„Das ist ein Lebensturm“, erklärt einer der Drittklässler auf der Streuobstwiese nahe des Badesees Heddesheim. Mit seinen Klassenkameraden und unter Anleitung von Walter Gerwien hat er in den vergangenen zwei Wochen unter anderem Bambusstäbe ausgehöhlt und Löcher in Baumstämme gebohrt, um Lebensraum für Insekten und Kleintiere zu schaffen. „Das hat sehr viel Spaß gemacht“, bestätigt eine Mitschülerin.
Das hölzerne Gerüst des Turms haben die Dürkheimer Werkstätten der Lebenshilfe gebaut, für den Inhalt sorgte die Klasse 3a der Hans-Thoma-Grundschule. Am Mittwoch waren alle noch fleißig dabei, Kisten aus Holz mit Zweigen und Gräsern zu füllen. Bambus- und Holunderstäbe hatten sie bereits zuvor ausgehöhlt. In deren Innern nisten sich mit Vorliebe Wildbienen ein, wie Walter Gerwien weiß. Der engagierte Naturschützer und CDU-Gemeinderat bringt den Kleinen die Umwelt näher und wird in Kürze auch als Streuobstpädagoge tätig sein.
„Naturschutz kann man nicht aus dem Buch lernen“, weiß auch der Chef der VR Bank Rhein-Neckar, Michael Düpmann, die das Projekt als eines von dreien in der Region zwischen Ludwigshafen und Bergstraße mit einer eigenen Gesellschaft finanziert. Damit die Jungen und Mädchen direkt mit Umwelt und Natur in Berührung kommen, ist ihm das Projekt eine Herzensangelegenheit.
Die 24 Schülerinnen und Schüler der Klasse 3 a haben in den vergangenen Wochen fleißig Material für den Lebensturm gesammelt und für verschiedene Stockwerke gebastelt. „Das Schöne an diesem Projekt ist die Nachhaltigkeit“, freut sich die Klassenlehrerin und Projektleiterin, Jale Kilinc: „Die Kinder waren total begeistert.“ Für die Kinder sei es toll, dass sie immer wieder an dem Turm vorbeikommen und sagen können: „Das hab’ ich gemacht.“
Der Turm ist nicht einfach nur ein Insektenhotel, wie Walter Gerwien betont: „Es ist Lebensraum für viele Tiere.“ Im unteren Bereich liegen flache Steine, zwischen denen sich Reptilien verkriechen können, wie etwa Blindschleichen oder Zauneidechsen. Weiter oben finden Wildbienen, aber auch Ohrzwicker und anderes Kleingetier im Stroh und Schilf Unterschlupf. Also alles, was auf so einer Streuobstwiese leben kann.
Auf der Wiese selbst tut sich ebenfalls etwas. Seit Anfang Juni weiden 40 Schafe hier. Röhren und Baumspiralen aus Kunststoff schützen Obstbäume auf Streuobstwiesen wirksam gegen Wildverbiss durch Feldhasen und Kaninchen. „Bei Weidevieh darf es dagegen schon eine Nummer größer sein“, erläutert Thomas Gleßner, der Pressesprecher der Bank. Hier empfehle sich als Stammsicherung ein stabiler Dreibock aus drei Rundholzpfählen, zwölf bis 18 Schwartenbrettern oder auch Maschendraht.
„Schafe sind ideal für die Beweidung von Streuobstwiesen und besser geeignet als Pferde oder Rinder, da sie aufgrund ihres geringeren Gewichts weniger Trittschäden als diese verursachen“, erklärt Gleßner weiter. Durch den Tritt könnten Wühlmäuse vertrieben werden: „Unterm Strich kommt eine Win-Win-Situation für beide Seiten heraus.“ Ältere Obstbäume spenden den Tieren im Sommer kühlenden Schatten. Die Hinterlassenschaften der Schafe sind ein natürlicher Dünger, der viele Insekten anziehen kann. Diese wiederum dienten Vögeln, Fledermäusen und räuberischen Insekten wie zum Beispiel Wespen, Grabwespen und Hornissen als Nahrung.
„Schafe sind das Naturtaxi mit dem goldenen Tritt, das heißt, durch ihr geringes Gewicht machen sie kaum Schäden an der Grasnarbe, zugleich vertikutieren sie den Boden, und durch ihre Ausscheidungen düngen sie. Meine Naturtaxis liefern Wolle und Kot, befördern Samen und Insekten und tragen so zur Biodiversität bei“, erklärt der Schäfer Florian Pürzer.
Für die Pflege der Heddesheimer Streuobstwiese kommen vorwiegend Tiere der Rasse „Coburger Fuchsschaf“ zum Einsatz. Laut der „Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen“ (GEH) handelt es sich dabei um ein „mittelgroßes Schaf mit einem hornlosen, typischen Landschafkopf, der braun gefärbt und bis hinter die Ohren unbewollt ist.“ Bereits im 19. Jahrhundert besiedelte diese Rasse weite Teile der europäischen Mittelgebirge.
Während sich im Hintergrund gerade der Zeltunterstand der Schafe wie von Geisterhand über die Wiese bewegt, weil die Schafe ihn schieben, erzählt Bankchef Düpmann von einer weiteren Idee. Gemeinsam mit dem Technoseum in Mannheim könnten die Schafe vor Ort geschoren und die Wolle zu Garn gesponnen und zu Tuch verwebt werden. Das wäre dann eine weitere Möglichkeit, Natur und Produktion buchstäblich begreifbar zu machen.
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