Neckar-Bergstraße

Darum reiste eine Heddesheimerin trotz des Erdbebens nach Marokko

Sie hat es sich lange überlegt - und sich am Ende doch dafür entschieden. Martina Merx ist mit einer Freundin nach Marokko gereist. Eine Mannheimerin spielte bei dieser Entscheidung eine wichtige Rolle

Von 
Torsten Gertkemper-Besse
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Das Foto zeigt den Djemaa-el-Fna-Platz nach dem Erdbeben. Vom einst stattlichen Turm der Moschee ist nur noch das verhüllte Gerüst übrig. © Martina Merx

Als Martina Merx im Januar ihre Reise nach Marokko plant, ahnt sie noch nicht, was da kommen wird. Dass sie am Ende trotz des verheerenden Erdbebens nach Nordafrika fliegen wird, ist keineswegs selbstverständlich – und das Ergebnis eines langen Prozesses. „Wir hatten uns eigentlich schon entschieden, die Reise abzusagen“, erinnert sich die Heddesheimerin. Einen entscheidenden Anteil daran, dass es anders kam, hat Sabina BenChaira. Die Mannheimerin, die in Marrakesch ein Hotel betreibt, schrieb Merx eine lange Mail – und überzeugte sie, den Weg doch noch anzutreten.

Reisegruppe schrumpft

Es ist der 8. September, als in Marokko die Erde bebt. Tausende Menschen sterben, Gebäude und Städte werden zerstört. Die ursprüngliche Reisegruppe von vier Personen (Merx und drei Freundinnen) schrumpft auf zwei. Eine kann aus familiären Gründen nicht mitkommen, die andere möchte nach dem Erdbeben nicht mehr. Am 29. September, also genau drei Wochen nach dem Beben, macht sich Merx mit der verbleibenden Freundin auf den Weg nach Marokko. „Ich habe vollstes Verständnis, wenn man die Reise nicht mehr antreten will. Mir ging es ja zunächst auch so“, sagt Merx.

Martina Merx (r.) hatte sich gut überlegt, ob sie die Reise antritt. © Martina Merx

Doch welches Argument hat die 61-Jährige am Ende vom Gegenteil überzeugt? „Sabina sagte uns, dass es momentan für ihre Wahlheimat wohl das Schlimmste wäre, wenn zu dem ganzen Leid auch noch die Touristen ausbleiben würden.“ Dennoch sei sie weiterhin „von inneren Zweifeln getrieben“ gewesen, gesteht Merx und fügt an: „Uns war klar, dass wir nicht die Welt retten können, dass wir aber durch unseren Besuch Solidarität mit einem Land zeigen können, das schwer gebeutelt ist und dessen Haupteinkommen der Tourismus ist.“

Ihre ersten Eindrücke vor Ort erinnern Merx daran, dass ihre Zweifel durchaus berechtigt waren. „Schon auf der Fahrt vom Flughafen Marrakesch in die Innenstadt sahen wir, dass überall an der Stadtmauer Gerüste standen und die Reparaturarbeiten in vollem Gange waren“, erzählt sie. Als sie dann aber mit dem Fahrer durch die engen Gassen die Koffer zum Hotel brachten, sahen sie die vielen Verstrebungen, welche die Mauern der Häuser abstützen sollten. „Da krochen in unserem Innern wieder die Zweifel hoch, ob es das Richtige war“, erzählt sie.

Überall wird gearbeitet

Dennoch bestätigte sich mit zunehmender Zeit der Eindruck, den Merx bereits auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel hatte: Hier tut sich was, an allen Ecken und Enden wird gearbeitet. „Die Außenwand unseres Hotels war stark in Mitleidenschaft gezogen, aber Mauerwerk und Schutt waren bereits ordentlich abtransportiert und die Wunde des Mauerwerks mit einer Plane verdeckt. Die Innenmauer hatte dem Beben standgehalten und war deshalb noch intakt“, berichtet die Reisende – und fügt dankbar an: „Der freundliche Rezeptionist Karim und der wunderschöne Innenhof unseres Hotels beruhigten uns an diesem Ankunftsabend, und nach einer erholsamen Nacht konnten wir am nächsten Tag die ersten Eindrücke im Souk sammeln.“

Die Spuren der Zerstörung waren auch Wochen nach dem Beben sichtbar. © Martina Merx

Freilich sollte sich für Merx in den nächsten Tagen in aller Deutlichkeit zeigen, wie hart das Erdbeben Marokko getroffen hatte. „Am Djemaa-el-Fna-Platz sahen wir, dass vom Turm der Kharbouch-Moschee nichts mehr übrig war.“ Das Bild des Turms, der nur noch wie ein abgebrochener Zahnstumpf aus der Erde ragte, ging um die ganze Welt. „Sorgfältig hatte man ein Gerüst gestellt, um den Besucherinnen und Besuchern den schlimmsten Anblick zu ersparen“, beschreibt Merx die Situation vor Ort. In vielen Seitenstraßen habe noch der Schutt gelegen, der teilweise mühsam mit Eselskarren aus den engen Gassen geräumt werden musste. „Viele Straßen und Monumente waren komplett gesperrt. Das jüdische Viertel hatte es wohl am stärksten getroffen.“

Wichtige Veranstaltung

Trotz all dieser Widrigkeiten findet in Marrakesch aktuell die Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank statt. Mehrere internationale Finanzminister waren oder sind dafür nach Marokko gereist – unter ihnen auch Christian Lindner. Und während dieser Tage in Marokko auf hoher politischer Ebene über das Thema Geld gesprochen wird, hatten die Menschen auf den Straßen weiterhin Probleme, an welches zu kommen, berichtet Merx.

Man kam einfach an keine Automaten heran, an dem man Marokkanischen Dirham hätte abheben können. „Entweder war der Zugang wegen Einsturzgefahr gesperrt, oder die Automaten waren leer. An allen Ausgabestellen bildeten sich lange Schlangen. Zu unserem Glück gab es in dieser Situation Sabina, die uns gerne aushalf“, erinnert sich die Heddesheimerin.

Besonders beeindruckt zeigt sich Merx von den Begegnungen mit den Menschen: „Unser freundlicher Taxifahrer Abdul, der uns für einen Tag vor die Tore von Marrakesch brachte, ließ uns durchatmen, aber auch Zeit finden, über seine Familie zu sprechen.“ Diese ist im Atlasgebirge zuhause, wo viele Häuser durch in die Tiefe stürzendes Geröll zerstört worden sind. Abduls Eltern haben das Erdbeben zum Glück wohlbehalten überstanden.

Gefahr weiter nicht gebannt

Das Tal ist aber für Touristen gesperrt. „Viele Menschen schlafen dort aktuell unter freiem Himmel, da das Haus entweder zerstört ist oder sie durch das Erlebte traumatisiert sind und nicht mehr in den einsturzgefährdeten Häusern übernachten wollen“, berichtet Merx.

Die außergewöhnlich hohen Temperaturen, die sie während des Kurzurlaubs erlebt hätten (zwischen 35 und 40 Grad), seien derzeit eher günstig für die Bergdörfer sowie deren Bewohnerinnen und Bewohner. Sobald jedoch der Regen einsetze, besteht die Gefahr, dass Geröll und Schlamm die nächste Katastrophe auslösen.

Dass es in all dem Leid auch schöne Momente geben kann, lernten Merx und ihre Freundin, als sie wieder zurück in Marrakesch waren. Auf dem Djemaa-el-Fna-Platz, also eben dort, wo der verschwundene Turm der Moschee das ganze Ausmaß der Zerstörung zeigte, wurde laut Merx an einem Abend die Geburt des Propheten Mohammed gefeiert – mit viel Getrommel und besonderer Musik. „Derwische tanzten, Schlangen wurden beschworen, und Feuerschlucker brachten ihre Kunststücke den ausländischen Touristen, aber auch den einheimischen Zuschauern dar.“ Das nächtliche Treiben habe so sehr pulsiert, dass man den Rhythmus der Trommeln und der anderen Instrumente körperlich habe spüren können.

Kann sich Merx vorstellen, in den kommenden Jahren wieder einmal nach Marokko zu reisen? „Ja, durchaus“, antwortet sie: „Ich war ja auch schon einmal vor fast 30 Jahren dort.“ Damals sei natürlich vieles anders gewesen, auch abgesehen von den Folgen des Erdbebens. „Es ist zweifellos immer interessant zu sehen, wie sich ein Land seit dem letzten Aufenthalt verändert hat.“

Redaktion Redaktion Neckar-Bergstraße, zuständig für Ilvesheim und Friedrichsfeld

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