Heidelberg. Es ist Else Kirchhof anzumerken, wie gerne sie eine Lösung herbeiführen würde, nicht gleich, aber doch bald. „Die Fronten sind verhärtet“, stellt die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim bei der mündlichen Verhandlung am Mittwochmittag fest. Und gerade deshalb schlägt der 6. Senat, dessen Vorsitz Kirchhof innehat, vor, im seit vielen Jahren schwelenden Streit um Lärm in der Heidelberger Altstadt den Weg eines gerichtlichen Mediationsverfahrens zu gehen, „damit wir alle in der schönen Altstadt wieder zusammenbringen“.
Doch dafür, so scheint es, ist es schon zu spät. Die Anwohner wollen ihre Ruhe, im wahrsten Sinne des Wortes, und sie wollen sich dafür nicht mehr mit Stadtverwaltung und Gemeinderat an einen Tisch sitzen müssen. „Dort haben wir schon so oft gesessen“, sagt Doris Hemler von der Bürgerinitiative „Linda“. Der Anwalt der Heidelberger Anwohner, die vor dem VGH klagen, Werner Finger, drückt es noch deutlicher aus. „Das Vertrauen ist zerstört.“ Und das gelte vor allem für den Heidelberger Gemeinderat, der sich immer wieder über richterliche Beschlüsse hinweggesetzt habe.
In der Tat mussten sich Gerichte schon mehrfach mit der Frage befassen, wie lange die zahlreichen Restaurants, Kneipen und Bars in der Heidelberger Altstadt geöffnet bleiben dürfen. Vor zwei Jahren war es der VGH, ebenfalls Kirchhofs 6. Senat, vor einem Jahr das Verwaltungsgericht Karlsruhe. In beiden Fällen wurde die Stadt aufgefordert, die Lärmsituation „deutlich“ zu verbessern. Die Karlsruher Richter legten sogar mit Verweis, dass mindestens sechs Stunden Schlaf für die Gesundheit notwendig seien, konkrete Sperrzeiten fest – nämlich Mitternacht unter der Woche und 2:30 Uhr am Wochenende.
Wiedersehen nach einem Jahr
Das ging der Stadt zu weit, die ihren Ermessensspielraum eingeschränkt sah. Sie legte kurz nach dem Urteil Berufung beim VGH ein und gleichzeitig neue Sperrzeiten fest: ein Uhr unter der Woche und vier Uhr am Wochenende. Auch die Gegenseite, vier der insgesamt 31 Anwohner, die zuvor vor dem Verwaltungsgericht in Karlsruhe geklagt hatten, zogen vor den VGH. Sie waren der Meinung, dass es nicht der Stadt überlassen bleiben sollte, wo genau eingeschränkte Sperrzeiten zu gelten haben, ein Punkt, den die Karlsruher Richter bewusst offen gelassen hatten.
Nun also, ein Jahr nach dem Urteil in Karlsruhe, treffen sich alle wieder, Heidelberger Bürger, Stadtverwaltung und Gemeinderäte. Die Anwohner beschreiben, wie sie selbst noch im dritten Stock kaum Schlaf finden, wenn Altstadtbesucher durch die Straßen ziehen und morgens um sechs Uhr die Kehrmaschinen die Hinterlassenschaften der Nacht beseitigen. Die Vertreter der Stadt, unter ihnen Bürgermeister Wolfgang Erichson (Bündnis 90/Die Grünen), betonen, dass bereits Maßnahmen ergriffen worden seien, um lautstarke Gäste zur Ordnung zu rufen, etwa indem der Kommunale Ordnungsdienst personell aufgestockt worden sei.
Ab Oktober werde es zudem einen Nachtbürgermeister nach dem Vorbild von Mannheim geben, und auch mit den Verkehrsbetrieben sei man im Gespräch, um den Takt der Nachtbusse zu erhöhen, so dass vor allem auswärtige Gäste die Altstadt schneller wieder verlassen könnten. „Das sind alles alte Kamellen“, betont Anwalt Finger, und auch Richterin Kirchhof lässt während der Verhandlung immer wieder durchblicken, dass seit ihrem Urteil im Mai 2018 „nicht viel“ passiert sei.
Messungen in Wohnungen
Und weil Finger und seine Mandanten, die Anwohner, bezweifeln, dass es die Stadt in Sachen Lärmschutz wirklich ernst meint, lehnen sie den Vorschlag einer gerichtlichen Mediation nach kurzer Beratung auch ab. Für Bürgermeister Erichson ist damit klar: „Die wollen gar nicht, dass es zu einem Ausgleich zwischen Anwohnern und Gastronomen kommt.“ Für das Verfahren wiederum bedeutet das: Es geht weiter, und zwar mit einer sogenannten Beschlusszustellung. Darin werde wohl, deutete Richterin Kirchhof an, ein neues Lärmgutachten angeordnet. Das soll klären, wie die aktuellen Lärmpegel in den Wohnungen der einzelnen Kläger ausfallen. Erst dann wird entschieden.
Nachtbürgermeister: Kandidaten stehen fest
- Insgesamt vier Anwärter gehen ins letzte Rennen um den Posten des Heidelberger Nachtbürgermeisters. Eine Jury hat am Mittwoch Florian Schweikert und Hannes Diether als Zweier-Team sowie Benjamin Punke und Alexander Beck als Einzelkandidaten für die Endauswahl nominiert. Laut Stadt werden die Kandidaten von der Jury – bestehend aus Vertretern der Gastro- und Nachtkulturszene, der Jugend- und Studierendenvertretungen sowie der Stadtgesellschaft – in der genannten Reihenfolge als am geeignetsten für das Amt bewertet. Hauptaufgabe des Nachtbürgermeisters soll die Befriedung der Lärmsituation in der Altstadt sein.
- Schweikert und Diether sind für das Metropolink Festival und die Breidenbach Studios tätig und nach eigenen Angaben im Nachtleben tief vernetzt. Punke arbeitet seit mehr als zehn Jahren als DJ und Veranstalter. Beck hat lange als Gastronom und Eventmanager in Hamburg gearbeitet, nun zieht es ihn zurück nach Heidelberg. Die Entscheidung über den Nachtbürgermeister trifft der Gemeinderat am 8. Oktober.
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