Bürstadt. „Wenn wir gerufen werden, wissen wir nie genau, was uns erwartet. Wir haben nur ein paar Infos von der Leitstelle“, erzählt Ilona Brenner. Fabia Krenz nickt. „Ich gehe mit großem Respekt in jeden Einsatz.“ Die Frauen engagieren sich als Notfallseelsorgerinnen. Beide schon seit Jahren. Von Routine kann dabei keine Rede sein.
Fast immer ist ein Mensch gestorben, wenn die Notfallseelsorger gerufen werden. Bei einem Unfall, über Nacht im Bett oder ein Selbstmord. Manchmal handelt es sich auch um eine Reanimation. Angehörige stehen unter Schock, wenn Fabia Krenz und Ilona Brenner eintreffen. Sie sind mit ihren lila-blauen Jacken erkennbar und tragen einen Rucksack bei sich. Das Erste-Hilfe-Set darin haben sie noch nie gebraucht, erzählen sie. Krenz hat extra eine kleine Decke eingepackt, Brenner nimmt immer ein Stofftier mit, falls ein Kind betroffen ist. Es geht um eine tröstliche Geste in der Ausnahmesituation.
Manchmal begleiten sie die Polizei, die die Nachricht überbringt
Fabia Krenz, die in Biblis lebt, hat das besondere Ehrenamt vor acht Jahren übernommen. „Michael Held aus Bürstadt hat mich die erste Zeit begleitet“, erzählt sie dankbar. Die Ausbildung zur Notfallseelsorgerin nahm die 59-Jährige damals in Angriff, weil sie etwas zurückgeben wollte. „Das hat eine Vorgeschichte“, erzählt die Kita-Leiterin. Denn vor vielen Jahren geriet sie mit ihrem kleinen Kind auf der Autobahn in eine Massenkarambolage. „Ein Bus hatte Feuer gefangen. Erntehelfer, die in dem Bus gesessen hatten, haben uns damals aus dem Auto geholfen und uns eine Decke geschenkt, in die wir das Kind einpacken konnten.“ Das werde sie nie vergessen und nahm sich vor: „Irgendwann gebe ich diese Decke zurück.“ Symbolisch. In ihrem Auto liege seither immer eine Decke, und im Notfallrucksack stecke ebenfalls eine.
Einsätze im gesamten Kreis
- Knapp 60 Frauen und Männer standen vergangenes Jahr bei 157 Einsätzen Menschen zur Seite, die im Kreis Bergstraße von einem plötzlichen Notfall betroffen waren. Insgesamt leisteten sie dabei 894 Stunden, begleiteten 600 Menschen – davon 37 Kinder und 31 Jugendliche. Bei 115 Einsätzen ging es um den Tod eines oder mehrerer Menschen. Am häufigsten wurden sie nach Bensheim (32), Heppenheim (22) und Lampertheim (20) gerufen.
- Ansprechpartnerinnen der Notfallseelsorge Kreis Bergstraße sind Pfarrerin Jasmin Setny (Leiterin) und Sabina Geiger (Geschäftsstelle). Das Büro im Heppenheimer Haus der Kirche ist per E-Mail an notfallseelsorge-bergstrasse@ekhn.de sowie unter der Telefonnummer 06252/6733-53 oder -54 erreichbar. Jedes Jahr ist ein Kurs vorgesehen, um Interessierte auf das Ehrenamt vorzubereiten.
- Zu den Trägern der Notfallseelsorge gehören neben der Evangelischen Kirche und der Katholischen Kirche die Feuerwehren , die Notärzte , der Malteser Hilfsdienst, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) sowie das Technische Hilfswerk. Infos gibt es online unter nfs-suedhessen.de/bergstrasse .
- Zur Finanzierung der Aus- und Weiterbildung wurde 2008 der Förderverein Notfallseelsorge Bergstraße gegründet.
Zu Unfällen werden sie dabei eher selten gerufen, haben sie im Laufe der Jahre festgestellt. „Es kommt eher vor, dass ein Partner verstirbt, und jemand alleine ist, dem wir beistehen“, erzählt Ilona Brenner. Da gelte es dann auch, auf Kontakte zurückzugreifen und manches zu regeln, damit sie die Betroffenen versorgt wissen, ehe sie wieder gehen. Denn eins ist klar: Jeder Einsatz ist einmalig. Es geht nicht um eine dauerhafte Betreuung, sondern um Trost im Schockmoment. Zum Teil nehme die Polizei die Ehrenamtlichen schon mit, wenn sie eine Todesnachricht überbringen müssen.
Bereitschaftsdienst dauert immer zwölf Stunden
Einfach ist ihre Aufgabe nie, aber wenn ein junger Mensch stirbt, sei es noch schwerer. „Ich hatte auch Angst davor, wie es ist, wenn ein Kind beteiligt ist“, gibt Krenz zu. Aber dann habe sie gemerkt, dass sie durch ihren Beruf in der Kita rasch Kontakt findet. Selbst zu einer Schule ist sie mit Kollegen schon gefahren. „Bei einem größeren Einsatz können auch weitere Notfallseelsorger angefordert werden“, sagt Brenner.
In der Kindertagesstätte von Fabia Krenz hätten die Kollegen großes Verständnis, wenn sie angefordert werde. Sie ist bei der evangelischen Kirche angestellt, die sie dafür frei stellt. „Dafür bin ich sehr dankbar, genauso meinem Team.“ Ilona Brenner übernimmt am liebsten Nachtdienste, wenn sie den Tag darauf frei hat. Wobei es nachts meist ruhig bleibe. „Dafür passiert oft am frühen Morgen etwas.“ Die Bereitschaften dauern immer zwölf Stunden - von sieben bis sieben, rund um die Uhr, jeden Tag im Jahr.
Wer alarmiert wird, nimmt immer einen zweiten Notfallseelsorger mit. „Wir gehen nie alleine los, fast immer haben wir gemischte Teams aus Mann und Frau“, erzählt Brenner. Die Bürstädterin war daher noch nie mit Fabia Krenz unterwegs. Sie kennen sich aber von den monatlichen Besprechungen im Team. „Diese sind vor allem nach einem Einsatz wichtig“, sagen beide. Im geschlossenen Rahmen können sie sich austauschen. Dann geht es auch mal um die Kooperation mit anderen Kräften vor Ort - etwa Feuerwehr, Sanitätern oder Polizei. „Es gibt da eine klare Hierarchie“, sagt Krenz.
In der Ausbildung lernen die Notfallseelsorger daher nicht nur, wie sie Trost spenden und Gespräche führen, sondern auch, welche Aufgaben die anderen Einsatzkräfte haben. Aber was sagt man überhaupt? „Ganz wichtig ist es, Floskeln zu vermeiden“, weiß Ilona Brenner. Niemals würde sie etwas versprechen wie: „Alles wird wieder gut.“
Wie schwierig eine solche Ausnahmesituation in Worte zu fassen ist, wird im Gespräch mit den beiden Frauen deutlich. „Oft ist es wichtiger, zuzuhören und nicht selbst zu reden“, sagt Brenner. Intuitiv zu entscheiden, sei ganz wichtig. Zu spüren, was die Angehörigen jetzt brauchen. Deshalb glauben sie - Brenner ist 62 und Krenz 59 Jahre alt - dass eine gewisse Lebenserfahrung wichtig ist für ihre Aufgabe. „Es kommt auf die innere Reife an, ich hätte das als junger Mensch nicht machen können“, sagen beide.
„Der Tod kommt nie, wenn man damit rechnet“, meint Fabia Krenz. Zumindest bei den Einsätzen, zu denen sie bislang gerufen wurde. Oft könne sie nicht fassen, wieso jetzt jemand verstorben ist. Etwa die Frau auf dem Weg zum Arzt, die im Treppenhaus stürzte. „Sie war mit dem Aufzug eine Etage zu weit gefahren und wollte dann die Stufen nach unten nehmen.“ Die Bibliserin schüttelt den Kopf. Sie kann von diesem Unglück nur erzählen, weil das bekannt geworden sei. Ansonsten redet sie nur im Team über ihre Arbeit.
Wenn sie später zufällig Angehörigen wieder begegnen, werden sie so gut wie nie erkannt, erzählt Ilona Brenner. Sie findet das gut so, denn sie will nichts aufrühren. Eine gewisse Distanz sei ohnehin wichtig. Deswegen möchte sie lieber nicht in ihren Heimatort gerufen werden, wo sie Betroffene kennen könnte. Trotz aller Herausforderungen empfinden beide ihre Aufgabe als sehr erfüllend. Auch wenn sie all die Emotionen selbst verarbeiten müssen. „Wenn ich danach heim komme, zünde ich immer eine Kerze an“, sagt Fabia Krenz.
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