Tag der Gewürzgurke

Sauer und knackig: Besuch in der letzten Bibliser Gurkeneinlegerei

Dass der 14. November als Tag der Gewürzgurke gilt, ist Christian Hundeck neu. Dabei weiß der 46-Jährige sonst wohl alles über das grüne Gemüse. In vierter Generation führt er den Traditionsbetrieb fort. Ein Besuch

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Corinna Busalt
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Kein Frühstück ohne Gurken: Christian Hundeck und Partnerin Sabrina Reis arbeiten jeden Tag mit dem grünen Gemüse und essen es auch richtig gerne. © Berno Nix

Biblis. Zuerst fällt der Geruch auf. Frisch und säuerlich. Eben wie wenn man ein Glas eingemachter Gurken unter die Nase hält. „Wenn ich Schnupfen hab, krieg’ ich hier gleich wieder Luft“, bestätigt Sabrina Reis. „Das liegt am Salzgehalt - wie in der Saline“, sagt Christian Hundeck und nickt. Ihm gehört die letzte Gurkeneinlegerei im Ort. Der Name bezieht sich auf Salzgurken, woanders auch Saure Gurken genannt, die Hundeck einmacht. Mit Essig und Gewürzen werden in der Pfadgasse auch Gewürzgurken eingekocht. Zudem gibt’s noch Weihnachtsgurken, die zu keiner der beiden bekannten Sorte gehören. Die Spezialrezeptur bleibt aber Geheimnis des Paars.

Dass der 14. November als Tag der Gewürzgurke gilt, ist Christian Hundeck neu. Dabei weiß der 46-Jährige sonst wohl alles über das grüne Gemüse. In vierter Generation führt er den Betrieb fort, den sein Vater einst von Fritz Kissel übernommen hat, dessen Vater wiederum mit dem Handel und Anbau von Gurken begann - wie viele andere in Biblis. Von 142 landwirtschaftlichen Betrieben ist in den 1950er Jahren die Rede, laut dem Waagebuch waren es sogar deutlich mehr, so Hundeck. „In den 1930er Jahren war das hier - zwischen Viernheim und Büttelborn - Deutschlands größtes Anbaubetrieb, deswegen entstanden in Biblis so viele Firmen “, erzählt er.

In Salzlake werden Gurken durch Fermentation haltbar – wie Sauerkraut. © Berno Nix

13 Betriebe habe es in Biblis gegeben, neun Konservenfabriken und vier Einlegereien - letztere machten bekanntlich die Salzgurken, die durch Milchsäuregärung haltbar werden. Eine Fermentation wie bei Sauerkraut oder Sauren Bohnen. Dieser Vorgang passiert übrigens schon im Sommer. „Die Frischware müssen wir sofort verarbeiten“, erzählt Sabrina Reis, das sei wahnsinnig stressig. Dann helfen Saisonkräfte dem Paar. Dabei sei das Handwerk nicht ohne. „Es gibt nichts Schwierigeres als Salzgurken“, sagt Hundeck. Die Temperatur, die Qualität, Umwelteinflüsse: Alles wirke sich auf das Verfahren aus.

Die Faszination fürs Gemüse ist offensichtlich groß. Sabrina Reis nimmt sich eine der Gurken, die fürs Foto aus dem Fass geholt werden, und beißt genüsslich rein. „Ich liebe das!“ Seit sechs Jahren arbeitet sie hier mit - und trotzdem hat sich von den Produkten noch nicht genug. „Zu Lewwerworscht einfach perfekt! Sogar die Weihnachtsgurken“, betont die 42-Jährige grinsend.

„Von allen Gemüsesorten ist die Gurke diejenige, die am schnellsten wächst. In einer feuchtwarmen Nacht bis zu drei Zentimeter!“ Dabei seien Gurken extrem empfindlich, der Anbau funktioniere nur in Flusstälern wie der Rheinebene. „Die Pflanze mag es nicht trocken, aber auch nicht zu nass, auf keinen Fall Wind oder direkte Sonne.“ In der Hauptsaison kann sich Hundeck mit seiner Partnerin nichts anderes vornehmen, da dreht sich das ganze Leben um Gurken. „Früher ging die Saison traditionell vom 10. Juli bis zur Kerwe am dritten Septemberwochenende.“ Heute beginne sie meist etwas früher und ende vor der Kerwe. Die Ware komme nicht mehr direkt aus dem Ort wie früher, aber immer noch aus der Region.

Ein Gemüse, verschiedene Sorten

Der Betrieb der Firma Hundeck läuft in vierter Generation. Aufgebaut hat ihn einst Familie Kissel, auch Ammekissel genannt, die zudem mit Spargel, Erdbeeren, Himbeeren und schwarze Johannisbeeren handelte. Bei Sohn Fritz Kissel ging Manfred Hundeck in die Lehre als Außenhandelskaufmann. Nach Kissels Tod kaufte Hundeck das Inventar und die Halle in der Pfadgasse 17 bis 19 und führte das Geschäft ab 1966 im eigenen Namen weiter. 1999 stieg Sohn Christian Hundeck mit ein.

In der Hochzeit der Gurke in den 1950er Jahren gab es laut Hundeck fast 60 Betriebe zwischen Karlsruhe und Frankfurt, davon 13 in Biblis und drei in der Pfadgasse. Heute sind es insgesamt nur noch drei im Rheingraben - und Hundeck der einzige in der Gurkengemeinde.

Die Firma Hundeck bezeichnet sich als Einlegerei, weil Gurken in Salzlake eingelegt und damit haltbar gemacht werden. Zudem bietet der Betrieb Gewürz-, Senf- und Weihnachtsgurken an sowie welche mit leichter Schärfe. Geliefert wird an die Industrie sowie an den Groß- und Einzelhandel. Letzterer nehme stark zu. „Es ist klasse, dass das Regionale so gefragt wird - für Biblis gilt das besonders“, sagt Hundeck. Er verkauft auch vor Ort in der Pfadgasse.

Gewürzgurken aus eigenem Anbau gibt’s auch im Hoflädchen Ochsenschläger in Wattenheim. Ebenso bietet der Hofladen Embach in Wattenheim selbst eingemachte Gurken an.

„Bis 1910 gab es nur Salzgurken“, erzählt Hundeck weiter, „denn Essig war sehr teuer, den konnten sich nicht alle leisten.“ Die Gewürzgurke kam bei Hundecks erst viel später hinzu. Diese Prozedur ist weniger schwierig als bei der Salzgurke, aber genauso stressig. Denn das Gemüse kommt vom Feld, wird gewaschen, nach Größe sortiert und sofort frisch eingekocht. „Wichtig ist, dass sie knackig bleibt“, sagt Reis. Regelmäßig nehmen sie Stichproben, um die Qualität zu kontrollieren. Ob man Salz- oder Gewürzgurken bevorzugt, sei Geschmackssache. Die eine Sorte ist saurer und salziger, die andere etwas süßlich. „Dünn geschnitten aufs Brot - ein Genuss.“ Reis denkt sofort wieder an die Leberwurst. Sie kommt aus der Pfalz, das habe sie geprägt, sagt sie grinsend.

„Früher war es hier ganz anders, bei meinem Vater waren noch zehn Leute beschäftigt. Heute machen wir den Großteil zu zweit.“ Das klappe nur wegen der Maschinen. Vor allem zum Sortieren, aber auch zum Heben. Der Gabelstapler hilft beim Schleppen. Auch die Kunststofffässer hätten vieles vereinfacht. „Früher gab es Holzfässer, die ständig repariert werden mussten.“ Als Kind fand Hundeck den Trubel in der Halle großartig, erinnert er sich strahlend. Laster, die an- und abfahren, dazwischen Traktoren mit Gurken und jede Menge Leute. Ein einziges Abenteuer für ihn als Jungen.

Nach der Schule schlug Hundeck dennoch eine andere Richtung ein, interessierte sich für Elektrik. „Da wurde ich nicht glücklich.“ So wechselte er vor 25 Jahren in den Betrieb der Eltern. „Hier kenne ich mich aus. Seit ich denken kann, war ich mit dabei - sogar als die Bahn 1984 die letzten Waggons voller Gurken auf dem Großmarkt München verladen hat.“ Sechs Jahre war er damals. Seither laufe alles per Lkw. Einmal hat er auch erlebt, wie die Ernte auf dem Feld innerhalb von Minuten kaputt ging - im Hagelschauer. Um sicherzugehen, nicht plötzlich ohne Ware dazustehen, bezieht er seine Gurken von mehreren Erzeugern.

„Jedes Jahr nehmen wir Millionen Gurken in die Hand“, erzählt Reis. Aus der Salzlake heraus würden alle geprüft und dann in Eimer oder Fässer verpackt. „Das Nachsortieren ist aufwendig.“ Und gehe nicht mit Maschinen, es tue sogar manches Mal weh. „Wenn man drauf drückt, und es spritzt Salzlake ins Auge, brennt es.“ Die 42-Jährige verzieht das Gesicht. Sie hat mal Bürokauffrau gelernt, aber ihr gefällt diese ganz andere Arbeit. Ihre Kenntnisse von damals kann sie jetzt gut gebrauchen. „Wir müssen alles dokumentieren, der Aufwand ist enorm.“

Die Weihnachtsgurken hat Hundeck übrigens selbst für den Bibliser Weihnachtsmarkt entwickelt und wohl 30 Versuche gebraucht, schätzt er, ehe der Geschmack passte. Seit zwei Jahren gebe es das Produkt - und sei immer ausverkauft. Manche holen es sich auch rund ums Jahr. Nicht nur mit süß-würziger Note, sondern auch leicht geschärft mit Chili bieten Hundecks ihre Gurken an. Ebenso gibt es Senfgurken, die vorher geschält und entkernt, und in Gläsern eingemacht werden. Sabrina Reis schwärmt auch von süß-sauren Gurken, die bislang leider zu wenig Abnehmer gefunden hätten. „Irgendwann müssen wir das wieder mal anbieten“, findet sie. Denn auch die Gewürzgurken hätten erst beim dritten Versuch genug Interesse geweckt, um fest ins Programm aufgenommen zu werden.

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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