Heidelberg

Das hochkarätige Heidelberger Symposium thematisiert alte Mythen und neue Krisen

Antisemitische Legenden von Ritualmorden an Kindern - diesen Mythos haben Verschwörungstheoretiker aus dem Mittelalter in die Gegenwart geholt. Das 34. Heidelberger Symposium hat sich mit derlei Themen auseinandergesetzt

Von 
Filip Bubenheimer
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Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen halten in Düsseldorf ein Schild hoch, auf dem „Compact“ und „Querdenker“ steht. © dpa

Verschwörungstheoretiker sind erfinderisch. Aber sie recyceln auch Uraltes, trägt der Physiker Holm Hümmler an der Universität Heidelberg vor: Antisemitische Legenden über Ritualmorde an Kindern etwa seien schon im Mittelalter verbreitet gewesen, sagt Hümmler. Heute fänden sie sich in den „QAnon“-Mythen über einen Kinderblut zapfenden Geheimring internationaler Eliten wieder. Hochaktuell und gleichzeitig unvergänglich – damit passte Hümmlers Thema, der „Umgang mit Verschwörungsdenken und ähnlichen irrationalen Vorstellungen“, gut zum Titel des 34. „Heidelberger Symposiums“: „zeit.los“.

Unter diesem Schlagwort bot das dreitägige Programm Vorträge und Diskussionen zu Wissenschaft, Politik und Kultur. Das Symposium wird seit 1989 von Studierenden der Universität und der Pädagogischen Hochschule organisiert. Schirmherr ist dieses Jahr Ex-Kanzleramtschef Helge Braun. Der Titel „zeit.los“ lade dazu ein, „scheinbar zeitlose Dinge zu hinterfragen“, sagt Lorenz Vogel vom Vorstand des Trägervereins „Heidelberger Club für Wirtschaft und Kultur“. Man habe das Wort aber mit einem Punkt geteilt, um den Blick auch auf die drängenden Fragen der Gegenwart zu lenken: „Wir haben keine Zeit, also los.“

Über eigenen Tellerrand schauen

Im Programm schlugen sich auch die aktuellen Krisen nieder, etwa mit Vorträgen zu Klimaprotest und Aktivismus, nachhaltigem Städtebau oder einer Diskussion zur Reform der Bundeswehr. Andere Vorträge waren weiter vom Tagesgeschehen entfernt, etwa über „Mumien – zeitlose Zeugnisse vergangener Kulturen“ von Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen.

Das Symposium rege dazu an, über den eigenen fachlichen Tellerrand hinauszuschauen, sagt der Physikstudent Vogel. Mehr als 600 Besucher kamen dieses Jahr; laut Vogel hat sich damit die Zahl beim zweiten Präsenz-Symposium nach Corona wieder erholt. Die Veranstaltung steht allen Interessierten offen, der Großteil der Besucher studiert aber – so wie Tim Niederhüfner. „Mir gefällt es sehr, sehr gut“, sagt der Geografie- und Geschichte-Student. Er hat gerade einen Vortrag über Spieleentwicklung verfolgt – mit für ihn verblüffenden Erkenntnissen: Das Brettspiel „Monopoly“ habe zum Beispiel eine kapitalismuskritische Vorgeschichte.

Auch der Physikstudentin Lisa Cymanek sagt das Programm zu. Sie kommt aus Hümmlers Vortrag zu Verschwörungstheorien. Besonders interessant fand sie die „Erfahrungsberichte von Leuten, die ausgestiegen sind“. Zum Mittagessen auf dem Universitätsplatz serviert das Organisationsteam ein Gemüsecurry.

Die Pandemie habe es schwieriger gemacht, das knapp 20-köpfige Team auf die Beine zu stellen, sagt Vogel. Denn es sei leichter, Studierende zu gewinnen, die sich schon als Besucher für das Symposium begeistern konnten. Die Jurastudentin Katharina Pfeiffer hat das Symposium dieses Jahr mitorganisiert. „Ich habe viele interessante und nette Menschen kennengelernt“, sagt Pfeiffer. „Und ich lerne viel über mich selbst und darüber, wie man so ein Projekt auf die Beine stellt.“ Sie heftet gerade ein Kärtchen an eine Pinnwand: „Welche Zeit im Leben hättest du gerne anders genutzt?“, steht darauf – eine Einladung an Besucher, auf der Pinnwand ihre Gedanken zu hinterlassen.

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