Volkshochschule

Warum in Heddesheim Mundart im Regierungsauftrag geschwätzt wird

Wer spricht noch seinen Heimatdialekt? Der Heddesheimer Dieter Kolb wirbt mit verschiedenen Gesprächspartnern für Mundart. Was das mit Winfried Kretschmann zu tun hat.

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Anja Görlitz
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Fadime Tuncer und Dieter Kolb beim Auftakt zur Gesprächsreihe "Isch red heddesemarisch" in Heddesheim. © Anja Görlitz

Heddesheim. Böse Zungen behaupten, die Heddesheimer streiten gern. Das ist natürlich Quatsch. Die allermeisten sind friedliebend, freundlich, herzlich und tolerant. Aber irgendwo hört der Spaß eben auf. Wer eine Veranstaltung „Isch red heddesemarisch“ nennt, muss sich auf Gegenwind einstellen. Schließlich heißt es korrekt „hellesemarisch“. Oder doch nicht?

„Es gibt nicht DEN Dialekt“, stellt Dieter Kolb klar. Der mit 79 Jahren nach eigenen Angaben wohl älteste Dozent der VHS Heddesheim hat für seine Gesprächsreihe die Variante mit „dd“ gewählt – und dafür vor gut 60 Gästen im Bürgerhaus Pflug auch eine historische und eine humorige Erklärung parat. Vor einigen „Ureinwohnern“ habe er sich im Vorfeld dennoch rechtfertigen müssen. Für ihn kein Grund zum Ärgern, im Gegenteil: „Wer Hellese sagt, den mag ich genauso.“

Wo sagt man soore und wo saare, wenn man was sagt?

Es geht an diesem Abend um Mundart, ihre (mitunter innerörtlichen) Varianten und Besonderheiten, und darum, wie sie Menschen verbindet. Wo sagt man soore und wo saare, wenn man was sagt? Wer sind die Lellebollem (natürlich die Heddesheimer) und wer die Agglkebb (Grüße nach Viernheim)? Und weil man das Thema „on oom Owend näd abhonnln konn“, ist es der Auftakt zu einer Gesprächsreihe, mit der Kolb unter dem Dach der Volkshochschule für Mundart werben will.

Dieter Kolb und VHS-Leiterin Tina Kaufmann begrüßen die Gäste im „Pflug“. © Anja Görlitz

Er tut es quasi im Regierungsauftrag. Immerhin hat sich die grün-schwarze Koalition um Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die Fahnen geschrieben, die Dialekte im Land – das sie unerklärlicherweise „The Länd“ nennt – zu fördern. Es gibt sogar, man lese und staune, einen vom „Länd“ unterstützten Dachverband der Dialekte in Baden-Württemberg. Dessen Geschäftsführer Rudolf Bühler ist eigens für den Abend aus Freiburg nach Heddesheim gekommen – „wischdischer Bsuch“ für Kolb, der deshalb am Morgen die Ration seiner Blutdrucksenker erhöht hat.

Nächster Termin

  • VHS-Reihe „Isch red heddesemarisch“ – Mundart bewahren und stärken: Gespräch mit Dieter Kolb und Michel Maugé , ehem. Leiter des Rosengartens Mannheim
  • Montag, 10. November, 19 bis 20.30 Uhr , bei der Firma Werbemacher, Robert-Bosch-Straße 35, Heddesheim
  • Die Teilnahme ist kostenlos . Da die Platzzahl begrenzt ist, bittet die Volkshochschule aber um Anmeldung (Telefon 06203 / 101267, E-Mail: vhs@heddesheim.de oder online am Kursangebot unter www.vhs-heddesheim.de). agö

Grund zur Nervosität hat der Gastgeber dabei eigentlich keinen. Als Autor von zwei Büchern mit kurzen Geschichten in Mundart, von denen er „ganz zufällig“ welche dabei hat, ist Kolb Experte auf dem Gebiet. Zwei, drei Geschichtchen aus den „Bichl“, deren Verkaufserlös einem guten Zweck zukommt, gibt er zum Besten. Das überwiegend dialektkundige Publikum hat seinen Spaß.

So schlägt sich die Landtagsabgeordnete beim Mundart-Quiz

An Kolbs Seite seine Gesprächspartnerin für diesen Abend: Die Grünen-Landtagsabgeordnete Fadime Tuncer aus Schriesheim. Sie teilt ihre eigene „Sprachgeschichte“ mit den Besuchern. Die ersten Lebensjahre in einem mittelanatolischen „Bullerbü“ aufgewachsen, landete sie in den 1970ern mit sechs Jahren in Mannheim – ohne ein Wort Deutsch. Das eignete sich die gebürtige Türkin dann zunächst samt Mannheimer Dialekt an, wofür es in der Schule wenig Anerkennung gab. „Dialekt war nicht schick.“

Eine Erfahrung, die auf die eine oder andere Art einige im Publikum teilen, wie sich im Lauf des Abends herausstellt. Tuncer selbst trainierte sich das Monnemerisch schnell wieder ab und freute sich dafür Mitte der 90er beim Umzug an die Bergstraße, wie dort der Dialekt noch wertgeschätzt werde. Völlig klar also, dass sie „Schriesemarisch“ problemlos versteht. Nur bei einigen wenigen Begriffen aus Kolbs Quiz muss die Politikerin passen – das Publikum verdient sich fürs sprachkundige Mitraten derweil Fleißpunkte en masse.

13.10.2025, VHS Heddesheim, Gesprächsreihe "Isch red heddesemarisch", Fadime Tuncer und Dieter Kolb im Bürgerhaus "Pflug" © Anja Görlitz

Beispiel gefällig? Was versteht man in Schriese unter Rousebroggelin? Tipp: Es ist dasselbe, was in Heddese/Hellese als Gnebbelesgraut in den Kochtopf kommt und in „Standardsprache“ unter Rosenkohl firmiert.

Verstehen ist das eine, sprechen das andere. Trotzdem kämpft sich Tuncer tapfer durch ihre Vorleseprobe in Mundart, die ihr Kolb als Hausaufgabe auferlegt hatte. Ob sie aber ohne seinen Hinweis erkannt hätte, dass die standardsprachliche Original-Vorlage von ihrer eigenen Homepage stammt? Es bleibt ihr Geheimnis.

Wer eine Mundart beherrscht, wächst „zweisprachig“ auf

Unterhaltung mit Tiefgang war für den Abend versprochen, deshalb gibt es zwischendurch auch Hinweise auf mehr oder weniger wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Mundart. Es lassen sich an dieser Stelle nicht alle Angaben unabhängig überprüfen, aber plausibel klingt vieles davon. Etwa, dass „zweisprachig“ aufwächst, wer neben Hochdeutsch eine Mundart beherrscht – und dass es dann auch mit weiteren Sprachen leichter wird.

Gut 60 Besucher interessieren sich für den Abend rund um Mundart. © Anja Görlitz

Was also tun, damit die Mundart Anerkennung bekommt? Damit sie erhalten bleibt als Bindeglied, Identifikationsmerkmal oder Eisbrecher im Miteinander? Darum soll es auch an den folgenden Abenden der Reihe gehen. Kolbs nächster Gesprächspartner, der ehemalige Mannheimer Rosengarten-Chef Michel Maugé, lauschte schon mal gespannt und wird dann erneut aus „Lumbehaafe“ über den Rhein kommen. Wird bestimmt wieder „en scheener Owend“.

Redaktion Stellvertretende Nachrichtenchefin

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