Wirtschaft

Verzinkerei bangt um ihre Existenz

450 Grad heiß ist das flüssige Metall im Kessel: Am Standort von Coatinc in Groß-Rohrheim werden täglich 150 Tonnen Stahl feuerverzinkt. „Dafür brauchen wir Gas", sagt Geschäftsführer Michele Calzone.

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Corinna Busalt
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Groß-Rohrheim. 450 Grad heiß ist das flüssige Metall im Kessel: Am Standort von Coatinc in Groß-Rohrheim werden täglich 150 Tonnen Stahl feuerverzinkt. „Dafür brauchen wir Gas. Sinkt die Temperatur unter 420 Grad, härtet Zink aus“, sagt Geschäftsführer Michele Calzone. Er hat den Bundestagsabgeordneten Michael Meister eingeladen, um ihm zu schildern, wie dramatisch die Situation ist, sollte der Gashahn zugedreht werden.

Calzone hat sich Verstärkung an die Seite geholt. Sebastian Schiweck vom Industrieverband Feuerverzinken vertritt dieselben Standpunkte und betont, wie stark die Wirtschaft von der Veredelung des Stahls abhängig sind. Neben Autoindustrie und Herstellern von Solaranlagen ist auch die öffentliche Hand betroffen: Kabelschächte, Bahn- und Strommasten werden durch Zink geschützt. „Mit uns wären ganze Industriezweige auf Jahre nicht mehr präsent“, sagt Schiweck.

Besonders gravierend finden sie, dass die Bundesnetzagentur sie nur zwei Tage vorher informieren würde, falls kein Gas mehr ankommt. „Wir brauchen aber eine Woche, um den Kessel mit 500 Tonnen Zink leerzupumpen“, sagt Calzone. Das flüssige Metall würde wieder in Blöcke gegossen. „Ob wir den Kessel danach wieder anfahren können, weiß aber keiner. Das wurde noch nie versucht.“ Zwei Tage seien jedenfalls definitiv zu kurz. Dann erkalte tonnenweise Zink und könne nicht mehr gelöst werden aus dem Kessel. Einen neuen zu bekommen, dauere sieben Monate. Solange stehe die Produktion. Das überlebe kein solches Unternehmen.

Dass die Bundesnetzagentur alle auffordert, Gas zu sparen, sorgt für ein müdes Lächeln bei Calzone. „Das können wir nicht, weil das Zink ja nicht abkühlen darf.“ Michael Meister nickt. Was ist nun seine Aufgabe dabei? Seit Dezember ist er wieder einfacher Bundestagsabgeordneter der CDU, zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär: fünf Jahre im Finanz- und drei Jahre im Forschungsministerium. Nun will er das Problem dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) schildern. „Das ist der Bundesnetzagentur übergeordnet“, sagt er. „Wir können hier halt keinen Schalter drücken, um einfach an- und wieder auszuschalten“, sagt Schiweck. Meister nickt wieder.

In Groß-Rohrheim arbeitet die Verzinkerei mittlerweile seit 50 Jahren. Gefeiert wurde nur im kleinen Kreis, sagt Betriebsleiter Pedrag Ceranic, der auch schon seit 20 Jahren hier arbeitet. Festliche Stimmung herrscht wahrlich nicht. Auffallend ist aber, wie lange die Mitarbeiter schon im Betrieb sind. Bereichsleiter Marc Umnus seit 14 Jahren, Ceranic seit 20 und Geschäftsführer Calzone sogar schon seit 30 Jahren. Für Groß-Rohrheim ist er erst seit Mai zuständig. „Hier scheint deutlich mehr die Sonne als im Siegerland, sogar Bananenstauden gibt’s hier“, sagt er verwundert. Die Sonne führt direkt zum nächsten Thema: alternative Energien. „Wir waren in Sachen Photovoltaik sehr zurückhaltend, weil die Feuerwehr Solaranlagen bisher kontrolliert abbrennen ließ. Das würde die ganze Anlage zerstören“, sagt Schiweck. Inzwischen werde mit Wasser gelöscht, deshalb sollen nun die Dächer genutzt werden. „Wir lassen dafür gerade die Statik prüfen, weil sie verstärkt werden muss“, sagt Calzone. Strom könne auch nur eine Ergänzung sein und das Gas nicht ersetzen. „Das wäre nicht wirtschaftlich“, erklärt Schiweck. Strom sei viel zu teuer. „Und keiner weiß, was er in fünf oder sechs Jahren kostet.“

Meister findet: „Gas muss raus aus der Stromerzeugung, dann ist es für was anderes verfügbar und wird günstiger. Und die Kernkraftwerke müssen länger laufen.“ Alternativen zum Gas müsste Coatinc ohnehin langfristig planen, das Problem besteht aber jetzt. „Und im nächsten Winter“, sagt Meister. Erst 2024 rechnet er mit neuen Gaslieferungen, weil dafür gerade die Infrastruktur gebaut wird, etwa Terminals für Flüssiggas – die übrigens auch verzinkt werden.

Nur ein Problem scheint sich erledigt zu haben in Groß-Rohrheim: Die Beschwerden der Nachbarn haben sich gelegt. „Seit wir neue Filteranlagen eingebaut haben und abends die Tore schließen“, sagt Bereichsleiter Umnus. Dadurch gehe es leiser zu. Doch ab und zu knallt’s, wenn Stahl auf Stahl fällt. Eine geplante Erweiterung scheiterte vor ein paar Jahren am Protest der Bürger. Daran kann sich Kurt Kautzmann (CDU Groß-Rohrheim) noch gut erinnern. „Wir haben es in Kreuztal gebaut“, sagt Umnus. Dabei wäre Südhessen praktischer gewesen, weil die Teile der Automobilindustrie aus dem Süden nun viel weiter gefahren werden müssten.

Nachhaltigkeit ist hier eigentlich das große Thema, da praktisch kein Müll anfalle. „Und Zink geht mit Stahl eine so feste Einheit ein, die hält 100 Jahre“, sagt Calzone.

Furcht vor Gasnotstand

Besuch in der Verzinkerei Groß-Rohrheim

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Seit fünf Jahrzehnten in Groß-Rohrheim

Seit 1972 arbeitet die Verzinkerei in Groß-Rohrheim: als Coatinc Rhein-Main. Stammsitz der Firma ist in Kreuztal bei Siegen. Die Geschichte des Geschäfts mit Eisen und Stahl lässt sich nach dessen Angaben sogar bis 1502 zurückverfolgen. Demnach ist es das älteste Familienunternehmen Deutschlands.

Firmenchef Paul Niederstein führt den Betrieb in 17. Generation mit weltweit 1500 Mitarbeitern und 200 Millionen Euro Jahresumsatz, so das Unternehmen. Mit den Beteiligungen handelt es sich um 2500 Mitarbeiter bei 350 Millionen Euro Jahresumsatz.

In Groß-Rohrheim sind 45 Angestellte tätig plus ebenso viele Fremdarbeiter. Kern des Werks ist der Kessel mit flüssigem Zink: 15,5 Meter lang, 3,20 Meter tief und 1,60 Meter breit. Die Temperatur des Metalls darf nicht unter 420 Grad sinken, sonst härtet es aus. Bei 450 Grad wird Zink verarbeitet. Feuerverzinkt werden unter anderem Karosserien von Autos, Hochspannungs- und Bahnmasten sowie Kabelschächte.

Seit Mai ist Michele Teodoro Calzone als Geschäftsführer für Siegen und Groß-Rohrheim zuständig. Gearbeitet wird im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr. Nachts sei weniger los und Zeit, neue Zinkblöcke im Kessel zu schmelzen. „Wir verzinken täglich 150 Tonnen Stahl, dafür brauchen wir 7,5 Tonnen Zink“, erklärt Calzone. cos

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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