Heidelberg. Lautstarkes Schimpfen, wüste Beleidigungen: Als der Mann und die Frau am 8. März 2021 den Weg am Neckarufer entlangkommen, hört Doreen Schmidts schon von Weitem, dass etwas nicht stimmt. Sie spielt an diesem Nachmittag mit Freunden nahe dem Beachvolleyballfeld Frisbee und macht gerade Pause, als die 21-jährige Frau und der sieben Jahre ältere Mann ihr auffallen. „Ich hatte den Eindruck, dass die Frau versucht, von ihm wegzukommen“, erinnert sie sich. Der Mann sei ihr aber „immer wieder hinterher und hat sie auch ein bisschen bedrängt“.
„Hey, atme mal durch“
Schmidts wird sofort aktiv. Die 24-Jährige geht zu den Streitenden und fragt die Frau, ob sie Hilfe brauche. Als diese sagt, der Mann lasse sie nicht in Ruhe, stellt die ruhig und ausgeglichen wirkende Schmidts sich vor den 28-Jährigen. Sie habe einfach „Stopp“ gesagt und „Hey, atme mal durch“, berichtet sie. Zusammen mit einem älteren Passanten redet sie beruhigend auf den Mann ein, der „schon ein bisschen aggressiv“ wirkt – während ihre Mitspielerin Verena Zauscher sich um die 21-Jährige kümmert und die Polizei ruft. Die findet das Verhalten der Frauen, die möglicherweise eine Eskalation verhindert haben, so vorbildlich, dass sie sie für eine Ehrung im Rahmen der Kampagne „beistehen statt rumstehen“ vorschlägt. Damit zeichnen die in der Vorbeugung aktiven Vereine Sicheres Heidelberg (SicherHeid), Sicherheit in Mannheim (SiMa) und Kommunale Kriminalprävention Rhein-Neckar Menschen aus, die sich im Alltag als Helfer in der Not bewährt haben.
Courage im Alltag
- Die Kampagne „Beistehen statt rumstehen“ der Vereine Sicheres Heidelberg, Sicherheit in Mannheim und Kommunale Kriminalprävention Rhein-Neckar orientiert sich nach deren Angaben an der bundesweiten Polizei-Aktion „Tu was“.
- Diese hat sechs Regeln für mehr Zivilcourage formuliert, die helfen sollen, im Alltag couragiert zu handeln. Sie lauten:
- Erstens: Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr. Zweitens: Ruf die Polizei unter 110. Drittens: Bitte andere um Mithilfe. Viertens: Präg dir Tätermerkmale ein. Fünftens: Kümmere dich um Opfer. Sechstens: Sag als Zeuge aus.
Zum Dank erhalten Doreen Schmidts und Verena Zauscher (30) im Hof des Palais Graimberg je eine Urkunde und einen Einkaufsgutschein. „Das ist schon ein Super-Engagement“, sagt Bürgermeister Wolfgang Erichson (Grüne), der die Auszeichnung zusammen mit SicherHeid-Geschäftsführer Knut Krakow und dem Leiter des Polizeireviers Heidelberg-Nord, Theo Härter, überreicht und noch zwei Flaschen Prosecco beisteuert. Der Fall zeige: „Wenn du in so einer Situation dazwischengehst, kannst du helfen“, sagt Erichson.
Zwar müsse sich niemand gefährden, aber man wolle dazu animieren, Mut zu haben und „nicht wegzugucken“. Krakow sagt, weil hier in beispielhafter Weise geholfen und Hilfe organisiert worden sei, sei es dem Verein wichtig, die Auszeichnung zu vergeben, wegen Corona die erste seit zwei Jahren. Schmidts hofft, dass der Fall andere ermutigt. „Wir müssen nicht aussehen wie Türsteher, um uns einmischen zu können“, so die Ethnologiestudentin, die nach eigenen Angaben auch Yogalehrerin ist. „Es reicht, ein ganz normaler Mensch zu sein, aber Klarheit im Auftreten zu haben.“ Zu helfen gehöre in „einer solidarischen Gesellschaft, so wie wir es uns zukünftig vorstellen, dazu“, sagt Verena Zauscher. Jeder solle sich vorstellen, wie befreiend es sei, wenn ihm in Not geholfen werde.
Nimmt die Hilfsbereitschaft allgemein zu? Das lasse sich nur schwer messen, aber vom Bauchgefühl her sei dem nicht so, sagt Revierleiter Härter, der den Einsatz ebenfalls würdigt. „Man braucht Selbstbewusstsein, ob Mann oder Frau, um so zu reagieren wie die beiden Damen.“ Er spricht von einem „Stalkingfall“, der Mann sei später wegen Nachstellung angezeigt worden, das Verfahren sei inzwischen abgeschlossen, wie es ausgegangen sei, lasse sich – ebenso wie die Details vor Ort – aus Datenschutzgründen nicht mehr recherchieren, und der zuständige Beamte sei inzwischen pensioniert.
Trennung wohl nicht akzeptiert
Verena Zauscher, die sich um die zunächst etwas hilflos wirkende 21-Jährige kümmerte und dieser zuhörte, sagt, es habe eine Trennung gegeben, die der Mann offenbar nicht akzeptiert habe. Er habe der Frau sexuelle Beziehungen zu anderen Männern vorgeworfen. Das sei „nicht mehr aushaltbar“ gewesen. Der Mann hatte die 21-Jährige damals eigenen Angaben zufolge nie wieder sehen wollen, sie dann aber doch zufällig getroffen und dann noch einmal mit ihr reden wollen, die Frau hingegen habe gesagt, er habe sie – wie schon zuvor – abgefangen, berichten die Helferinnen. Der 28-Jährige habe sich dann „relativ schnell beruhigt“ und seine Sicht der Dinge geschildert, sagt Schmidts. Angst habe sie nicht gehabt, sie habe ja die Freunde hinter sich gewusst. Und sie habe ziemlich schnell gemerkt: „Ich kann die Situation auch handeln, wenn ich einfach hier präsent bin.“
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