Sicherheit

Prostitution im Kreis Bergstraße: Kontrolle bleibt Sache des Landratsamts

Sexarbeit findet fast überall statt, in Bürstadt in gleich zwei Bordellen. Den Schutz der Prostituierten regeln zwar Gesetze – Leid und Elend gibt es trotzdem.

Von 
Sandra Bollmann
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Werden alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten – wie der Hinweis auf Kondompflicht – ist Prostitution in Deutschland legal. Regelmäßige Kontrollen sind allerdings Pflicht. © Marijan Murat/dpa

Bürstadt. Der Text klingt äußerst nüchtern: Der Kreis Bergstraße übernimmt auch in Zukunft die Aufgaben in Sachen Prostituiertenschutzgesetz für seine Städte und Gemeinden, ausgenommen ist lediglich Waldmichelbach. Das war in den vergangenen Wochen und Monaten in den amtlichen Bekanntmachungen des Landratsamts mehrfach zu lesen. Was sich dahinter verbirgt – und wie viel Leid das Thema für viele Betroffene mit sich bringt, erklären Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf und Alexandra Radies, Leiterin des Kreis-Ordnungsamts, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Kontrolleure sehen nur „die Spitze des Eisbergs“

Vieles spielt sich dabei im Verborgenen ab, macht Schimpf deutlich. „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs.“ Oft sind es kleine, angemietete Wohnungen, in denen die Frauen leben und arbeiten, manche mitten im Sperrbezirk, andere ohne die notwendigen Papiere. Nach einer Kontrolle sind sie meist sehr schnell verschwunden – und tauchen in einem anderen Landkreis 50 Kilometer weiter wieder auf.

Seit 2016 bietet das Prostituiertenschutzgesetz eine gewisse Absicherung für Sex-Arbeiterinnen und Arbeiter. Dazu gehören verpflichtend sowohl eine gesundheitliche als auch eine rechtliche Beratung, es geht um Krankheiten und Vorsorge, aber auch um Rentenversicherung und Schwarzarbeit. „Und das übernehmen wir“, macht Schimpf klar.

„Vieles spielt sich im Verborgenen ab.“ In Sperrbezirken ist Prostitution verboten, findet aber häufig trotzdem statt, macht Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf deutlich. © Berno Nix

Zurzeit gibt es sechs zugelassene Bordelle im Kreis: in Zwingenberg, Neckarsteinach, Hirschhorn und Birkenau sowie zwei in Bürstadt. Jeder Betrieb wird gleich bei der Gründung kontrolliert, erläutert Ordnungsamtsleiterin Radies. Sind die Beschäftigten mindestens 18 Jahre alt, gibt es einen Notfallkopf im Zimmer, wird auf die Kondompflicht hingewiesen? Und vor allem: Können die Frauen die beiden Beratungsbescheinigungen vorweisen? Ansonsten droht ein Strafzettel – „eine Verwarnung“, nennt Radies den Fachbegriff. Die Nachweise müssen regelmäßig – spätestens alle zwei Jahre – erneuert werden.

Wohnungsprostitution macht die größten Probleme

Solange dauert es allerdings nicht, bis ein Bordell erneut kontrolliert wird. „Die Mitarbeiterinnen wechseln in der Regel alle vier Wochen.“ Das zeige die Erfahrung. Deswegen sieht das Kreis-Ordnungsamt regelmäßig nach dem Rechten und schaut sich vor allem die Papiere genauer an. In der Regel „kennen die Betreiber aber ihre Pflichten“, macht Schimpf deutlich.

Legale Dienstleistung - außer im Sperrbezirk

  • In Deutschland ist Prostitution legal – wenn sie freiwillig und von einer volljährigen Person ausgeübt wird. Lange galt das Gewerbe als sittenwidrig, das hat sich seit etwa der Jahrtausendwende geändert. Seit 2016 gilt das Prostituiertenschutzgesetz , das verpflichtende gesundheitliche und rechtliche Beratungen vorsieht.
  • Bis auf Waldmichelbach haben alle Kommunen im Kreis Bergstraße diese Beratungsaufgaben an den Kreis übertragen. Für Gemeinden mit weniger als 7500 Einwohner ist der Kreis ohnehin zuständig . Größere Städte mit Sperrbezirk bezahlen für die Übernahme der Aufgaben1.500 Euro an den Kreis, wo Prostitution erlaubt wird, fallen 2.500 Euro an.
  • Dass es in Bürstadt kein Sperrgebiet gibt, liegt an einer Jahrzehnte alten Entscheidung: 1970 hatte das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt eine „Verordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes“ erlassen. Damit war die Prostitution auch in Bürstadt verboten. Im Jahr 1977 wurden alle Städte und Gemeinden im Kreis angefragt , ob Sex-Arbeit weiterhin nicht erlaubt werden sollte. Bürstadt sah damals dafür keine Notwendigkeit.
  • Inzwischen versucht die Stadt, Wohnungsprostitution über Vorgaben in den Bebauungsplänen einzudämmen. Um nachträglich einen Sperrbezirk einzurichten, waren die rechtlichen Hürden bislang zu groß. So muss eine gewisse Gefahrenlage, beispielsweise Drogenhandel entlang eines Straßenstrichs, nachgewiesen werden.

Weitaus größere Probleme macht dagegen die Wohnungsprostitution – häufig ein ausgeklügeltes Geschäftsmodell, weit entfernt von rechtlichen und gesetzlichen Vorgaben. Erlaubt sind sexuelle Dienstleistungen nur in Städten, die wie Bürstadt keine Sperrzone ausgewiesen haben. Die Frauen empfangen dabei ihre Freier in gemieteten Apartments und gehören keinem offiziellen Betrieb an. Die beiden Bescheinigungen für Rechts- und Gesundheitsberatung müssen aber auch sie nachweisen. In Städten mit Sperrbezirken – wie Viernheim und Lampertheim – ist jegliche Prostitution verboten – findet aber dennoch sehr häufig dennoch statt, versichern Schimpf und Radies.

Die Hintermänner zu fassen, ist mehr als schwierig

Die Beteiligten zu fassen zu bekommen, ist ein schwieriges Unterfangen. Vor allem, wenn es um die Hintermänner geht. Also durchforstet das Ordnungsamts-Team die einschlägigen Online-Portale. Und schickt Lockvögel los, meist männliche Kollegen, die einen Termin vereinbaren. Telefonisch werden sie dann zur Adresse gelotst. „Die Hausnummer erfahren wir oft erst, wenn wir schon fast da sind“, erläutert Radies. Kein Mann wird alleine losgeschickt. „Eine Kollegin ist immer dabei.“

Wer im Sperrbezirk anschafft, bekommt ohnehin Ärger: Dann handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, der teurere Strafzettel geht direkt nach Hause an die Meldeadresse. „Das ist für viele eine schlimme Sache, beispielsweise wenn die Familie nichts davon weiß“, macht Schimpf deutlich.

„Die Angst ist oft groß.“ Alexandra Radies vom Gesundheitsamt des Kreis Bergstraße hat schon viele verzweifelte Frauen getroffen. © Berno Nix

Außerhalb der Sperrbezirke geht alles in Ordnung, wenn die Person die notwendigen Bescheinigungen vorlegt, und auch sonst alle Vorgaben erfüllt sind. Aber auch in Städten, in denen das Gewerbe grundsätzlich verboten ist, treffen die Kontrolleure regelmäßig Sex-Arbeiterinnen an. In seltenen Fällen auch Männer oder Transpersonen. Vor allem aus dem asiatischen Raum würden zurzeit viele Frauen nach Deutschland gebracht – sehr oft unfreiwillig. Neben der Frage nach dem Aufenthaltsrecht gehe es dann immer auch um das Thema Menschenhandel. „Im Idealfall ist die Polizei dabei und überprüft die Papiere“, sagt Radies. Der tritt aber nicht allzu oft ein.

Radies: „Die Frauen bitten ganz selten um Hilfe“

Ohnehin ist von den Frauen selten etwas zu erfahren: Die Angst ist groß, das Schweigen auch. „Viele weinen bei den Kontrollen“, erzählt die Ordnungsamtsleiterin. Deutsch verstehen wenige. Ein Freund habe sie hergebracht, wie er heißt, wissen sie nicht. „Einige können nicht einmal sagen, in welcher Stadt, in welchem Land sie sind“, schüttelt Schimpf den Kopf. Sie kommen unter Zwang oder falschen Versprechungen nach Deutschland. „Eine Frau bekam sogar vorgetäuscht, eine Brustkrebsbehandlung zu erhalten.“

Alexandra Radies weiß nur von zwei Fällen, bei denen Betroffene in einem Beratungsgespräch um Hilfe gebeten haben. Auch dafür sind die Gespräche da, macht sie deutlich. Manchmal gehe es den Frauen aber einfach nur um einen Zuverdienst: Geld gegen Dienstleistung. „Prostitution gehört zu unserer Gesellschaft dazu“, sagt Schimpf. Und mittlerweile aber auch ein Minimum an Fürsorge, rein rechtlich zumindest.

Redaktion Redakteurin "Südhessen Morgen", Schwerpunkt Bürstadt

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