Biblis. Normalerweise stehen die 74 Busse selten still: Sie verkehren „vom Nordkap bis Sizilien und von St. Petersburg bis Portugal“, fahren morgens Schüler zum Unterricht, bringen Vereine oder Klassen an ihre Ausflugsziele und chauffieren die Deutsche Fußball- sowie die Handball-Nationalmannschaft, den SV Waldhof oder die Rhein-Neckar Löwen zu Terminen. Doch seit Reisen unmöglich, Veranstaltungen abgesagt und Schulen geschlossen sind, sind auch die Fahrzeuge des Reisebüros und Busunternehmens Müller aus Biblis zum Stillstand verdonnert.
„Momentan sind 27 von ihnen erst einmal bei der Versicherung abgemeldet. Ab Montag, wenn für einzelne Klassen wieder die Schule startet, werden alle Fahrzeuge eingesetzt – bis auf die 13 Reisebusse“, sagt Martin Müller. Er führt zusammen mit seinem Bruder Ludwig das Unternehmen. „Obwohl nur die Abiturienten und Abschlussklassen – also etwa zehn Prozent der Schüler – wieder zur Schule gehen, werden wir alle Busse einsetzen, damit es in den Fahrzeugen zu keinem Gedränge kommen kann. Wir sind da in der Verantwortung, dass es keine Schwierigkeiten mit dem nötigen Sicherheitsabstand gibt“, betont Müller. Viele Gespräche hätten im Vorfeld mit dem Verkehrsverbund, dem Kreis, den Kommunen und einzelnen Städten stattgefunden. „Falls es doch Probleme geben sollte, werden wir diese auf dem kleinen Dienstweg klären und lösen“, fügt der 54-Jährige hinzu.
Mehrere Standbeine
Die Schülerbeförderung ist nur ein Standbein des Unternehmens. „Wir bieten eigene Reisen an, vermitteln Urlaube in unseren zwei Reisebüros in Biblis und Mannheim oder fahren für Firmen und Vereine.“ All diese Aufträge seien durch die Corona-Krise nach und nach weggebrochen.
Von den insgesamt etwa 110 Mitarbeitern musste Müller fünf Reisebusfahrer entlassen. „In den Reisebüros arbeiten wir seit April in Kurzarbeit, auch die Reisebus- und die Schulbusfahrer sind davon betroffen.“ Wer normalerweise als Fahrer in ganz Europa Gäste in den Urlaub begleitet, ist nun entweder am Steuer der Linienbusse eingesetzt oder hilft bei der Reinigung und Instandhaltung der Fahrzeuge.
Für rund 4000 Gäste musste das Unternehmen in den vergangenen Wochen Reisen, Veranstaltungen oder Hotels stornieren. „Wir haben den Kunden das Geld zurückbezahlt. Wer vor dem Lockdown seine Reise storniert hatte, musste leider die Stornogebühren noch zahlen, nach dem 16. März nicht mehr“, betont Müller. Die Kosten als Gutscheine zu erstatten, komme für sie als regionales Unternehmen nicht infrage – aber: „Viele Kunden haben gesagt, lasst das Geld stehen, ich fahre, wenn alles vorbei ist, wieder mit euch.“ Eine Kundin habe sogar Pralinen geschickt und zehn Euro dazu gelegt, eine andere 100 Euro an die Firma überwiesen. „Viele haben uns Nachrichten geschickt wie ,Haltet durch’“, freut sich Müller.
Anzahlungen an Hotels, wie er sie bereits in Italien bezahlt hat, liegen dagegen noch. „Die Hotels sagen: Wir haben es nicht, können es derzeit nicht zurückzahlen. Kommt nächstes Jahr wieder, dann rechnen wir es ab.“ Verstehen könne er es teilweise: „Hotels können nicht einfach lahmgelegt werden, die haben ständig laufende Kosten.“ Das sei ähnlich wie bei seinem Busunternehmen: „Wenn ich den Ausgleich durch den Linienverkehr nicht hätte, hätte ich nur Kosten. Dann sind die Reserven schnell aufgebraucht.“ Wer solch ein Standbein als Busunternehmer nicht hätte, sei nach Müllers Aussage derzeit schnell insolvent.
Trotz allem schaut der 54-Jährige zuversichtlich in die Zukunft: „Wir werden überleben, selbst wenn bis Ende des Jahres keine Reisen stattfinden können.“ Das schöne an einem Familienunternehmen – das der Müllers existiert seit 1951 und wird nun in dritter Generation geführt – sei, dass man ständig neue Ideen entwickeln und umsetzen könne. „Im letzten Monat haben wir zum Beispiel auch Erntehelfer an den Flughäfen in Karlsruhe und Düsseldorf abgeholt, die von Landwirten für die Spargel- und Erdbeerernte eingeflogen wurden. In dieser Situation greift man nach jedem Strohhalm“, betont Müller.
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