Containerdorf

Widerstand gegen Flüchtlingsunterkunft am Bibliser Goetheplatz bricht nicht ab

Eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Goetheplatz? „Für uns war das immer das Barth-Gelände", sagt Sabine Ruppert. „Ich hab' erst mal gegoogelt", so Odilo Fröhlich. Egal wie's heißt: Die Anwohner kämpfen um die Freifläche

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Corinna Busalt
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Das 6000 Quadratmeter große Gelände liegt seit 35 Jahren brach. © Berno Nix

Bilblis. Eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Goetheplatz? Wo soll der Platz sein? „Für uns war das immer das alte Barth-Gelände“, sagt Sabine Ruppert. „Ich habe auch erst mal gegoogelt und nichts gefunden“, fügt Odilo Fröhlich hinzu. Längst ist den Anwohnern klar, um was es sich handelt: die Fläche vor ihrer Haustür, die sie Biotop nennen.

Der Goetheplatz ist seit Wochen Dauerthema in Biblis, weil die Gemeinde dort ein Containerdorf für 180 Geflüchtete einrichten will. Viele Nachbarn in der Goethe- oder Freiherr-vom-Stein-Straße sind damit gar nicht einverstanden. Nicht weil sie etwas gegen Ausländer hätten, betonen sie, sondern weil sie das große, naturbelassene Gelände als natürliche Barriere gegen den Lärm von den Bahngleisen und dem Gewerbegebiet dahinter verstehen.

Eidechsen ziehen an Gemeindesee

Ursprünglich sollte die Unterkunft für zunächst 90 Bewohner bereits Ende September schlüsselfertig stehen. Im Frühjahr plant Bürgermeister Volker Scheib eine zweite Einheit, genauso groß. Vor Ort ist noch nichts zu sehen. Lediglich eine weiße, mehrere Hundert Meter lange Plane wurde gespannt, auf die Unbekannte in roter Farbe „Biotop“ gesprüht haben.

Dieser Zaun soll Mauer- und Zauneidechsen den Weg versperren, damit sie umgesiedelt werden können. „Sie haben ein wunderschönes neues Domizil am Gemeindesee“, sagt Scheib. Der Bauhof habe es unter Anleitung eines Fachmanns hergerichtet. „Direkt vor Beginn der Tiefbauarbeiten werden erneut Eidechsen vom Gelände geholt“, kündigt er an.

Wohnungen reichen bald nicht mehr aus

Wann das ist, kann der Bürgermeister noch nicht sagen. Er wartet ungeduldig auf eine Teilbaugenehmigung vom Kreis, um mit dem Tiefbau beginnen zu können. Denn weder Stromanschluss, noch Frisch- oder Abwasserkanäle gibt es auf der Fläche.

Bis die ersten Container also bezugsfertig sind, dauere es acht bis zehn Wochen, im Höchstfall sogar drei Monate. „Aber Ende September sind die Wohnungen gefüllt, die wir für Flüchtlinge zur Verfügung haben.“ Im Rathaus werde daher unter Hochdruck an Ersatzlösungen gearbeitet, um die Menschen, die per Direktzuweisung ankommen, weiterhin unterbringen zu können.

Anwohner verstehen die Grünfläche (r.) als natürliche Barriere gegen den Lärm der Bahngleise sowie der Gewerbe- und Logistikbetriebe dahinter. © Berno Nix

Nicht nur diese Verzögerung beschäftigt den Rathauschef, sondern auch die vehemente Ablehnung der Anwohner. Rechtliche Schritte wurden bereits eingelegt, zudem liegt eine Beschwerde bei der Kommunalaufsicht gegen ihn vor. Scheib verweist darauf, dass er einen Beschluss der Gemeindevertretung umsetzt und alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Vor allem, was Artenschutz, Umwelt- und Bodengutachten angehe.

Ist der Boden belastet?

Die Anwohner sprechen von Altlasten im Untergrund, da nach dem Krieg dort Holz lagerte, das mit längst verbotenem Substanzen besprüht worden sei. „Eine Tankstelle gab’s hier früher auch, da hat mein Opa mal gearbeitet“, erzählt Melanie Kühn. „Später war da eine Konservenfabrik, da war mein Vater Ende der 1950er Jahre im Ferienjob“, ergänzt Sabine Rupert. Laut Scheib hätten die Gutachten aber keine Belastungen bestätigt, lediglich an einer Stelle werde während der Tiefbauarbeiten noch einmal näher hingeschaut.

Standort „völlig falsch“

„Was da jetzt schon eine Menge Geld ausgegeben wird - und erst die Kosten für die Erschließung!“ Hans Dieter Barth, dessen Vater vor Ort erst ein Sägewerk und später die Möbelfabrik geführt hat, ist fassungslos, was vor seiner Haustür geplant ist. Der Standort sei völlig falsch für Geflüchtete. „Man kann die Menschen doch nicht direkt an die Bahngleise setzen, das ist auch aus psychologischer Sicht mit dem Lärm und dem Zaun drumrum bedenklich“, sagt Barth. Wegen der Baustelle dröhnen zudem ständig Warnsignale, wenn ein Zug kommt.

Nachbarin Dagmar Hallinger fürchtet zudem um die Brandgefahr. „Bei der Trockenheit im Frühsommer hätte es nur einen Funken gebraucht, und alles hätte lichterloh gebrannt!“ Da reiche schon eine Zigarettenkippe. „Was ist, wenn hier jemand grillt?“ Jugendliche würden ohnehin manchmal in der alten Halle hinten zündeln. „Wir sitzen hier auf einem Pulverfass“, meint Hallinger. Die Nachbarn nicken.

Können Tiere umgesiedelt werden?

Bei der Umrundung des Geländes flitzen zahlreiche kleine Eidechsen vorbei. „Die kann man gar nicht alle umsiedeln“, sagt Hallinger kopfschüttelnd und erzählt von Falken, Singvögeln und Fledermäusen auf der Freifläche. Alle sind sich einig: „Es gibt in Biblis Grundstücke, die sich viel besser eignen als das hier, das seit 35 Jahren brach liegt und Lebensraum so vieler Tiere ist.“ Alternativen seien gar nicht gesucht worden.

Die Anwohner fühlen sich bevormundet: „Wir wurden nie gefragt.“ Franz Kahabka fürchtet zudem um den Wertverlust seines Hauses. Er will es verkaufen, um ins Betreute Wohnen zu ziehen. „Ich bin auf das Geld angewiesen.“

Für Senioren werde ohnehin viel zu wenig gemacht in Biblis, meint Melanie Kühn. „Warum nicht eine Begegnungsstätte hier schaffen? Ein Platz zum Ausruhen und Plaudern, viele laufen hier vorbei zum Friedhof.“ Für Kinder gebe es ebenfalls nichts in der Umgebung, ergänzt eine Mutter.

Eine Flüchtlingsunterkunft direkt entlang des Schulwegs sieht sie sehr kritisch. Auch andere berichten von ihren Sorgen um den Nachwuchs oder dass es zu Streitereien zwischen den Menschen verschiedener Nationalitäten kommen könnte. Bürgermeister Scheib kennt diese Bedenken. „Ich nehme das ernst. Und wir wollen die Fehler von früher nicht wiederholen, sondern den Leuten Angebote machen.“ Ihm schwebt vor, die Neuankömmlinge zu beschäftigen: etwa mit Sprach- und Integrationskursen.

Nur eine Minderheit gegen die Unterkunft?

Von einer Fahrradwerkstatt und einem Aufenthaltsraum spricht er. Zudem seien die Container nur als Übergangslösung gedacht. „Die Baugenehmigung läuft bewusst nur zwei Jahre.“ Mit der Option, ein Jahr zu verlängern. „Wir wollen niemanden hinter einen Zaun pferchen, deswegen kommen sie nicht alle auf einmal, sondern erst nach und nach, damit sie sich aneinander gewöhnen können - und das Umfeld auch.“ Zudem seien längst nicht alle Anwohner dagegen, „das ist eher eine Minderheit“, meint Scheib.

Beim Treffen vor Ort sieht nur Lena Grunert dem Ankommen der Geflüchteten optimistisch entgegen. Die 21-jährige plädiert dafür, ihnen offen und mit Liebe zu begegnen. Die Nachbarn wirken skeptisch. Sie hoffen auf ein Wunder, um das Vorhaben zu verhindern. Denn die aufwendige Erschließung des Geländes wird nicht nur für die Flüchtlingsunterkunft umgesetzt. „Es entstehen Kosten, die die Gemeinde nachher zurückgezahlt bekommt, wenn der Platz entwickelt wird.“ Laut Scheib soll dort Wohnraum entstehen: Ein Investor oder auch eine Genossenschaft könnten dort bauen.

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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