, dass Gelähmte wieder gehen, dürfte doch eher utopisch sein. Wie viel Realität bergen Heilsversprechungen?
Norbert Weidner: Wenn nicht die komplette Motorik verloren gegangen ist, sondern noch Restfunktionen bestehen, ist es durchaus möglich, eine eingeschränkte Geh- und Stehfähigkeit wiederzuerlangen. Das sind keine Zukunftsvisionen, das ist therapeutischer Alltag. Ansonsten ist unser Ansatzpunkt, dass wir den querschnittsgelähmten Menschen mit seinen Einschränkungen so nehmen, wie er ist, und mit einem multiprofessionellen Team alles daransetzen, eine maximale Selbstständigkeit und größtmögliche Unabhängigkeit zu erreichen. Es geht hier nicht um Heilung, sondern darum, Einschränkungen, die ja neben Armen oder Beinen auch Organe wie Harnblase und Darm betreffen, so zu umgehen, dass der Mensch ein weitgehend selbstständiges und lebenswertes Leben führen kann.
In Deutschland leben rund 140.000 Menschen mit einer Querschnittslähmung. Häufig sind Unfälle dafür der Grund. Wie sehr greift Sie das als Arzt an?
Weidner: Wie in jedem medizinischen Fachgebiet bekommt man über die Jahre ein dickes Fell. Aber es gibt Schicksale, die einen immer aufs Neue bewegen, zum Beispiel, wenn ein 18-Jähriger, der gerade sein Abitur gemacht hat, durch einen Kopfsprung in den Neckar von einer Millisekunde auf die andere in einem anderen Leben landet. Auf der anderen Seite erfahre ich immer wieder, wie Menschen trotz schwerster Beeinträchtigungen ein erfülltes Leben führen, das ist extrem motivierend, und das treibt mich auch in meiner Arbeit an, das Bestmögliche für diese Menschen zu erreichen.
Ihre Arbeit ist ein Nischengebiet. Wie viel Forschung ist hier überhaupt möglich?
Weidner: Nicht nur die Wissenschaftler im Labor, sondern Ärzte, Pflegende und Therapeuten, die in der Arbeit mit den Patienten sehen, wie sie auf deren Needs, die Bedürfnisse noch besser eingehen können, entwickeln daraus Empfehlungen für eine noch bessere medizinische und rehabilitative Behandlung. Wenn es um die tatsächliche Regeneration des Rückenmarks geht, um also Lähmungen und sonstige neurologische Ausfälle rückgängig zu machen, sind wir auf Grundlagenforschung und damit Geld angewiesen. Doch davon gibt es viel zu wenig. Krankheitsbilder wie Demenz oder Schlaganfall erzielen viel mehr Interesse, vor allem das von großen Pharmaunternehmen. Querschnittslähmung ist eine seltene Erkrankung, Gott sei Dank, aber das bedeutet auch: Es interessieren sich dafür nur wenige. Von der Politik würden wir uns deshalb wünschen, dass sie die seltenen Erkrankungen noch mehr auf dem Schirm hat und deren Erforschung gezielt unterstützt.
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