Hans-J. Eimert
Bobstadt. Wenn das Wirtspaar Sieghard und Elisabeth Wilhelm am 1. September das Gasthaus "Zur Sonne" zusperrt, verschwindet ein Stück Bobstädter Ortsgeschichte. Und damit wird auch der tiefgreifende soziale Wandel im Dorf sichtbar, der einem Lokal wie der "Sonne" das Überleben sehr schwer macht. Deshalb jetzt der schwerwiegende Entschluss aufzuhören, mit der Konsequenz, dass die treuen Stammgäste und der 102 Jahre alte Gesangverein "Liederkranz" sich einen neuen Treffpunkt suchen müssen.
Dorfneuigkeiten heute per E-Mail
Vielfältig sind die Gründe für das Ende, die Gastwirt Wilhelm aufzählt. Eine wichtige Rolle spiele, dass man heutzutage Unterhaltung und sogar Dorfneuigkeiten per Fernsehen, Handy und E-Mail frei Haus geliefert bekommt. Die zwei Bobstädter Sportvereine haben in den Vereinsheimen einen eigenen Wirtschaftsbetrieb fürs gesellige Beisammensein nach den Spielen oder für den Stammtisch. Ausgehen im Ort, sonntags mal die Küche kalt lassen, gehört offensichtlich auch nicht mehr zu den gefragten Vergnügungen. Stattdessen geht der Sonntagsausflug in den Odenwald oder in die Pfalz. Und das Rauchverbot habe ein Übriges getan.
Die Konsequenz für das Wirtsehepaar: zusperren. Vor allem auch, weil ein Nachfolger fehlt, der Interesse an der Tätigkeit des Gastwirts hätte. Damit endet eine Familientradition, die 155 Jahre gedauert hat. 1854 hatte Johann Philipp Müller das Anwesen in der Rheinstraße erworben und daraus das Gasthaus "Zur Sonne" gemacht. In einem Anbau wurde ein Kolonialwarenladen eingerichtet, der eine Marktlücke schloss. Nebenbei gab's auch noch eine kleine Landwirtschaft.
Das Jahr 1907 war die nächste wichtige Etappe. Da baute Valentin Cornelius, Müllers Schwiegersohn und Nachfolger als Wirt der "Sonne", die große Torhalle an. Im gleichen Jahr wurde auch der Gesangverein "Liederkranz" gegründet, der beim Mitgründer Cornelius Quartier bezog. Cornelius war ein ebenso guter wie begeisterter Chorsänger und Musikant.
Meta Bindewald, Cornelius' Tochter, weiß noch, wie ihr Vater in den 20er Jahren den Handwerkern zum "blauen Montag" aufspielte. Und sie erinnert sich an Konzerte und Bälle, die Cornelius mitorganisiert hatte. Bis heute ist sie im Team geblieben und zum "lebenden Inventar" geworden.
Ihre Schwester Anna Wilhelm machte mit ihrem Mann Johann gleich nach Kriegsende die "Sonne" wieder flott. Meta Bindewald erzählt lebhaft von der Nachkriegszeit, in der endlich nach schlimmen Jahren wieder friedlich gefeiert werden konnte. Dazu bot sich der Saal der "Sonne" an. Der "Liederkranz" war auch wieder da, pflegte Chorgesang und Geselligkeit.
In jener Zeit diente der Gasthaus-Saal auch als Ort für den Gottesdienst der evangelischen Kirchengemeinde, eine fast schon komfortable Verbesserung gegenüber den Vorjahren, als die evangelischen Christen nach Hofheim zur Kirche gehen mussten. Im Gegensatz zu seinen Bobstädter Schäflein hatte Pfarrer Volp immerhin ein Fahrrad für den Weg zum Gottesdienst. 1953 erhielt die evangelische Gemeinde dann ein eigenes Kirchengebäude.
Noch bin in die späten 50er Jahre hinein war die "Sonne" Treffpunkt vieler Bobstädter. Nach der Singstunde blieben die Sänger beisammen. Auch trafen sich Fußballfans im Lokal, und die Jäger saßen am Stammtisch. An Kirchweih sowieso, aber auch an normalen Sonntagen genoss man meist familienweise die gutbürgerlichen Gerichte aus der Küche.
Unmerklich zuerst, aber dann doch recht massiv, änderte sich das Verhalten der Gäste. Sicher auch, weil der zunehmende Wohlstand Fernsehgeräte in die Wohnzimmer stellte. Dazu holte man sich Bier und Wein gleich nach Hause. Und mit dem Kleinwagen vor der Tür wurden größere Sonntagausflüge gemacht. Selbst die Skatrunde der Senioren starb aus.
Als Sieghard und Elisabeth Wilhelm die "Sonne" übernahmen, ging das Geschäft noch. Und vielleicht wäre es auch noch etwas weiter gegangen. Aber als niemand Nachfolger werden wollte, reifte der Entschluss, mit über 70 Jahren aufzuhören. Denn noch, so meint Sieghard Wilhelm, sind sie beide rüstig genug, um die freie Zeit zu genießen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/buerstadt_artikel,-buerstadt-nach-155-jahren-das-letzte-bier-in-der-sonne-_arid,223617.html