Heidelberg. Mit Friedhöfen verbinden die meisten Menschen gedanklich den Tod. Doch gleichzeitig bieten diese grünen Ruhezonen natürliche Lebensräume für die Tier- und Pflanzenwelt. Der Handschuhsheimer Friedhof ist von den insgesamt 18 Friedhöfen – auf 14 davon wird bestattet – mit einer Fläche von 6,5 Hektar nach dem Bergfriedhof die zweitgrößte letzte Ruhestätte im Stadtgebiet von Heidelberg. Und nicht nur das: Er gilt seit jeher als Paradies für unterschiedlichste Wildtierarten. Phasenweise besuchen Dachse den 1843 entstandenen kommunalen Ort „Zum Steinberg 16“ und verwüsten zum Leidwesen der Angehörigen Gräber. Strategien und Wildtiermanagement sind also erforderlich.
Als sich die MM-Redaktion mit der Expertin Luisa Wissutschek, Wildtierbeauftragte der Stadt Heidelberg, Martin Geißler, Leiter des städtischen Regiebetriebs Friedhöfe und Friedhofs-Vorarbeiter Zbigniew Marek zum Ortstermin in „Hendesse“ trifft, hat die Dachspopulation ihre fleißigen Grabarbeiten eingestellt. „Alle Gräber sind momentan ganz“, sagt Zbigniew Marek. Freilich seien die „Erdmarder“ wie Füchse bis vor Kurzem regelmäßig aufgetaucht, was durch installierte Wildtierkameras zu beobachten sei. Eine wiederholt von den Schäden betroffene Handschuhsheimer Familie sagt zum Dachs-Dilemma: „Das war über einen längeren Zeitraum schon krass.“
Dachse buddeln 30 Zentimeter tiefe Mulden in den Gräbern
Dachse lieben es, mit ihren Grabpfoten und robusten Krallen zu buddeln. Meist betrifft es oberste Erdschichten. Es entstehen Mulden von 20 bis 30 Zentimetern Tiefe – der Beleg, dass Dachse am Werk waren. Häufig werden die gleichen Gräber, je nach Lage, Gestaltung und Bepflanzung, zerwühlt – von Dachsen auf Nahrungssuche nach Engerlingen, Würmer, Kleinsäugern und Baumfrüchten.
Die beruhigende Nachricht: „Die Verstorbenen sind sicher. Der Dachs kommt nicht auf eine Tiefe von 1,60 Metern, in der die Toten liegen. Und er riecht die Verstorbenen auch nicht“, erklärt Martin Geißler, der erfahrene Chef der Heidelberger Friedhofsbetriebe. Laut Geißler und Marek gelten zwei Grundprinzipien: Schäden werden von Zbigniew Mareks Sechser-Team sofort repariert und je nach Bedarf Gespräche mit den Familienangehörigen geführt. „Für Einzelne kann das sehr belastend sein“, berichtet Geißler über Fälle, die Fingerspitzengefühl in der Kommunikation benötigen, „oft herrscht starke Betroffenheit, weil eben dort die eigene Oma oder der eigene Opa ruht. Das können wir als Verwaltung sehr gut nachvollziehen.“
Der Dachs liebt den naturnahen Friedhof
Auf dem idyllisch in die Struktur von „Hendesse“ eingebetteten Areal gibt es rund 4500 bis 5000 Grabstätten. Warum ist ausschließlich Handschuhsheim von den Erdarbeiten der „Firma Dachs und Co.“ betroffen? „Dachse haben ihre Erdbauten gerne am sonnigen Hang“, so Luisa Wissutschek, „da ist der Boden zum Graben perfekt. Hier in Handschuhsheim gibt es alte, teilweise verlassene Gärten, Obstbäume, Schrebergärten und Kulturlandschaften. Das liebt der Dachs. Wir haben einen naturnahen Friedhof.“
Für den europäischen Dachs (Meles meles) entspricht der hügelige Friedhof einem ständig gedeckten Tisch oder opulenten Buffet. Er gehe instinktiv den Weg des geringsten Widerstandes, so Wissutschek. Der Dachs er lebe angrenzend zu den Friedhofsmauern im Familienverband und sei sogar in der Winterruhe bei gelegentlichen Unterbrechungen auf der Jagd nach „kleinen Snacks“. Besonders kurios: Friedhofskerzen üben große Anziehungskraft aus – sie funktionieren ähnlich verlockend wie „Eis am Stiel“ bei uns Menschen. Geißler mit einem Schmunzeln: „Gerade Biograbkerzen scheinen ein Leckerli für den Dachs zu sein. Er schleift sogar die Hüllen der Kerzen weg.“
Zusätzlicher Maschendraht soll gegen unliebsame Besuche schützen
So amüsant manches klingt: Um den Friedhof vor ständigen Dachs-Besuchen zu schützen, hat die Verwaltung die Maßnahmen erhöht. Die Begrenzungen wurden gezielt verdichtet, ein zusätzlicher Maschendraht wurde auf den vorhandenen Stabgitterzaun gesetzt. Zbigniew Marek und sein Team appellieren an die Besucher, die Türen unbedingt hinter sich zu schließen. Auch über den Einsatz spezieller Dachsfallen wird nachgedacht. Denn das Problem taucht vornehmlich zwischen Frühling und Herbst auf – seit Jahrzehnten zehn- bis 15-mal pro Jahr.
Der Friedhof ist eine alte gepflegte Kulturlandschaft (Baumbestand, Hecken und Wege) mit modernen Teilaspekten. Ein Bienengutachten des BUND dokumentierte 2022, dass „Hendesse“ einen insektenfreundlichen Friedhof hat. Zwei Schilder im Haupteingangsbereich zeigen: 118 von 135 Wildbienenarten konnten nachgewiesen werden. Eine Topquote!
Martin Geißler hofft, dass sich das Verständnis für eine veränderte Friedhofskultur in der Bevölkerung weiter verändert. „Friedhöfe sind Ruhe- und Trauerstätte, aber auch ganz wertvolle Biotope für Tiere und Pflanzen – mit Rieseneffekten auf unsere Natur“, ordnet Geißler die zu bewältigende Aufgabe ein, „wir versuchen, eine Balance zu finden und haben, was Blühwiesen, Langgras, Bereiche um die Gräber und Heckenschnitt anbetrifft, bei der Pflege auch einen anderen Blick drauf.“ Was hilft? Primär Aufklärung und Bewusstsein für unsere unmittelbare Umgebung, zu der Friedhöfe als Monument des Endlichen gehören.
In der Pfalz richtet der Dachs größere Schäden an
Zurück zur Dachsproblematik in Handschuhsheim. Um es klar festzuhalten: Sie ist ärgerlich, doch vergleichsweise relativ harmlos. Mehrere gravierende Schäden durch Dachsbauten sind in der Pfalz entstanden. Die Strecke zwischen Deidesheim und Bad Dürkheim ist seit Mitte März gesperrt, weil sich dort Dachse auf einer Länge von 2,5 Kilometern in den Bahndamm gegraben haben. Freinsheim (2022, 2024) und ein Abschnitt zwischen Winden/Kreis Germersheim und Landau (im Frühjahr 2025) vermeldeten ähnliches Malheur. Die Deutsche Bahn rückt den Dachsen nun mit Spezialmaschinen auf den Leib. Diese arbeiten mit einer langen Fräse Schicht für Schicht Beton in den Bahndamm ein. Ein hochaufwendiges, kostspieliges Sanierungsverfahren unter den Gleisen, das Naturschützern nicht gefällt.
Dagegen ist das Aufeinandertreffen von Natur und Stadt, Gegenwart und Vergangenheit, Leben und Tod im verwinkelten Handschuhsheim sowie auf dessen Friedhof, wo unter anderem mehrere Nobelpreisträger und die Eltern der schwedischen Königin Silvia begraben wurden, mit einer tröstlichen Dramaturgie versehen. „Meister Grimbart“ und seine Artgenossen mögen schubweise als ausdauernde Wühler auftreten, doch die Ruhestörung ist zeitlich begrenzt, zumal sie anderswo in ihren verzweigten, unterirdischen Familienbauten hausen.
Es bleibt auf diesem schönen Heidelberger Friedhof meist friedlich und still, wenn Wildtiere – mit Abstand – dem Leben nach dem Tod begegnen …
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