Hochwasser - Heidelberg zählt für Experten zu den Großstädten mit dem höchsten Risiko / 1993 "Jahrhundert-Hochwasser"

"Einmal im Jahr nasse Füße"

Von 
Martin Geiger
Lesedauer: 

20 000 Sandsäcke liegen immer bereit. In der Kläranlage in Wieblingen, dort wo auch die Stege lagern und die Schilder, die im Notfall aufgebaut werden. Einmal im Jahr tritt dieser in der Regel ein: "In den letzten vierzig Jahren hatten wir im Durchschnitt jedes Jahr ein Hochwasser", sagt Jan-Helge Saar, Abteilungsleiter Kanalbetrieb beim Abwasserzweckverband und damit zuständig für den Hochwasserschutz. "Wer in der Altstadt lebt, muss damit rechnen, dass er mindestens einmal im Jahr nasse Füße kriegt."

Damit zählt Heidelberg für Saar zu den zehn deutschen Großstädten, die am häufigsten von Überschwemmungen betroffen sind. Schuld daran sei in erster Linie der Querschnitt des Neckars: "Im Bereich der Altstadt ist das Flussbett wie ein Trichter geformt. Dort ist der Neckar am schmalsten." Und folglich tritt er dort am häufigsten über die Ufer. Hinzu komme die Lage der Stadt am Rande des relativ regenreichen Odenwalds. Dessen steile Hänge, erklärt der Experte, führten dazu, dass das Regenwasser schnell in den Fluss gelangt. Insbesondere im Winter, wenn die Niederschlagsmenge am höchsten ist und weder das Laub der Bäume noch die Pflanzen auf den Feldern den Abfluss hemmten und deshalb die Hochwassergefahr am größten sei.

Die Bewohner der besonders betroffenen Stadtteile Altstadt, Wieblingen und Ziegelhausen kennen das besser, als ihnen lieb ist. Hochwasserberichte gibt es bereits vom 18. Januar 1784, vom 2. Januar 1883 oder vom 30. Dezember 1947. In der jüngeren Vergangenheit häuften sie sich sogar, was Saar zufolge auch damit zusammenhängt, dass der Wasserspiegel des Neckars durch Schleusen künstlich angehoben worden ist, um einen geregelten Schiffsverkehr zu gewährleisten.

So stieg der Pegel am 16. Februar 1990 bis auf 3,92 Meter über dem Normalzustand. Am 14. April 1994 wurden sogar 3,99 Meter gemessen. Das "Jahrhundert-Hochwasser" erwischte Heidelberg jedoch kurz vor Weihnachten 1993: Am 22. Dezember schwoll der Neckar bis auf 4,61 Meter an. Der Katastrophenfall. Damals hätte man mit einem Boot fast bis in die Untere Straße oder zum Rathaus rudern können.

Aus diesem "Jahrhundert-Hochwasser" hat man viel gelernt, berichtet Saar: in erster Linie, dass die vorhandenen Schutzmaßnahmen nicht genügten. Darum schaffte die Stadt einen Container an, der seither im Notfall auf dem Marktplatz steht und als Informationsstelle dient; die Schlammfangwände ("Die meisten Schäden entstehen weniger durch das Wasser, sondern durch den Schlamm") wurden von einst 60 Zentimeter auf 1,50 Meter erhöht, inzwischen sind mehr als die Hälfte sogar durch nahezu wasserdichte Aluminiumwände ersetzt; zudem erstellte die Stadt den Hochwasserschutzplan.

Er beschreibt auf rund 100 Seiten, welche Maßnahmen bei welchem Pegel zu ergreifen sind: 1,55 Meter: Bereich der Alten Brücke mit Sandsäcken sichern; 1,75 Meter: Stege für Fußgänger in Wieblingen aufbauen; 3 Meter: Kläranlage abstellen.

Allzu oft musste das zuletzt zum Glück nicht mehr getan werden, weil nach 1993 im Neckartal viele Rückhaltebecken geschaffen wurden, erklärt Saar: "Was da an Becken gebaut wurde, ist eine wahre Pracht." Und hilft den Heidelbergern, öfter trockene Füße zu behalten.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen