Bürstadt/Biblis. Vor zehn Jahren war Margot Friedländer bei der Bibliser Filminsel zu Gast. Die damals 93-Jährige las im kommunalen Kino aus ihrem Buch „Versuche, dein Leben zu machen“. Friedländer hatte als Einzige aus ihrer Familie den Holocaust überlebt. In ihrer Autobiografie schilderte sie, wie sie als 21-Jährige in Berlin untertauchte, um als Jüdin der Ermordung durch die Nazis zu entgehen. Im vergangenen Mai starb sie im Alter von 103 Jahren in Berlin. Dort war sie 1921 geboren worden, und dorthin zog es sie nach über sechs Jahrzehnten in New York wieder zurück. „Ich bin Berlinerin“, sagte Margot Friedländer damals im Gespräch mit dieser Redaktion.
Geblieben ist ihre Botschaft: „Be human – Seid Menschen“. Dieses Vermächtnis stand nun bei einer Gedenkveranstaltung für Margot Friedländer in Bürstadt im Mittelpunkt. Dazu hatte der Leiter des interkulturellen Büros, Abdalla Gdoura, eingeladen. Anlass war die bundesweite Interkulturelle Woche. „Krieg und Hass überall“, sagte Abdalla Gdoura zu Beginn der Veranstaltung. Er sei in seiner Heimat von radikalen Muslimen verhaftet worden, und was er in dieser Zeit erlebt habe, könne er niemandem erzählen. „Das ist sehr schmerzhaft für mich.“
Mit gegenseitigem Respekt in Frieden miteinander leben
Er betonte, wie wichtig der gegenseitige Respekt sei, um ein gutes Zusammenleben zu ermöglichen. „Egal welche Hautfarbe, Geschlecht oder Religion, wir müssen in Frieden miteinander leben“, sagte eine Besucherin der Veranstaltung, die 1969 aus der Türkei nach Deutschland gekommen war. Bürgermeister Boris Wenz hob die Bedeutung von Toleranz und Empathie hervor. Margot Friedländer habe ihre Botschaft „Be human“ mit Leben erfüllt – „und das bis zu ihrem letzten Atemzug“.
Die Botschaften an diesem Abend waren intensiv. Eine Auszeit zum Erholen und Nachdenken schuf die Musikerin und Sängerin Missy Canis. Die Loop-Künstlerin aus Mannheim spielte mit verschiedenen Instrumenten kurze Musikstücke ein, die sie aufnahm und in einer Endlosschleife abspielte. Dadurch erzeugte sie ganz unterschiedliche musikalische Stimmungen und viel Rhythmus. Das kam beim Publikum sehr gut an.
Burkhard Vetter und Benjamin Grünewald stellten die AG Jüdisches Leben in Bürstadt vor. Vetter kündigte an, dass weitere Stolpersteine in Bürstadt verlegt werden. Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an das Schicksal der Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Grünewald las den Bericht einer jungen jüdischen Bürstädterin vor. Sie und ihre Familie wurden während des Novemberpogroms 1938 geschlagen. Ihre Wohnräume wurden geplündert und verwüstet. Die Familie floh im Dezember 1938 nach Argentinien.
Die Stimme erheben, wenn es um Menschlichkeit geht
Lena Pein, Lilia Wolf und Ipek Inanc, drei Schülerinnen aus der 10 G der EKS Bürstadt, verliehen der Holocaust-Überlebenden ihre Stimme. Sie habe gewollt, dass junge Menschen nicht vergessen, was passiert ist. Sie sollen ihre Stimme erheben, wenn es um Menschlichkeit und Respekt geht. Zu hören ist an diesem Abend auch das Zitat: „Ich bin hundert Jahre alt geworden, das ist der beste Beweis, dass Hitler nicht gewonnen hat.“
Zu Wort kommt Margot Friedländer in einem Video, das bei der Gedenkveranstaltung gezeigt wird. Sie berichtet von ihrem Bruder, der 17 Jahre alt war, als er verhaftet wurde. Bei der Lesung aus ihrer Biografie vor zehn Jahren in der Bibliser Filminsel sagte sie: „Ich will der jungen Generation die Hand reichen. Sie müssen die Zeitzeugen sein, wir sind alt. Uns wird es bald nicht mehr geben.“ Das Erinnern an die schreckliche Zeit sei schmerzlich. „Aber es hilft mir auch.“
Zeitzeugin wollte der jungen Generation die Hand reichen
Margot Friedländer wurde in das Ghetto Theresienstadt gebracht. Sie überlebte. Nach der Befreiung heiratete sie. Gemeinsam mit ihrem Mann wanderte sie in die USA aus. 2003 kehrt sie zum ersten Mal nach Berlin zurück. „Denken Sie daran, was Menschen erleben mussten, warum sollte man das vergessen?“, fragt sie in Biblis ihre Zuhörer und fügte hinzu: „Wir müssen nicht alle Menschen lieben, aber wir müssen andere Menschen respektieren.“
Ihr Schicksal, ihre Gefühle und ihr Schmerz – Margot Friedländer erzählte ihre Geschichte. Oft besuchte sie Schulen. „Wenn ich gelesen habe, müssen die Schüler erst mal Luft holen.“ Als Zeitzeugin wollte sie der jungen Generation berichten, was passiert ist und ihnen die Hand reichen: „Ich sage ihnen: Ihr sollt nie erleben, was wir erlebt haben.“
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