1986 ist Elke Werry mit der Filmkamera durch ein noch weitgehend abgeschottetes China gereist. 1993/94 fuhr sie monatelang für eine vierteilige Serie am Mekong entlang. Und vor sechs Wochen suchte die mittlerweile 56-Jährige einen Pferdezüchter in der weiten mongolischen Steppe. Seit 30 Jahren ist Werry Dokumentarfilmerin. In dieser Zeit ist die Welt dank der neuen Medien so zusammengerückt, dass heute selbst die abgelegensten Orte nur einen Mausklick entfernt scheinen. Und dennoch: Ein Gespräch mit der gebürtigen Ludwigshafenerin über ihre Reisen hält Erkenntnisse bereit, die auf keiner Homepage stehen.
Ortstermin in der Altstadt. Werry lebt mit ihrem Mann in einer geräumigen Altbauwohnung in der Nähe des Theaters. Aus dem Küchenfenster im dritten Stock kann man die historische Sternwarte von 1879 sehen. An den Wänden hängen überraschend wenig Souvenirs. "Ich hab' aufgehört, so viel mitzuschleppen", sagt Werry. Es sind eher Kleinigkeiten, die sie in ihrem "Erinnerungssafe" aufbewahrt: ein massiver Holzschrank mit 70 niedrigen Schubladen. Beim Herausziehen fallen handgeschriebene Faxe heraus, Zigarettenschachteln mit asiatischen Schriftzeichen oder Briefmarken. "Ha, da ist noch Gaddafi drauf!", sagt Werry und reicht einen Bogen libyscher Postwertzeichen herüber. Und dann kommt ein nordkoreanisches Flugticket.
Fünfmal hat Werry das kommunistische Land bereist. Sie nennt es schwierig und faszinierend. "Man weiß nie: Was ist Inszenierung, was ist Wahrheit?" Vor Ausländern hätten die Einheimischen geradezu Angst. Mit gewöhnlichen Menschen zu reden, sei unmöglich. "Die Abschottung ist extrem, die Kontrolle perfekt. Die Menschen haben keine Vergleiche und sind so indoktriniert, weil sie immer hören, sie seien das tollste Land der Welt. Und die glauben das auch", sagt Werry.
Exklusiver Zugang in Nordkorea
2002 hatte die Filmemacherin einen besonders exklusiven Zugang. Damals herrschte in Nordkorea eine massive Hungersnot und aus Deutschland wurden Schiffe voller Rindfleisch geschickt. "Es gab aber die Bedingung, dass das Fleisch bei der Bevölkerung ankommen muss. Deshalb musste das Regime deutschen Kontrollgruppen die Einreise und Bewegungsfreiheit im Land erlauben - und diese Hilfslieferung haben wir als Filmcrew dokumentiert", erzählt Werry. So kam die Heidelbergerin für den Film "Mission Nordkorea" in Schulen, soziale Einrichtungen, Büros - Alltagsleben eben. Ihr Fazit: "Nordkorea ist kein graues Land. Es ist wunderschön. . . aber schwierig."
Deutlich einfacher sei es hingegen in China geworden. 1986 war Werry erstmals im Reich der Mitte. Damals sei es noch ein komplett anderes Land gewesen. "Da liefen am Strand auf der Insel Hainan noch die schwarzen Hängebauchschweine herum. Heute stehen da nur Hotelbunker, die Insel ist eine Ferienmetropole geworden." Mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen, sei aber unmöglich gewesen. "Mit langnasigen Ausländern zu sprechen, war denen nicht erlaubt."
Mittlerweile hat Werry Freunde in China - Menschen, die sie in ihren Filmen porträtiert oder mit denen sie zusammengearbeitet hat. Am faszinierendsten findet sie die Millionenstädte. "Diese Dynamik im Wachstum - das gibt es in Europa nicht mehr. Und dann sieht man zwischen den Riesenblöcken wieder drei Straßenkneipen, wo mitten in der Stadt noch das kleine Dorf ist." Gerade diese Mega-Metropolen könnten Ausländer aber das Fürchten lehren. "Zu groß, zu laut, zu schmutzig - da bin ich dann schon froh, wenn ich wieder zurück in Heidelberg bin."
Zeiten von Dschingis Khan
Ihre jüngste Reise führte Werry in die Mongolei. Für eine sechsteilige Arte-Serie mit dem Titel "Asien feiert" beobachtete sie das Naadam-Fest - ein Wettkampf aus Reiten, Ringen und Bogenschießen, eine Reminiszenz an die Zeiten von Dschingis Khan. Großes Problem: Das vereinbarte Porträt eines Pferdezüchters platzte. Einen Ersatz zu finden, war schwer. "Vor dem Rennen spricht kein Züchter mit dir, weil das Unglück bringt. Nach dem Rennen eilt der Gewinner sofort davon und die Verlierer schämen sich und reden auch nicht mehr!", verdeutlicht Werry. Am Ende bekam sie aber doch einen Mann vor die Kamera.
Ist sie auf ihren Reisen nie in Gefahr gewesen? Werry lacht. "In einem Forschungszentrum für den Reis-Anbau auf den Philippinen filmten wir mal auf dem Dach und plötzlich splitterte es", erinnert sie sich. Mit der Kamera in der Hand stürzte sie durch ein Glasdach und landete auf dem Tisch eines Professors. "Das ging aber für beide glimpflich aus."
Elke Werry
Elke Werry wurde 1957 in Ludwigshafen geboren, machte am Max-Planck-Gymnasium Abitur, studierte an der Universität Heidelberg und promovierte dort in Kunstgeschichte.
Sie ist verheiratet und wohnt seit 1976 in der Altstadt, wo sie sich unter anderem in der "Initiative lebenswerte Altstadt" engagiert.
1981 begann sie mit einem Volontariat bei der Heidelberger Filmproduktionsfirma Weineck. 1983 machte sie mit einem Mitstreiter ihre eigene Firma "Feature-Filmstudio" auf, drehte und produzierte Dokumentationen in aller Welt.
1993 gründete sie mit drei Kollegen die Produktionsfirma "Along Mekong Productions" - der Name geht auf eine vierteilige Serie entlang des Mekong Flusses zurück. 2012 verließ sie die Firma und arbeitet als freie Autorin, Regisseurin und Producerin.
Werry hat für ihre Dokumentationen alle Kontinente außer Australien bereist. Am beeindruckendsten fand sie Nordkorea, Äthiopien und die Wüste Libyens. Privaten Urlaub macht sie meistens in Europa - nimmt aber nie das Pauschalangebot.
Dokumentationen brauchen laut Werry ein Forum im Fernsehen, weil sie "den Blick auf andere Länder prägen und die Augen für das Fremde öffnen".
Zu ihrer Filmografie zählen Dokumentarfilme wie "Die Hirten von Skyros", "Christo - wrapped Reichstag Berlin", "Neues aus Troia", "Reinhold Messner in der Mongolei" oder zahlreiche Filme für die SWR-Serie "Schätze der Welt", die Unesco-Weltkulturerbestätten porträtiert.
Im kommenden Jahr wird auf Arte die sechsteilige Serie "Asien feiert" zu sehen sein. Werry dreht hierfür die Filme in der Mongolei und in Macau.
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