VR Bank Ried-Überwald

Marcel Reif erzählt in Bürstadt Anekdoten

Bei „Live erleben“ lauschen Kundinnen und Kunden einem interessanten Prominenten, der über Fußball und Antisemitismus viel zu sagen hat

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Dirk Timmermann
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Fast 500 Besucherinnen und Besucher im Bürgerhaus erleben Sportjournalist Marcel Reif beim Kundenevent der VR Bank Ried-Überwald. © Dirk Timmermann

Bürstadt. „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gutgetan wie heute!“ Als am 1. April 1998 vor dem Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund das Tor zusammenfiel, sorgte einer für Wortwitz: Marcel Reif, schon damals bekannter Fußballreporter. Gemeinsam mit Günther Jauch überbrückte der Kommentator die 76 „torlosen“ Minuten, bevor das Spiel doch noch losging. Seine improvisierte Moderation brachte Reif den Bayerischen Fernsehpreis ein. Eine Fülle an Ehrungen steht bis heute zu Buche, vom renommierten Adolf-Grimme-Preis bis hin zum „Goldenen Winzer“ von Bad Dürkheim. „Man kennt mich doch eher als Wein-Vernichter“, gab sich die Reporter-Legende im Bürgerhaus Bürstadt etwas verwundert.

Zum 30. Mal hatte die VR Bank Ried-Überwald zum jährlichen Kundenevent geladen – und einmal mehr eine spannende Persönlichkeit gewonnen. Astronaut Ulf Merbold, „Börsen-Guru“ André Kostolany und Survival-Experte Rüdiger Nehberg zählen zu den Gästen. „Alles, was ich bin und was ich machen durfte, verdanke ich dem Fußball“, stellte Marcel Reif in Bürstadt klar. Begonnen hat alles im Alter von vier Jahren. Auf dem Tank des Motorrads nahm ihn sein Vater mit ins Stadion nach Warschau. In Polen blieb die Familie aber nicht lange, zu stark wurde der Antisemitismus. Ein Großteil seiner Angehörigen ist im Holocaust ermordet worden, den jüdischstämmigen Vater rettete vermutlich der Industrielle Berthold Beitz. Nach einjähriger Episode in Tel Aviv zog die Familie 1957 nach Kaiserslautern. Erst hier lernte Marcel Reif Deutsch – und entdeckte seinen Herzensverein: Beim FCK spielte der Jugendliche als Innenverteidiger, später im offensiven Mittelfeld.

Eine Karriere als Sportkommentator war keineswegs absehbar, wie Reif im Interview mit Martin Klapheck verriet. Nach dem Studium der Publizistik und Amerikanistik kam er zum ZDF. Den politischen Journalismus habe er ursprünglich nie verlassen wollen, bekannte der Schweizer Staatsbürger. 1984 war es dann doch soweit.

Von Beckenbauer über RB Leipzig bis zum VfR Bürstadt

Zwei Jahre berichtete er aus Eishockey-Stadien, wo „immer was los ist“. Bei RTL stieg Reif zum Chefkommentator Fußball auf. Nicht jedem habe der Wechsel gefallen: „Er spricht ja wunderbare politische Kommentare, aber bitte lasst’s ihn vom Fußball weg!“ Gesagt haben soll es kein Geringerer als der „Kaiser“ – und dennoch habe sich ein gutes Verhältnis entwickelt.

Franz Beckenbauer beschäftigte den streitbaren Journalisten auch in anderer Hinsicht: „Es ist so eine deutsche Attitüde, Menschen auf Denkmäler zu stellen und dann zu stürzen!“ Viel Heuchelei schwinge mit, wenn die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland heute kritisiert werde. Alle hätten „das Sommermärchen gefeiert“ – und beklagten sich hinterher über mögliche Geldflüsse. Dabei seien derlei Praktiken Usus. Ähnlich im Radsport: „Von Jan Ullrich verlangt man, als Einziger nicht zu dopen – dennoch soll er gewinnen.“ Insofern sei dessen Aussage, „niemanden betrogen“ zu haben, durchaus zutreffend.

Heuchelei erkennt Reif auch beim Thema Kommerz: „Geld schießt Tore“, laute die Erkenntnis, und RB Leipzig sei trotz allem „eher nicht der Satan des modernen Fußballs“ – auch wenn jeder Fünfjährige wisse, dass hinter „RasenBallsport“ der Brausekonzern aus Österreich stehe. Für die Besucher der Veranstaltung ergaben sich spannende Einblicke. Und für alle, die die „Absurdität im Fußball“ tatsächlich nicht mitmachen wollen, hat Marcel Reif einen Tipp: „Man kann auch Spiele in unteren Ligen verfolgen, zum Beispiel beim VfR Bürstadt.“

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