Zucht

Auerrinder haben in Groß-Rohrheim eine Heimat gefunden

Das letzte Ur-Auerrind ist bereits 1627 verstorben. Das Freilichtlabor „Lauresham“ in Lorsch bemüht sich um die Nachzucht und hält eine Herde in Groß-Rohrheim.

Von 
Götz Lambert
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Die Auerrinder haben auf der Hammer Au, die sich auf Groß-Rohrheimer Gemarkung befindet, gute Bedingungen. © Berno Nix

Groß-Rohrheim. „Aaalmaaa“ – Walter Öhlenschlägers sonore Rufe hallen durch den urtümlich anmutenden Wald nahe des Rheins auf Groß-Rohrheimer Gemarkung. Nichts ist zu sehen oder zu hören, außer ein paar Vogelstimmen. Walter Öhlenschläger probiert es nochmals: „Aaalmaa“ erklingt der Name der Leitkuh erneut lang und gedehnt. Da, hinter einem Baum, hat sich etwas bewegt. „Alma, komm! Auf geht's“, ruft Öhlenschläger dem Tier aufmunternd zu und schüttelt einen Eimer, in dem sich Äpfel befinden. Das Geräusch lockt Alma sichtlich an, denn sie weiß, dass Leckerbissen auf sie warten. Die Leitkuh gehört zu einer fünfköpfigen Herde, die eine wichtige Rolle im Auerrind-Projekt spielt.

Gestartet wurde das Projekt im Jahre 2013 mit den ersten Tieren im Freilichtlabor „Lauresham“ in Lorsch. Ziel ist die „Rückkehr einer europäischen Ikone“, des Auerrinds, wie auf einer Info-Tafel an der Weide in Groß-Rohrheim zu lesen ist. Das letzte Exemplar dieser imposanten Rinderrasse starb 1627 in den Wäldern von Polen. Für das Auerrinderprojekt werden verschiedene Rinderrassen eingesetzt, die miteinander gekreuzt wurden.

Walter Öhlenschläger kümmert sich um die Auerrinder, die er mit Äpfeln lockt. © Berno Nix

Bei Walter Öhlenschläger, dem Vorsitzenden des Groß-Rohreimer Heimat- und Geschichtsvereins, stieß das Vorhaben von Beginn an auf großes Interesse. „Diese Tiere gehören an den Rhein“, dachte Öhlenschläger sofort, zumal in der Gemarkung ein Schädel eines Auerochsens gefunden worden war. Er suchte umgehend den Kontakt mit dem Lorscher Projektleiter Claus Kropp, der Öhlenschlägers Idee befürwortete. Im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Riedgemeinde konnten die Mitglieder des Vereins vom Vorhaben überzeugt und – noch wichtiger – begeistert werden.

Vor der Ansiedlung viele Fragen zum Standort geklärt

Viele Fragen habe man klären müssen, so der 68-jährige Ruheständler. Beispielsweise welcher Standort infrage kommt, wie groß die Weidefläche sein muss und wie die finanziellen Belastungen bewältigt werden können. Darüber hinaus fanden klärende Gespräche mit kritischen Jagdpächtern und Landwirten statt. Letztlich wählte man die Hammer Au als Lebensraum für die Rinder aus. „Die dortige ehemalige Strominsel Sandwörth, ein acht Hektar großes Areal, ist eine ideale und passende Weide für die Rinder“, betont Walter Öhlenschläger.

Nebenbei erwähnt der ehemalige Niederlassungsleiter einer großen Spedition den geschichtlichen Hintergrund des Geländes, das sich bis zum Wiener Kongress in französischem Besitz befand. Auf diesem Gelände wurde lange Zeit Lehm abgebaut, den man zu Backsteinen brannte.

Segen für das Ökosystem

  • Vogelkundlern schlägt das Herz höher: Seit die Rinder des Auerochsen-Projektes das acht Hektar große Areal in der Nähe des Rheines beweiden, die von Brombeeren überwucherte Vegetation befreiten und die Landschaft nachhaltig zu ihrem Vorteil veränderten, sind wieder seltene Vogelarten zurückgekehrt , darunter der Pirol und der Schwarzspecht.
  • Damit nicht genug: Wie eine Untersuchung von Biologen der Goethe-Universität aus Frankfurt belege, habe sich auch eine Vielzahl an Käferarten angesiedelt, wie der Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins und des Förderkreises Große Pflanzenfresser, Walter Öhlenschläger, betont.
  • Die Rinder schaffen eine halboffene, strukturreiche Landschaft mit einer artenreichen Flora und Fauna . Die Vorteile der Beweidung haben sich bis nach Südtirol herumgesprochen: Eine fünfköpfige Delegation aus Kaltern informierte sich in Groß-Rohrheim über das Projekt.
  • Die in Groß-Rohrheim zu sehenden positiven Veränderungen der Landschaft sind dem Förderverein und den vielen ehrenamtlich engagierten Helfern zu verdanken. Nicht unerwähnt lässt Walter Öhlenschläger großzügige Sponsoren , die zum Erhalt des Projektes beitragen. Finanzielle Mittel werden immer benötigt, beispielsweise für regelmäßige Blutuntersuchungen oder Impfungen gegen die Blauzungenkrankheit.
  • „Die Arbeit für die Tiere macht unheimlich viel Spaß“, sagt Öhlenschläger und dabei strahlt er über das ganze Gesicht. Manchmal, das verschweigt der Groß-Rohrheimer keineswegs, hätten die Helfer auch ordentlich Stress, wenn Hochwasser einsetzt und die Rinder schnell vor den Fluten auf eine Weide hinter dem Damm gebracht werden müssen.
  • Die Arbeit und das Engagement lohnen sich in vielerlei Hinsicht: zum einen für die Rückkehr eines imposanten Rindes in sein angestammtes Gebiet, zum anderen für den Schutz einer typischen und wunderschönen Rheinlandschaft und zum dritten für den Erhalt seltener Pflanzen und Tiere in diesem Habitat. gl

Die ersten beiden Tiere, darunter die Leitkuh Alma, kamen im Jahr 2018 nach Groß-Rohrheim. Die Zuchterfolge können sich sehen lassen. „Ein Sohn von Alma besitzt schon beachtliche Merkmale eines Auerrindes. Er ist rabenschwarz, hat einen typischen Aalstrich auf dem Rücken und seine Hörner zeigen nach vorn“, beschreibt Walter Öhlenschläger das Prachtexemplar, das nun in einer anderen Herde für Nachkommen sorgen soll.

Zwei neue Jungtiere werden von der Leitkuh angeleitet

Aktuell ist die kleine Herde nicht mehr im Zuchtprogramm. Die zwei Jungtiere Lotta und Liesel, neu auf dem Groß-Rohrheimer Areal, werden von Alma angeleitet und sollen in Zukunft wieder ins Programm aufgenommen werden. Komplettiert wird die Gruppe von Gustav, „der als Ochse keinen Schaden anrichten kann“, wie Walter Öhlenschläger beiläufig erwähnt, und einem schottischen Hochlandrind.

Die Auerrinder zeichnen sich durch ihre langen Hörner aus. © Berno Nix

Sechs Helfer schauen abwechselnd jeden Tag nach dem Rechten und versorgen die ganzjährig auf der Weide stehenden Rinder mit Wasser und im Winter zusätzlich mit Heu. Ansonsten sind die Tiere sich selbst überlassen. Neugierige Wanderer oder Radfahrer halten oftmals vergebens Ausschau nach den langhörnigen und imposanten Rindern. Zwischen den Kopfweiden, dem hohen Gras und dicken Pappeln sind sie kaum zu sehen. Und: Wenn nicht gerade Walter Öhlenschläger mit einem Leckerbissen vorbeischaut oder ein anderer Helfer frisches Wasser nachfüllt, verhalten sich die Rinder wie Wildtiere, also eher scheu und zurückgezogen.

Sobald aber Walter Öhlenschläger ihre Namen ruft, kommen sie angetrottet. Ihm vertrauen sie, an ihn sind sie gewöhnt. Wenn die Leckerlis verspeist sind, ziehen sie sich die Tiere wieder gemächlich in ihren einzigartigen und sehr urtümlichen Lebensraum zurück, mit dem sie eine harmonische Einheit bilden.

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