Bürstadt. Wenn „Papa tanzt“, dann reißt er die Arme in die Luft, als ob er seinen ganzen Körper in kreisende Bewegungen bringen wollte. Der Kopf verschwimmt in einer Art rosa Wolke. Bernd Kalusche lacht. „Papas tanzen ja eigentlich nicht, und die Farbe passt auch nicht.“ Genau deshalb erregt es die Aufmerksamkeit. Es drückt ganz fabelhaft den Humor des Künstlers aus. Im Moment hängt das zwei auf eineinhalb Meter große Gemälde in einer klassizistischen Villa in Bad Ems. Jetzt am Wochenende sind Bilder von ihm zudem bei der art Karlsruhe zu sehen, und im Herbst reist er mit etlichen Werken zur Kunstmesse nach Budapest.
Seit rund zehn Jahren lebt und arbeitet Bernd Kalusche in seinem Elternhaus in Bürstadt. 240 Quadratmeter Atelierfläche verbergen sich hinter einem grünen Innenhof. Dort kann nicht nur er in Ruhe arbeiten. Freude bereitet es ihm auch, anderen etwas beizubringen – und ihre Begabung zu fördern. „Da kommt der Kunstdozent in mir wieder durch.“ Er lächelt. Sein Atelier bietet Platz zum Arbeiten, fürs Lager und auch für eine Werkstatt. Denn Pinsel und Acrylfarbe sind für den 73-Jährigen nicht alles. Er sägt und bohrt, schweißt und hämmert, verwendet alle möglichen Gegenstände. Manchmal streift er am Rheinufer entlang und sammelt Treibgut. Aus Stöcken und Muscheln hat er kürzlich einen Bilderrahmen geschaffen.
Sogar altes Kartenmaterial von der Schillerschule nutzt er als Material. Und wie findet er die Motive? „Die Inspiration kommt von überall.“ Kalusche liest etwas in der Zeitung, das ihn beschäftigt, oder hört einen Jungen, der von seinem tanzenden Vater erzählt. Satzfetzen entwickeln sich in seinem Kopf weiter. Der tanzende Papa ist übrigens nicht nur raumgreifend, sondern auch lebensgroß und zählt zu einer Trilogie. Die beiden anderen heißen Slow Fox und Freestyle. Immer geht’s um Bewegung. An diesen drei großformatigen Werken hat der 73-Jährige ein ganzes Jahr gearbeitet. Das geht nicht so leicht von der Hand, auch wenn es aus ihm heraus kommt.
Nachts macht er sich Notizen
„Oft träume ich davon. Manchmal fällt mir nachts etwas ein, das ich mir aufschreibe.“ So manches Mal hat er so einen Dreh gefunden, wenn er bei einem Werk nicht weiter wusste. Zweifel bleiben dennoch. „Ich versuche immer, das äußerst Beste zu geben.“ Das sei keine Qual, obwohl er mit sich ringe. Was ihm schwer fällt? „Die Frage, ob es gut genug ist, stelle ich mir immer.“ Dazu zählt auch der Entschluss, dass ein Werk jetzt fertig ist. Denn das Risiko besteht, Bilder zu verschlimmbessern.
Überraschend findet er die Reaktionen der Betrachter. Was ihnen gefällt, decke sich selten mit seiner Einschätzung. „Das liegt daran, dass die Leute nichts vom Entstehungsprozess wissen – und was mir dabei durch den Kopf ging. Das verändert den Wert für mich.“ Angenehm erschöpft fühle er sich, wenn er eine Arbeit abgeschlossen habe. Nach einem großen Bild macht er zuerst etwas Kleines. Dann läuft im Hintergrund Musik. Je nach Stimmung etwas Klassisches oder Lebhaftes.
Kunst in jeder Form
- Bernd Kalusche, 73 Jahre, stammt aus Bürstadt. Schon als Kind zeichnet er viel. Nach der Schule studiert er Jura und Kunstgeschichte, anschließend Promotion und Studium der bildenden Kunst und Musik. Als Kunstdozent arbeitet er an der Uni Hildesheim.
- Bald macht er sich als Künstler selbstständig, führt parallel noch Kunst- und Kunstbuchhandlungen in Frankfurt und Leipzig. Seine Werke zeigt er im In- und Ausland. Bis Mitte August stellt er in der „eine art galerie“ in Bad Ems aus. Dieses Wochenende sind Bilder von ihm auf der art Karlsruhe und im Herbst bei der Kunstmesse in Budapest zu sehen.
Das Spielerische begleitet ihn seit vielen Jahren. Es zeigt sich an vielen Stellen im Atelier und an der Vielseitigkeit seiner kleinen und großen Bilder und Skulpturen. Im Flur hängt eine goldene Fleischwurst, die er fürs Projekt „Das große Fressen“ gestaltet hat. Als Spielerei bezeichnet er auch den alten Tisch vom Sperrmüll. Die Tischplatte hat er durch eines seiner Kunstwerke ersetzt und mit Plexiglas verschlossen. „Das hat Spaß gemacht. Es ist nicht so ernst.“ Er grinst. Und erklärt: „Das ist wichtig für meine Arbeit. Ich muss immer wieder zum Spielen zurückkehren.“ Nur so schaffe er es, sich nicht auf eine Richtung festzulegen und immer neue Impulse aufzunehmen.
Zwischendurch schaut die Katze vorbei und streicht um die Beine. Kalusche wirkt bescheiden, obwohl es auf dem Kunstmarkt viel um Eitelkeit geht. Der 73-Jährige kann sich dort gut behaupten. Seine Werke spiegeln das wider: „Papa tanzt“ liegt bei 4800 Euro. Messen wie die art Karlsruhe sind ihm fürs Renommee wichtig. Gleich drei Galeristen halten Kontakte zu Interessenten, jeder mit anderem Schwerpunkt. Dass er sich trotzdem seine Leichtigkeit bewahrt, ist sicher auch eine Kunst.
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