Bürstadt. Es klingt ganz einfach. Und vor allem logisch: Lebensmittel und Energie werden gleichzeitig und auf ein und derselben Fläche erzeugt. Das Ganze ist allerdings eine große Herausforderung. Rund 60 Wissenschaftler arbeiten zurzeit europaweit an dem Projekt „GROOF“. Und eben auch Physiker Franz Schreier, der in der Bürstädter Gärtnersiedlung ein Gewächshaus der besonderen Art baut: Auf dem Dach einer alten Scheune soll demnächst Gemüse gedeihen und gleichzeitig Strom aus Sonnenenergie entstehen.
Wir treffen uns auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei Haller. In dem alten Gemäuer wurden früher kleine Pflänzchen verpackt und für den Verkauf vorbereitet. Jetzt haben hier Franz Schreier und seine Mitarbeiter das Sagen. Vor allem auf dem Dach geht es hoch her. Halbrunde Alustreben zeigen bereits die Ausmaße des künftigen Gewächshauses an. Hier sollen bald Chilis und Salate wachsen. „Wir haben alles selbst entwickelt “ – der 58-Jährige ist Feuer und Flamme für das „ultramoderne“ Gewächshaus, das hier entsteht. Finanziert wird das Projekt zu etwa zwei Dritteln von der EU.
Verwendet werden nur Materialien, die dem sogenannten Cradle-to-Cradle-Prinzip standhalten: „Falls das Ganze mal abgerissen wird, können alle Materialien recycelt werden oder verrotten im Einklang mit der Natur. Es bleibt nichts übrig“, erläutert Schreier als Zielvorgabe für sein Team aus Wissenschaftlern und Ingenieuren. Gedämmt wird mit einem Gemisch aus Hanfstroh und gelöschtem Kalk. „Das hat sogar eine negative CO2-Bilanz, weil es Kohlendioxid bindet.“
Wie die Energiegewinnung funktioniert, zeigt Schreier in dem kleinen Gewächshaus, das weiter hinten auf dem rund zwei Hektar großen Gelände Platz gefunden hat. „Das stand schon 2014 auf dem Hessentag in Bensheim“, berichtet er.
Hier ist die ausgeklügelte Solartechnik schon im Einsatz: Unter einer Folie, die mehr Licht hindurch lässt als Glas, sind bewegliche Solarmodule angebracht. Sie fangen nicht nur die Sonnenstrahlen ein, sondern sorgen auch für Schatten. „Zu viel Licht hemmt das Pflanzenwachstum“, erläutert der Physiker. Die Module werden so gesteuert, dass genau die richtige Menge an Sonnenstrahlen auf die Pflanzen fallen. Den Rest sammelt Photovoltaikanlage ein.
Tatsächlich herrscht ein diffuses Licht in dem Gewächshaus, trotzdem ist es taghell. Einige Chilipflanzen sind schon abgeerntet. Zwei Orangenbäumchen haben hier ihr Winterquartier gefunden. Und auch der Wasabi gedeiht prächtig. Schreier ist begeistert, wie gesund die kleinen grünen Blättchen aussehen. „So ein Experiment nebenher“, sagt er und lacht.
Klima wie im Süden
Aber auch ein deutlicher Beweis: Das Klima ist auch für den Exoten aus Fernost geeignet. Die doppellagige Folie sorgt dafür, dass es nachts nicht zu kalt wird – sogar bei tiefen winterlichen Temperaturen, bliebe das Gewächshaus frostfrei. Ein Thermorollo sorgt für die Wärmedämmung in kalten Winternächten. Von der kuscheligen Gemütlichkeit im Gewächshaus sollen später auch die Räume unter dem Dach der ehemaligen Werkstatt und Packhalle profitieren – noch ein Synergieeffekt, den das GROOF-Projekt aufzeigen will. Mit der Wärme, mit dem Gewächshaus auf dem Dach eingefangen wird, wird das Gebäude drunter anteilig geheizt, dadurch sinkt dessen Energiebedarf beträchtlich. Hier soll das Gemüse künftig auch direkt vermarktet werden: biologisch angebaut und direkt vom Erzeuger. Genau so muss es laufen, findet Schreier. Er ist davon überzeugt, dass konsequenter Umweltschutz nur mit kurzen Wegen und in kleinen Wirtschaftskreisläufen möglich ist. „Eine ökologische Lebensmittelversorgung funktioniert nicht global“, sagt er und denkt dabei insbesondere an Bio-Kartoffeln aus Ägypten und Bio-Heidelbeeren aus Peru.
Neben einem Hoflädchen ist auch geplant, den Standort als außerschulischen Lernort zu nutzen. Schreiers Team will das Wissen, dass mit dem GROOF-Projekt gesammelt wird, schließlich weitergeben. Künftig sollen auch Kindergärten und Schulen zu regelmäßigen Besuchen eingeladen werden. Vorher soll sich allerdings noch einiges ändern auf dem ehemaligen Gärtnerei-Gelände. Schreier will das gesamte Areal der Natur wieder zurückgeben. Die alten Gewächshäuser werden zum großen Teil abgerissen. Das Glas wird verwertet, mit dem Metallschrott lässt sich vielleicht sogar noch ein bisschen Geld verdienen.„Bislang verdienen wir das erforderliche Geld für das Ganze mit unserem Beratungsgeschäft“, erklärt Schreier. Weltweit ist er unterwegs und hilft Unternehmen oder auch mal Regierungen dabei, klimaschädliche Emissionen einzusparen. Dahinter steckt eine große Idee: Um die Grundbedürfnisse der Menschen wie essen, heizen und wohnen zu erfüllen, brauche es „einfache und robuste Systeme auf ökologischer Basis“. Wie die Gewächshäuser, die gleichzeitig Gemüse und Energie liefern. „Klar, das klingt tatsächlich sehr ideologisch“, räumt Schreier ein. „Aber bei unserer Arbeit ist auch sehr viel Lebensfreude dabei.“
Info: Foto-Strecke unter suedhessen-morgen.de
Klimaschutz auf dem Dach
Für das Projekt „GROOF“ baut der Unternehmer und Wissenschaftler Franz Schreier ein Gewächshaus auf das Dach eines alten Betriebsgebäudes in der Bürstädter Gärtnersiedlung.
Auf 160 Quadratmetern Fläche soll Gemüse angebaut und gleichzeitig Strom erzeugt werden. Die Wärme, die dabei entsteht, will Schreier für die darunterliegenden Räume nutzen.
Dafür hat Schreier mit zwei Partnern die Four Seasons Biosphere GmbH mit Sitz in Bürstadt gegründet. In Bensheim führt der Physiker bereits die EBF GmbH, die Beratungen in Sachen Energiemanagement für die Industrie, gewerbliche Betriebe sowie Handel- und Dienstleistungsunternehmen anbietet.
Der Kontakt nach Bürstadt entstand über den früheren Umweltbeauftragten Micha Jost. Schreier und Jost sind Gründungsmitglieder der Energiegenossenschaft Starkenburg, die mehrere Solaranlagen auf Bürstädter Dächern betreibt.
„GROOF“ steht für „Greenhouses to reduce CO2 on roofs“ – also Gewächshäuser auf Dächern, die den CO2-Ausstoß mindern. Dabei arbeiten rund 60 Wissenschaftler an mehreren Standorten zusammen. Geforscht wird dafür unter anderem in Luxemburg, Barcelona, Paris, Liège in Belgien und Bürstadt.
Die EU unterstützt das Bürstädter Projekt mit 470 000 Euro, die Gesamtkosten des Projekts beziffert Schreier auf 750 000 Euro.
www.groof.eu
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