Bürstadt. „Warum gibt es überall Gedenkveranstaltungen, nur in Bürstadt nicht?“ Gudrun Schwarz-Brückmann beschämt das. „Das ist doch wichtiger denn je!“ Mit drei weißen Rosen kommt sie zu den fünf Stolpersteinen der Familie Mehrl in die Mainstraße – wo früher auch die Synagoge stand. Dort trifft sie auf Burkhard Vetter, der enge Kontakte zu Nachfahren der jüdischen Familien aus Bürstadt pflegt. „Aber zu so einer Veranstaltung kann nicht ich einladen. Das muss die Stadt oder der Magistrat tun“, sagt Vetter.
Zum Gedenken ruft später Franz Siegl (SPD) zu Beginn der Stadtverordnetenversammlung auf, allerdings nicht auf der Straße, sondern im Bürgerhaus. Als Sitzungsleiter erinnert Siegl an die Opfer der Gewaltherrschaft und die unvorstellbaren Gräueltaten, die die Nazis verübt haben. Vetter und Schwarz-Brückmann wünschen sich aber, dass dies künftig in der Öffentlichkeit geschieht. Wie in Lampertheim, Biblis oder Lorsch.
„Wir brauchen eine Erinnerungskultur, damit nichts in Vergessenheit gerät“, betont Gudrun Schwarz-Brückmann. Das sehen auch Christel Kroll vom Seniorenbeirat, Vincent Vetter vom Jugendbeirat sowie Uwe Metzner von der Grünen-Fraktion so. In kleiner Runde haben sie sich am Ort der früheren Synagoge versammelt.
Vetter hat sich bereits intensiv um mehrere Stolperstein-Verlegungen in Bürstadt gekümmert. „Immer wieder werde ich dazu aufgerufen, das sein zu lassen – damit mal Gras darüber wächst“, erzählt er erschüttert. „Aber das geht erst, wenn kein Mensch der Welt mehr rechtes Gedankengut in sich trägt“, so Metzner. Und das werde wohl nie passieren.
Es gebe aber auch gute Erlebnisse, erzählt Vetter und erinnert an die letzte Stolperstein-Verlegung im Sommer und wie sich Schüler des Bensheimer Goethe-Gymnasiums intensiv mit den Lebensgeschichten der jüdischen Menschen befasst haben. Auch der Besuch von Moritz Hochstädters Enkelin Marian Steen aus den USA hat Vetter beeindruckt. Er hat sie mit ihrer großen Familie herumgeführt und allen gezeigt, wo ihre Vorfahren gelebt haben, bevor sie vor dem Nazi-Terror flohen. „Sie waren so dankbar, das war ganz ergreifend“, erzählt Vetter. „Das ist Völkerverständigung: Fremde Menschen werden zu Freunden.“
Das hat auch Gudrun Schwarz-Brückmann erlebt, die als junge Frau mehrere Monate in Israel in einem Kibbuz gearbeitet hat. Nie habe sie dort ein böses Wort gehört. Als Deutsche sei sie 1975 offen aufgenommen worden. Wie stark in Europa derzeit rechtes Gedankengut auf dem Vormarsch ist, erschüttert die Bürstädterin. Auch deshalb hat sie sich an Bürgermeisterin Bärbel Schader gewandt und eine Gedenkveranstaltung gefordert.
Wie das aussehen könnte, stellt sich die engagierte Runde in der Mainstraße direkt vor. „Vom Historischen Rathaus aus könnte man einen Rundgang machen, denn die meisten Stolpersteine erreicht man innerhalb weniger Minuten, genauso den Ort der früheren Synagoge“, sagt Burkhard Vetter. Er hofft mit Schwarz-Brückman, dass das zum 9. November 2023 klappt.
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