Munition

Fliegerbomben im Jägersburger Wald auf der Spur

Der Kampfmittelräumdienst sucht für die Gemeinde Biblis nach Munitionsresten aus dem Zweiten Weltkrieg. Was so alles im Wald zu finden ist.

Von 
Sandra Bollmann
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Der Kampfmittelräumdienst bei der Arbeit: Feuerwerker Andreas Schöps mit Spaten und Eimer und Tayfun Cankal mit der Tiefensonde untersuchen das Gelände am früheren Wasserwerk bei Biblis. © Berno Nix

Biblis. „Wir machen alles metallfrei.“ Tankred Niemesheim sagt das völlig unaufgeregt. Dabei geht es um hochgefährliche Materialien, die im Jägersburger Wald in – und teilweise auch auf – der Erde liegen. Niemesheim leitet den Kampfmittelräumtrupp, der am ehemaligen Bibliser Wasserwerk im Einsatz ist. Zu siebt sind die Männer unterwegs und sondieren Parzelle für Parzelle, bis auch das letzte Blechstück eingesammelt ist. Dass hier erhöhte Explosionsgefahr herrscht, wissen sie nur zu gut: Nur ein Stückchen davon entfernt musste im Staatswald kürzlich ein 50-Kilo-Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gesprengt werden, weil er nicht mehr zu transportieren war.

Alliierte lassen Granaten vom Himmel regnen

„Der frühere Flugplatz ist nicht weit weg“, erklärt der Bibliser Bürgermeister, der gemeinsam mit Revierförsterin Sabrina Stark zum Ortstermin gekommen ist. In der Geschichte seines Heimatorts kennt er sich bestens aus und weiß genau, wo die alten Bunker, der Schießbuckel und die früheren Flugzeughangars versteckt sind. Die Nationalsozialisten hatten den Bereich zwar als Schafweide getarnt – „und das hat relativ lange gut funktioniert“, weiß Scheib. Nach der Entdeckung regnete es allerdings Granaten vom Himmel, die Alliierten nahmen das Gelände heftig unter Beschuss. „Flächendeckend, da brauchen sie keine Bomben mit großer Durchschlagskraft, um alles plattzumachen“, erläutert Niemesheim.

Revierförsterin Sabrina Stark, Bürgermeister Volker Scheib und Räumstellenleiter Tankred Niemesheim im Gespräch über den ehemaligen Flugplatz und gefährliche Überreste im Wald rund um Biblis. © Berno Nix

Seine Mitarbeiter sehen ebenfalls entspannt aus bei ihrer Arbeit. Sie ziehen immer zu zweit los: Einer mit der Tiefensonde in der Hand, der andere mit Spaten und Schaufel bewaffnet. Die Sonde schlägt an, sobald sich etwas Magnetisches in der Erde befindet und lässt auch Rückschlüsse auf Größe und Gewicht zu. Dann heißt es, mit äußerster Vorsicht graben, mit dem Spaten, aber auch mal mit den Händen. Eine schweißtreibende Aufgabe angesichts der schweren Böden in der ehemaligen Flussschlinge. Dennoch: Die Teams müssen den Metallkörper soweit freilegen, bis klar ist, worum es sich handelt. Manchmal sieht etwas aus wie ein Geschoss, ist aber beispielsweise nur ein Werkzeugteil. Oder ein Metallschwimmer. Oder einfach ein altes Rohr.

Diese Metallfunde hat der Suchtrupp bereits zusammengetragen – alles ungefährliche Metallreste. © Berno Nix

Die Kampfmittelexperten haben bereits einen stattlichen Berg Abfall zusammengetragen. „Die Leute entsorgen hier sehr gerne ihren Müll“, weiß Försterin Stark nur zu genau. Dazu kommen die Hinterlassenschaften, die vom alten Flugplatz übrig sind: Kabelreste, Überbleibsel der alten Kasernen, scharfe und schon abgeschossene Munition lagern im Forst. Die Wege zu verlassen, ist deshalb streng verboten. Während der Sondierung ist nun auch die Zufahrt zum alten Wasserwerk abgesperrt. „Das interessiert viele Spaziergänger allerdings kein bisschen“, haben die Männer festgestellt.

Felder bereits großflächig abgesucht

Nördlich des Wäldchens verläuft so ziemlich genau die Gemarkungsgrenze zwischen Biblis und Groß-Rohrheim. Von der früheren Landstraße zum Forsthaus Jägersburg ist nur noch ein kleines Sträßchen übrig, das mitten im Feld endet. Die angrenzenden Ackerflächen in Richtung Groß-Rohrheim sind bereits abgesucht und von Munition und Granaten befreit. „Trotzdem finden wir manchmal noch etwas“, macht Scheib deutlich und erinnert an die Flakgranate, die nicht weit vom neuen Bibliser Kreisel kontrolliert in die Luft gejagt werden musste.

Getarnter Flugplatz unter Beschuss

  • Der Flugplatz südlich des heutigen Bibliser Jägerhofs wurde 1936 in Betrieb genommen und als Schafweide getarnt. Vor allem in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs flogen die Alliierten massive Angriffe. Munition, Geschosse, aber auch Blindgänger landeten in der Umgebung. Der Bereich wird auf insgesamt 400 Hektar geschätzt.
  • Viele Ackerflächen sind inzwischen freigeräumt. Im Jägersburger Wald sind allerdings noch zahlreiche Bereiche gesperrt , Spaziergänger müssen auf den Wegen bleiben.
  • Im Staatswald auf Bibliser und Einhäuser Gemeindegrund finden seit 2014 Sondierungen statt, für die das Regierungspräsidium Darmstadt jährlich rund 150.000 Euro investiert. Die Gemeinde Biblis hat die Räumung in diesem Jahr nach längerer Pause wieder aufgenommen. sbo

Das Erdreich ist in Bewegung, nach und nach kommen auch Metallstücke wieder zum Vorschein, die ursprünglich einige Meter tief vergraben waren. Einer der Gründe, warum die Gemeinde Biblis die Kampfmittelräumung nach jahrelanger Pause wieder aufnimmt. „80 Jahre nach Kriegsende, das wird Zeit“, resümiert Scheib. Da sollten die Weltkriegshinterlassenschaften endlich aus dem Wald verschwinden – weil sie eine große Gefahr darstellen. Und auch Giftstoffe in sich tragen, die große Schäden anrichten können. „Wir befinden uns in einem Wasserschutzgebiet“, stellt der Bürgermeister klar.

Sabrina Stark pflichtet ihm bei. Ihr ist es wichtig, dass in dem Bereich wieder gefahrlos Forstwirtschaft betrieben werden kann. Dass das Waldstück zurzeit stillgelegt ist und nach und nach verwildert, sieht sie sehr kritisch. „Früher wurde hier viel Geld in Anpflanzungen gesteckt und alles gehegt und gepflegt“, gibt sie zu bedenken. Und nun sollen die Stämme nicht verwertet werden? Das ergibt für sie keinen Sinn.

Den Wald für den Klimawandel fit machen

Schon allein, weil Holz zum Bauen und Heizen dringend gebraucht werde. Aber auch, weil der Wald für die Zukunft fit gemacht werden soll, um dem Klimawandel standhalten zu können. Dazu bedarf es mehr Durchmischung im Wald mit unterschiedlichen Baumarten. Wertvolles muss gefördert, Schädliches eingedämmt werden. Aber dazu muss man den Wald eben wieder betreten können.

Der Bibliser Rathauschef pflichtet ihr bei. Zumal es verschiedene Überlegungen gebe, das frühere Wasserwerk zu nutzen. Als Waldkindergarten beispielsweise oder als Ausflugsziel. Mit der Räumung hat sich die Gemeinde allerdings einiges vorgenommen: Etwa 150 Hektar befinden sich hier in ihrem Besitz. Nach einer langen Pause stehen in diesem Jahr wieder 200.000 Euro bereit. Das sollte – je nach Aufwand – für mindestens fünf Hektar reichen. Bis der komplette Bereich abgesucht ist, dauert es also noch einige Jahre.

Der Bombenkrater zwischen den Bäumen: Tankred Niemesheim demonstriert, wie tief es nach unten geht. © Berno Nix

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Redaktion Redakteurin "Südhessen Morgen", Schwerpunkt Bürstadt

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