Ukraine

Bariton aus Bürstadt hat Putins Schlägertrupps erlebt

Von 
Corinna Busalt
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Thomas Johannes Mayer als Friedrich von Telramund am Bolschoi, dem bekanntesten Theater in Russland. © Veranstalter

Bürstadt. „Am Tag der Premiere sind russische Soldaten in der Ukraine einmarschiert.“ Opernsänger Thomas Johannes Mayer, der aus Bürstadt stammt, empfindet das als besonders absurd. Denn das Moskauer Bolschoi-Theater hat ausgerechnet und erstmals seit 90 Jahren „Lohengrin“ von Richard Wagner auf die Bühne gebracht - mit ihm als Telramund. „Das habe ich als Öffnung und als Hinwendung zum Dialog gesehen“, sagt der Bariton. Immerhin war Richard Wagner als Hitlers Lieblingskomponist über Jahrzehnte ein rotes Tuch in Russland - und dessen romantische Oper zur Schwanenrittersage ganz besonders.

Dass Thomas Mayer bei vier Vorstellungen auftrat, hat ihm in den sozialen Medien Kritik eingebracht. Dabei machen ihm der Krieg und das Leid als kritischem Geist selbst zu schaffen. Weit schwieriger sei die Lage für russische Künstler, betont er. Denn in Intellektuellenkreisen werde Putin sehr kritisch gesehen. „Die Leute sind entsetzt. Die Stimmung in Moskau ist sehr getrübt“, sagt Mayer.

Orchester beweist Mut

Beachtlich fand er es, dass das Orchester sich mit der Ukraine solidarisiert habe und mutig mit Ukrainischen Farben am Revers aufgetreten sei. Gleichwohl stünde wohl die Mehrheit der Russen auf der Seite ihres Präsidenten, weil er sie nach Jahrzehnten der Propaganda auf seine Seite gebracht habe. „Viele Leute glauben, was die Staatsmedien berichten: dass es sich um eine Friedensmission handle.“ Erleichtert war der Sänger daher, in seinem amerikanischen Hotel - nach einer zweitägigen Pause - westliche Fernsehsender empfangen und sich richtig informieren zu können.

„Das Leben in Moskau ging im Prinzip normal weiter - auch weil Proteste im Keim erstickt und brutal niedergeschlagen werden.“ Wer sich pro-ukrainisch bekenne - mit Fahne, Schild oder auch T-Shirt - werde sofort verhaftet. Er habe selbst erlebt, wie schwarz-gekleidete Schlägertrupps vorgehen: „Direkt gegenüber vom Hotel gab es Proteste wegen Nawalny, und ich war auf dem Rückweg vom Bolschoi, das sind nur fünf Minuten zu Fuß.“ Doch zehn Meter vor dem Hotel hätten sie ihn in die Mangel genommen. „Sie sind bis an die Zähne bewaffnet, tragen Protektoren und dunkle Helme, so dass man nicht sieht, wer darunter steckt.“ Weil er Englisch gesprochen habe, war er ihnen verdächtig. Diesmal habe er gar nicht erst riskiert, für einen westlichen Spion gehalten zu werden, und sei im Hotel geblieben.

Natürlich habe ihn die Situation belastet, in einem Land aufzutreten, das einen Krieg begonnen hat. „Aber ich habe keine Feindseligkeit gespürt, weder auf der Straße noch im Theater. Auffällig war, wie respektvoll und freundlich ich überall empfangen wurde.“ Nach Deutschland kam er erst am Montag zurück. Seine Heimreise habe bedeutend länger gedauert. Nur über Istanbul und Dubai gingen zurzeit Flüge - und die seien stark nachgefragt, weil viele Menschen Russland verlassen wollten. „Der Flug nach Istanbul hat zehn Stunden gedauert und ging über Aserbaidschan. Den Anschlussflug habe ich dann verpasst und kam erst zwei Tage später weiter.“ Nach Moskau kehre er so schnell nicht zurück.

Das nächste Engagement führt Mayer nach Berlin, wo er den Vogt in „Der Schatzgräber“ von Franz Schreker singt. Auch Tannhäuser und Parsifal seien dort geplant, im Juli ist er als Wotan in der Wagner-Oper „Walküre“ in Leipzig zu erleben. Und danach? „Da sieht es sehr schlecht aus - sogar bis Mai 2023. Erst danach kommen Produktionen, die in der Pandemie ausgefallen sind und verschoben wurden.“ Die Arbeit als Künstler bleibt eine Herausforderung. Ihn in der so schwierigen Zeit der Corona-Krise zu schelten, weil er in Moskau gesungen hat, findet er unfair. „Man muss sich ja schon rechtfertigen, wenn man Wagner singt. Die Leute haben sehr viele Vorurteile - vor allem, wenn sie nicht involviert sind“, sagt er nachdenklich und fügt hinzu: „Ich sehe es als Friedenszeichen, wenn ich auf der Bühne stehe.“

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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