Etwas Magisches umschwebt diesen Abend im Heidelberger Karlstorbahnhof. Denn obwohl Manuel Bittorf, wie Sänger Betterov bürgerlich heißt, zum dunklen lyrischen Acryl auf der Palette greift – die Wort- und Tongemälde, die er dabei entstehen lässt, reichen weiter, bleiben haften und zeigen ihre ganz eigene Form finsterer Schönheit.
Nun ist es freilich nicht so, dass die Gefilde zwischen Post Punk, Indie Rock und Pop Noir mit Künstlern wie Alex Mayr, Faber oder Konstantin Gropper bisher gänzlich verlassen dahergekommen wären. Doch nicht zuletzt der jüngste Auftritt bei Late Night Berlin stellt unter Beweis, dass der 29-Jährige aus Bad Salzungen mit seinen Kompositionen einen Nerv trifft, der das eigene Genre aus der Nische ins Scheinwerferlicht rückt – und das durchaus auf höchst eigenwillige Art und Weise.
Denn statt sich den Konventionen breitenkonformer Ästhetik zu beugen, verspeist, wirft oder zerquetscht der Interpret wahlweise eine volle Schwarzwälder Kirsch. Eine Tortenschlacht gegen die Normalität, die selbst dem Leid mit Augenzwinkern begegnet.
Denn ja: Betterovs Lieder schreien vor Weltschmerz. Sie klagen eine Überforderungsgesellschaft an, in der Zweifel an der eigenen Existenz wertvolle Stunden des Schlafes rauben („Gute Nacht“). Sie konstatieren eine lähmende „Angst“, die jede Zuversicht in Ketten legt. Sie fordern Hilfe, wenn schließlich der eigene Orientierungssinn endgültig verloren gegangen ist („Bring mich nach Hause“).
All das resümiert Betterov in Heidelberg mit seiner hervorragenden Band jedoch nicht als resignatives Plädoyer für weitere Stunden in antisozialer Abgeschiedenheit – es ist ein Schrei, der im Augenblick der Klage stets schon ihre Überwindung mit meint. Oder wie es der junge Protagonist dieser zwei Stunden selbst im gleichnamigen Titel singt: „Ich will mich verändern – so wie Dynamit.“
Poetische Radikalität
In seiner poetischen Radikalität mag man zwar bisweilen einseitige Extreme vermuten – doch nicht zuletzt die Publikums-Chöre, die etwa bei dem einträchtig mitgesungenen und fast schon zum Klassiker mutierten „Dussmann“ in Richtung Revolution der Realität drängen, spürt man: Dieser entschlossene Musiker spricht seiner Generation ganz offensichtlich aus der Seele.
Mitunter mag das daran liegen, dass „Olympia“, Betterovs erster Langspieler, weder den Skeptizismus noch den Optimismus in grellen Farben zeichnet, sondern vielmehr die Komplexität des Dazwischen tatsächlich in Worte empathischer Nachvollziehbarkeit kleidet. Fest steht jedenfalls, dass das eigentlich Imponierende am Sound dieses besonderen Talents keineswegs seine Expressivität, sondern die überlegte Tiefe eines Denkers ist, der aus der Theaterlandschaft kam, um auch die Musik mit seiner ganz eigenen Dramaturgie zu versehen.
Dass Betterov im Bandpool der Mannheimer Popakademie ein Vertrauen fand, das seit jeher für besondere Talente wie diesen musikalischen Aufsteiger vorherbestimmt ist, mag keineswegs verwundern. Denn auch, wenn Bittorf noch beweisen muss, dass er seine Bannkräfte auch auf Dauer erhalten kann, spürt Heidelberg die Energie eines Interpreten, der selbst den Schatten, in die er tritt, einen Glanz von tief anziehendem Charakter verleihen kann. Oder mit anderen Worten: Die Zukunft gehört ihm, er muss sie nur mit Händen, Worten und Akkorden ergreifen.
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