Bürstadt. Draußen fünf Grad und sonnig, im Gewächshaus 36 Grad: die ideale Wärme, um Chilis anzubauen. „Das mit minimalem Energieeinsatz zu schaffen, ist absolut faszinierend – und der Knackpunkt der modernen Landwirtschaft“, sagt Alexander Hicks. Der Göppinger Chili-Experte baut seit Sommer in der ehemaligen Gärtnerei Haller in Bürstadts Gärtnersiedlung 8000 der scharfen Früchte auf einer Fläche von 2000 Quadratmetern an. Die Nachfrage ist groß – auch wegen Corona.
Hicks arbeitet bereits mit seinem Geschäftspartner zusammen, der eine Bioland-Gärtnerei in Heilbronn betreibt. Über ihn kam er in Kontakt mit Franz Schreier, der das innovative Dachgewächshaus mit Photovoltaikanlage in Bürstadt vorantreibt (wir berichteten). Während Physiker in der Gärtnersiedlung die Daten erfassen, nutzt Hicks den Platz für seine Chilis.
In der eigenen Region ist Hicks nicht fündig geworden: „Wir haben uns intensiv umgeschaut.“ Doch weder in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit noch auf die Langfristigkeit seines Vorhabens habe er eine geeignete Fläche auftreiben können. Denn dass alte Gewächshäuser tausende Liter Heizöl verbrauchen, um früh im Jahr etwa den Anbau von Salat oder Blumen möglich zu machen, lehnt Hicks ab. Bei Schreiers Projekt fühlt er sich daher wohl – und plant auch, bald das ganze Jahr über Chilis pflücken zu können.
Im Moment verkauft er sie vor allem an Manufakturen, die sie weiterverarbeiten, oder auch an Liebhaber, die auf der Suche nach speziellen Sorten sind. „In Göppingen haben wir weiterhin den Firmensitz, aber im Grunde nur ein Büro und ein Lager fürs Saatgut.“
Klima milder als in Göppingen
Von Vorteil sei zudem, dass das Klima im südhessischen Ried deutlich milder ist als im 200 Kilometer entfernten Göppingen. Schon ein Grad Unterschied in der Temperatur mache sich bei den Energiekosten deutlich bemerkbar. Das Areal umfasst alles in allem knapp zwei Hektar, bietet also theoretisch noch zehn Mal mehr Platz.
„Wir haben Großes vor“, betont der Mittdreißiger. Für Chilis in all ihren Formen und Farben bestehe eine hohe Nachfrage. Da sind auch kleine Rückschläge wie der Hagelschaden wenige Tage nach dem Einzug im Sommer verschmerzbar: „Es sind nur ein paar Scheiben zu Bruch gegangen, wir haben Glück gehabt.“
Warum die Nachtschattengewächse gerade in aller Munde sind, weiß Alexander Hicks ziemlich genau: „Die Deutschen reisen ja recht gerne, und gerade in der Pandemie packt sie natürlich das Fernweh.“ Doch wer versuche, Gerichte aus dem letzten Urlaub in Thailand oder Lateinamerika authentisch nachzukochen, stelle schnell fest: „Es schmeckt nicht wie dort.“ Oft fehle es dabei an der richtigen Chili-Sorte als Zutat.
Der gelernte Gärtner startete vor fünf Jahren selbst einen Versuch, als er Saatgut aus Teneriffa mitbrachte. Er verteilte es an sämtliche seiner Bekannten mit der Aufgabe, die Sprösslinge unter verschiedenen Bedingungen großzuziehen. Das Ergebnis: „Jede Frucht schmeckte ein bisschen anders.“ Die Pflanzen könnten identisch aussehen und sich doch völlig unterschiedlich entwickeln – auch was ihre Schärfe angeht: Hicks spricht hier vom „guten und bösen Zwilling“. Im Fall einer peruanischen Sorte gelang es ihm jedoch, sogar das ursprüngliche Aroma zu übertreffen, wie ihm Einheimische versicherten.
Anhänger ließen sich in allen Schichten und Altersgruppen finden, so der Experte. Noch heute schmunzelt er über die Oma, die bei einem Festival selbst die heftigsten Sorten mit links verputzte, mit denen ihr jugendlicher Enkel ganz schön zu kämpfen hatte. Dabei reagieren Frauen seiner Erfahrung nach eher empfindlicher auf Schärfe.
Chilis seien aber keine Scherzartikel und eigneten sich auch nicht zur Mutprobe, betont Hicks, der schon als Baby seine erste Salsa auslöffelte. Zwar könnten Chilis niemandem gefährlich werden, der nicht unter Vorerkrankungen leide. Auf bestimmte Sorten müsse man sich aber einstellen, um keinen Kreislaufzusammenbruch zu erleiden.
Seinen persönlichen Schärfegrad sieht Hicks am Beginn des oberen Drittels, ab und zu auch darüber. Seine 13 und 15 Jahre alten Kinder haben sich schon an das Essen, das ihr Papa kocht, gewöhnt. Gerade zubereitete Chilis böten eine „riesige Palette an Aromen“, die es zu entdecken gelte, sagt er. Das gilt zumindest bis zu einer gewissen Schärfe, ab der auch der Experte keinen Unterschied mehr registriert.
Sich selbst bezeichnet Hicks als „Scharfschmecker“, eine Kombination aus Scharfesser und Feinschmecker. Chilis ergänzen den Geschmack bestimmter Speisen nicht nur, sondern verstärken diesen auch, weil sie ihn durch den erhöhten Speichelfluss besser im Mund verteilen. Gleichzeitig regen sie die Durchblutung der Geschmacksnerven an und fördern die Verdauung.
Zudem können die scharfen Früchte gerade in der Erkältungszeit so manchen aufziehenden Schnupfen im Keim ersticken. „Bei mir persönlich funktioniert’s echt gut“, sagt Hicks. Der Kreislauf werde angeregt, die Erreger würden hinausgeschwitzt. Klar sei aber auch: Gegen das Corona-Virus können Chilis nichts ausrichten – genauso wenig wie die anderen Hausmittelchen, denen gewisse Kreise zumindest am Anfang der Pandemie eine heilende Wirkung zusprachen. (mit cos)
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