Bürstadt. Müde wirken sie, die Mädchen, nach zwei kompletten Tagen mit einer Puppe, die sich (fast) wie ein echtes Baby verhält. Fürs Projekt Teenagerschwangerschaft an der Bürstädter Erich Kästner-Schule hat ihnen Lehrerin Eva-Maria Stahl extra Simulatoren organisiert, so dass sich die Teilnehmerinnen wie echte Mamas fühlen konnten. Zwei Jungs haben das Thema zwar auch gewählt, mit nach Hause nehmen wollten sie die anspruchsvolle Puppe aber nicht.
„Manche hatten es leichter, manche schwerer - meins hat nicht mehr als vier Stunden am Stück geschlafen“, erzählt Nezihe. Um 2 Uhr in der Nacht wurde sie geweckt und um 4 Uhr wieder. Valentina konnte gar nicht einschlafen, weil sie fürchtete, das Baby fange bald an zu schreien. Per Chip registrierte der Computer im Inneren der Puppe jeweils, ob es herumgetragen wurde, zu essen oder eine neue Windel bekam.
Die 16 Jahre alte Precious hat ihr Baby sogar im Tragetuch mit nach Mannheim genommen - und dabei alle Mühe gehabt, es in der Straßenbahn zu beruhigen. „Das war ein bisschen unangenehm“, gibt sie zu. Den Notschalter am Rücken drückte sie trotzdem nicht, sondern hielt tapfer durch. 48 Stunden lang haben die Mädchen die Puppe behalten und betreut. „Das war schon stressig“, geben alle zu.
Besuch im Heppenheimer Kreißsaal gehört dazu
Im Wartezimmer der Frauenärztin Inka Scheer in Bürstadt war dann richtig was los: Die ganze Projektgruppe kam mit ihren zehn Puppen vorbei. „Da ging’s ab“, erzählt Emily grinsend mit Blick aufs Baby im Maxi Cosi auf dem Tisch. Die Infos bei und von der Expertin fanden alle prima. Die Gynäkologin ist an der EKS gut bekannt, denn beim Thema Sexualkunde gehen alle Schülerinnen der sechsten Klasse in ihre Praxis. „Viele Sachen wusste ich falsch“, gibt eine Jugendliche zu. Soziale Medien verbreiteten häufig fehlerhafte Informationen, haben die Jugendlichen gemerkt. Nun wissen sie es besser und sind dankbar dafür. Sogar den Kreißsaal im Heppenheimer Krankenhaus dürfen sie sich anschauen und Hebamme Jessica van der Meulen alle Fragen stellen, die ihnen auf der Zunge liegen.
„Ich wollte eigentlich früh Kinder bekommen“, sagt Precious nachdenklich. „Kinder will ich immer noch - aber lieber noch länger damit warten.“ Das hören Lehrerin Eva-Maria Stahl, Schulleiterin Stephanie Dekker und Frauenärztin Inka Scheer natürlich gerne. Das Projekt hat den Mädchen bewusst gemacht, wie anstrengend so ein Baby ist, und dass es sie weder durchschlafen noch ihnen morgens Zeit und Ruhe im Bad lässt, bevor sie in die Schule müssen. Als sie nun betonen, erstmal ihre Schule beenden und ins Berufsleben starten zu wollen, bevor sie an Kinder denken, reagieren die Erwachsenen sichtlich erleichtert. An der EKS hat es laut Schulleiterin Dekker übrigens in den vergangenen Jahren keinen schwangeren Teenager gegeben. Nichtsdestotrotz sei das Projekt ganz wichtig.
Interessiert lauschen die Jugendlichen auch Andrea Knebel-Schneider vom Angebot „Frühe Hilfen“, die ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert. Denn sie begleitet überforderte Eltern und hat die Erfahrung gemacht, dass die Verantwortung bei Teenagern vor allem bei den jungen Müttern liegt. „Die Jungs sind oft überfordert und ziehen sich zurück.“ Das solle keine Wertung sein - nur ihre Beobachtung. Auch um Verhütung ging’s übrigens im Projekt.
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